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Sportverletzungen bei Kindern und Jugendlichen

"Kinder sind keine kleinen Erwachsenen!" Dieser Satz wurde auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie immer wieder hervorgehoben. Im Fall von Sportverletzungen sollten Kinder deshalb auch nicht von Chirurgen für Erwachsene behandelt werden, sondern von solchen für Kinder.

Von Mirko Smiljanic | 17.09.2013
    10 bis 15 Prozent aller sportlich aktiven Kinder erleiden mindestens eine Verletzung pro Jahr.
    10 bis 15 Prozent aller sportlich aktiven Kinder erleiden mindestens eine Verletzung pro Jahr. (Deutschlandradio - Hendrik Maaßen)
    Bezogen auf Sportverletzungen beobachten Kinderchirurgen zwei auf den ersten Blick gegenläufige Entwicklungen: Einerseits steigt die Zahl übergewichtiger – ergo sportlich nur mäßig aktiver – Kinder und Jugendlicher; andererseits klettert aber auch die Zahl derer, die sehr viel Sport treiben, teilweise so viel, dass sie in die Rubrik des Hochleistungssports gehören. Beide Gruppen, sagt Professor Peter Schmittenbecher, Direktor der Kinderchirurgischen Klinik am Klinikum Karlsruhe, erleiden beim Sport Verletzungen, allerdings ganz unterschiedliche.

    "Die Gruppe, die eher inaktiv ist aber doch am Schulsport teilnehmen muss, die hat schon mal eine Verletzung aus einer gewissen motorischen Ungeschicklichkeit heraus, weil da die motorische Entwicklung hinterher hinkt, ... Prellungen etwa oder Armbrüche, während aktive Kinder und Jugendliche zunehmend schwere Verletzungen durch das Treiben neuer Sportarten erleiden. Zugenommen haben Verletzungen durch die hohe Geschwindigkeit in einigen Sportarten. Das betrifft das Skaten und die Skaterstürze, das betrifft aber auch das halbwegs aktive Trampolinspringen, da haben wir ganz komplexe Verletzungen, vor allem dann, wenn zwei Kinder gleichzeitig auf der Matte sind, und das eine ist schwerer, dann wird das Kleinere rauskatapultiert und kann sich schlecht wehren, das ist eine Entwicklung, die uns ein bisschen Sorge macht."

    10 bis 15 Prozent aller sportlich aktiven Kinder erleiden mindestens eine Verletzung pro Jahr. Diese Zahl ist im Vergleich zu den Vorjahren übrigens auch deshalb leicht gestiegen, weil schon aus juristischen Gründen jedes Kind selbst mit Bagatellverletzungen in die Klinik geschickt wird. Umgeknickte Fußgelenke mit Hausmittelchen wie essigsaurer Tonerde behandeln, darauf würde sich keine Kita, keine Schule und kein Verein einlassen. In krassem Widerspruch zu dieser sehr ausgeprägten Vorsorge steht, dass manche Trainer und Sportlehrer nicht wissen, wie sie Hochleistungssport treibende Kinder und Jugendliche vor Überlastungsschäden schützen können.

    "Die kann es da schon geben, wenn zu intensiv trainiert wird, wenn keine Pausen gemacht werden, wenn immer der gleiche Bewegungsrhythmus gemacht wird, da gibt es Überlastungsschäden durch kleine Mikroverletzungen, die sogenannten Mikrotraumen, die führen zu einem Schmerz, die führen zu einer Entzündung und die können sogar zu einer Degeneration führen."

    Kinder dürfen nicht jeden Tag trainieren, vor allem brauchen sie in den Wachstumsphasen längere Pausen. Peter Schmittenbecher rät allen Eltern: Sobald sie ihren Kinder ständig neue Hosen kaufen müssen, die Trainingsfrequenz herunterschrauben! In 20 Jahren werden die Kinder es ihre Eltern danken. Danken werden sie ihren Eltern möglicherweise auch, wenn sie einen Unterarmbruch ohne operative Eingriffe heilen lassen. Jeder dritte Knochenbruch bei Kindern ist eine Fraktur des Unterarms nahe am Handgelenk. Bei der Altersgruppe bis zwölf Jahren beobachten Chirurgen dabei immer wieder sogenannte Spontankorrekturen. Professor Lucas Wessel, Direktor der Kinderchirurgischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim:

    "Einerseits kommt es zu Frakturen, die sowieso keine Fehlstellungen aufweisen, die nur einen Buckel aufweisen, das sind sogenannte Stauchungsfrakturen, die heilen ohne Probleme, wenn man sie eingipst. Aber es gibt eine Anzahl von Frakturen, die haben nur eine Abkippung, und wir haben oft festgestellt, diese abgekippten Frakturen heilen spontan sehr gut, einfach weil der Körper dort lange wächst, sehr gut wächst, und im Rahmen des weiteren Wachstums bis zum zwölften Lebensjahr auf jeden Fall kann eine Spontankorrektur erfolgen."

    Also eine Heilung ohne aufwendige Operation. Was übrigens die "Erwachsenen"-Chirurgen ganz anders sehen, sie würden auch diese Patienten operieren. Ein DFG-Forschungsprojekt wird in den nächsten Jahren für Klarheit sorgen, welche Position besser ist. Über eine Position sind sich altersübergreifend alle Chirurgen einig: Fahrradhelme senken die Zahl schwerer Schädel-Hirn-Verletzungen um bis zu 80 Prozent. Über die Inaktivität von Verkehrspolitikern bei diesem Thema kann sich Peter Schmittenbecher nur wundern. Und über die Argumente mancher Frauen sowieso.

    "Häufig wird dann vor allem vom weiblichen Teil der Bevölkerung gesagt, das ist meiner Frisur nicht zuträglich; der Neurochirurg nach einem Unfall ist der Frisur viel weniger zuträglich!"