Freitag, 10. Mai 2024

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Sportangebote für Menschen mit Behinderung
"Die Scheu der Vereine muss fallen"

In vielen Sportvereinen wird Menschen mit Behinderung kein Angebot gemacht. Dominic Holschbach vom Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Rheinland-Pfalz berät Vereine, die das ändern wollen. Ein niederschwelliges Angebot sei wichtig, sagt der Experte im Dlf.

Dominic Holschbach im Gespräch mit Marina Schweizer | 04.09.2021
Auf blauem Untergrund mit dem weißen Schriftzug Tokio liegen ein Rucksack, ein Handtuch, Schwimmkleidung und zwei Beinprothesen.
Das Sportangebot für Menschen mit Behinderung ist in Deutschland noch mangelhaft. (imago images / SNA / Ilya Pitalev / Sputnik)
Der Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Rheinland-Pfalz (BSV-RLP) kooperiert mit dem Landessportbund und mit Vereinen, "indem wir versuchen, dass die Vereine den Sport für Menschen mit Behinderung in ihr Vereinleben integrieren", so Dominic Holschbach vom BSV-RLP.
Dabei helfe, dass es in Rheinland-Pfalz Sportinklusionslotsen gebe. Sie seien Ansprechpartner für Vereine: "Das heißt, die Sportinklusionslotsen fahren zu den Vereinen und geben in Rücksprache mit uns Hilfestellungen, was man machen kann, um den Sport in die Vereine zu bringen." Der Behindertensportverband helfe beispielsweise bei der Ausbildung von Übungsleitern und Trainern.

Nur sechs Prozent der Vereine mit Behinderten-Sportangebot

Vereine würde oft vor der Arbeit mit Menschen mit Einschränkungen zurückschrecken, weil sie glaubten, ein perfektes Angebot machen zu müssen: "Am einfachsten gelingt es, wenn man ganz niederschwellige Angebote macht." Holschbach nannte das Beispiel eines Kindes, das eine Behinderung am Bein hat: "Das kann durchaus ohne große Ausbildung des Trainers beim Fußballtraining mitmachen. Das läuft einfach mit. Die Kinder werden so schnell inkludiert."
Der Verbandsvertreter resümierte: "Die Scheu der Vereine muss fallen." In Rheinland-Pfalz böten aber nur sechs Prozent der Sportvereine auch Menschen mit Behinderung Kurse und Trainings an: "Die Chance, wohnortnah einen Verein zu finden, ist leider immer noch sehr gering."
Eine Problematik, die auch Thomals Abel, einer der Paralympics-Experten der Deutschen Sporthochschule in Köln unterschreicht. "Nur 48 Prozent der Menschen ohne Behinderung oder ohne Beeinträchtigung machen wenigstens einmal pro Woche Sport. Von den Menschen mit Behinderungen sind es nur 32 Prozent, also noch einmal deutlich weniger. Und ich gehe davon aus, dass Menschen mit Behinderung die gleiche Affinität haben zu Sport wie Menschen ohne Behinderung. Und was dann vielleicht noch gravierender ist bei dieser Statistik, dass man sagt also mehr als 55 Prozent der Menschen mit einer Behinderung betreiben nie Sport", sagte der Wisschenschaftler im "Players"-Podcast vom Deutschlandfunk.
VdK-Präsidentin Verena Bentele - "Sport oft nicht zugänglich und nicht barrierefrei"
Der Teilhabebericht der Bundesregierung zeigt, dass mehr als jeder zweite Mensch mit Behinderung nie Sport treibt. VdK-Präsidentin Verena Bentele sieht im Dlf mangelndes Sportangebot für Menschen mit Behinderung als Hauptgrund.

Mangelhafte Infrastruktur und kilometerweit entfernt

Dass immer noch sehr wenige Menschen mit Behinderung überhaupt Sport treiben, liegt aus Holschbachs Sicht an zwei Aspekten: Die Infrastruktur fehlt und viele Menschen wollten keinen Sport machen - zumindest zunächst.
Wenn beispielsweise jemand die Diagnose einer Querschnittlähmung bekomme, müsse die Person das erst einmal verarbeiten: "Wenn dann aber ein Sportangebot an den Patienten herangebracht wird, dann steigt die Chance natürlich umso mehr, dass er sich für den Sport begeistert." Die Infrastruktur sei in Rheinland-Pfalz aber mangelhaft: "Es ist im Parasport üblich, dass man für eine Trainingseinheit auch mal 100, 150 Kilometer fährt."

Der Behindertensportverband Rheinland-Pfalz bietet in diesem Herbst erstmals ein Kids- und Teenie-Sportcamp Kids- und Teenie-Sportcamp in Koblenz an. Das Camp richtet sich an Kinder mit und ohne Behinderung. Es soll aber vor allem auch dazu dienen, talentierte Kinder mit Behinderung zu finden, die bestenfalls sogar in den Leistungssport einsteigen können, so Holschbach.