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Sprachlos

Mit dem Atomausstieg hat die CDU eine Kehrtwende ihrer Politik vollzogen, die mancher an der Basis nicht ganz versteht und sich teilweise auch überrumpelt fühlt. Nun gilt es, beim Wähler die Glaubwürdigkeit zu vertreten.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 09.06.2011

    Heinz Ehrhardt sing:
    "Mit dem Rad, Kamerad, geht's hinaus ... "

    Damals, als der singende Heinz Ehrhardt mit Kameraden durch Adenauers Wirtschaftswunderland radelte, war die Welt für die CDU noch in Ordnung. Das Fahrrad gehörte in den Heimatfilm, und das Auto zur CDU. Heute, im Zeitalter der Energiewende, fährt selbst Bundesumweltminister Norbert Röttgen mit dem Zweirad ins Kanzleramt:

    "Also, vielleicht ist man manchmal in Berlin abends schneller, wenn man mit dem Fahrrad dahinfährt. Ich glaube nicht, dass wir eine Fahrrad-Partei werden."

    Beschwichtigt Armin Laschet, CDU-Fraktionsvize in Düsseldorf.

    Norbert Röttgen laufe genauso wenig wie die CDU dem Zeitgeist hinterher:

    "So oft fährt der ja auch nicht mit dem Fahrrad ins Kanzleramt, das war an dem einen Tag."

    Just an dem Tag, als der schwarz-gelbe Koalitionsausschuss in Berlin den Atomausstieg einfädelte. Seitdem ist die Union in Aufruhr. Parteileute aus der zweiten Reihe stöhnen über fehlende Grundsatz-Treue, über die Anbiederung an die Grünen und die allzu schnelle Energiewende. Die Basis im Landesverband in Nordrhein-Westfalen ist verunsichert:

    Wochenlang haben sie hier auf Regionalkonferenzen diskutiert, an diesem Abend in der holzgetäfelten, etwas muffigen Stadthalle von Waltrop am nördlichen Rand des Ruhrgebiets:

    "Wir können über alles reden, sollten über alles reden - wer mag den Eisbrecher machen?"

    Fragt der Generalsekretär der NRW-CDU. Seit Wochen tourt Oliver Wittke durch die Kreisverbände und schwört die Parteifreunde auf den neuen Kurs ein:

    "Wir dürfen nicht erklären, dass das, was wir dreißig Jahre oder fünfzig Jahre für richtig gehalten haben, unverändert auch in die nächsten dreißig, fünfzig Jahre überführen können. Die Welt um uns herum hat sich ein Stück weit verändert!"

    Trotz dringlicher Appelle, die Basis fühlt sich überrumpelt in Waltrop. Es gibt nur eine Handvoll Wortmeldungen - eine Mischung aus Resignation und Vorwürfen:

    "Mir ist das Thema CDU mittlerweile selber leidig geworden. Ich hab selber das Interesse, sag ich mal, schon verloren. Mir ist das leidig geworden, weil unten nichts mehr angekommen ist. Unten konnte gemacht werden, was wollte, oben wurde bestimmt."

    Der Generalsekretär, sonst nicht auf den Mund gefallen, kommt bei dieser Kritik ein wenig aus dem Takt:

    Aber, aber Volker. Du machst jetzt den Fehler, dass Du glaubst, Energiepolitik sei nur die Frage, wie gehen wir mit der Kernenergie um.

    Belehrungen will die Basis erst recht nicht hören, und es kommt in Waltrop auch keine rechte Lust an den Bundesthemen auf. Eigentlich wollen sie lieber über Schulpolitik, kommunale Finanzen - und vor allem über den grassierenden Mitgliederschwund reden:

    D"er Kreisverband Unna: Ein Minus von 885 Mitgliedern, der Kreisverband Essen: Ein Minus von 1051 Mitgliedern, der Kreisverband Dortmund: Ein Minus von 933 Mitgliedern."

    Eine quälende Minute lang rattert Partei-Funktionärin Astrid Timmermann-Fechter das Zahlen gewordene Dilemma der Christdemokraten herunter. Ausgerechnet die Basis wird dafür auch noch abgewatscht: Man dürfe halt nicht nur Radtouren veranstalten, ätzte Fraktionschef Karl-Josef Laumann kürzlich in Düsseldorf. Schon wieder geht's ums Fahrrad. Oliver Wittke:

    "Eine gute Radtour und eine schöne Weihnachtsfeier gehören auch zum aktiven Leben einer CDU vor Ort. Aber ich hab eben auch die Bitte, dass wir darüber reden, wie wir denn damit umgehen, wenn wir weniger werden, wenn wir älter werden, wenn wir bunter werden."

    Das sitzt. Aber auch die Basis kann austeilen, gerade bei den großen Themen: Der schnelle Schwenk in der Energiepolitik stößt vielen in Waltrop übel auf:

    "Das ist natürlich sehr, sehr unglücklich gelaufen - dass man erst sagt, wir verlängern, und dann ein halbes Jahr später sagt, wir verkürzen sogar noch den Atomausstieg, das finde ich sehr, sehr unglücklich."

    Die Kehrtwende hat ein Gesicht: Bundesumweltminister Norbert Röttgen, der erst die Laufzeitverlängerung und jetzt wiederum den Atomausstieg als "Meilenstein" bezeichnet. Dabei hatte Röttgen noch vergangenen Herbst auf dem Parteitag der NRW-CDU seine eigene Standfestigkeit beschworen:

    "Was hab ich von Karl-Josef bekommen? Eine Eiche! Er wollte mir bestimmt sagen, Du Rheinländer, sei nicht zu flexibel, sei wie eine westfälische Eiche, Widerständen trotzend und immer berechenbar."

    Seinem verunsicherten Landesverband ist Parteichef Röttgen derzeit keine große Hilfe, er schwirre allzu sehr in den Bundesthemen herum, so das Echo in Waltrop:

    "Der ist noch nicht so als Landesvorsitzender in allen Köpfen an(gekommen). Das ist dann die Mannschaft um Angela Merkel, und da haben wir leider viel zu wenig von zu profitieren."

    Norbert Röttgen als Hauptgewinn - davon ist die Basis noch nicht so recht überzeugt. Christdemokraten, die erfolgreich neue Mitglieder werben, sollen belohnt werden, doch gemessen am Applaus kommt Röttgen schlecht weg:

    "Sie können zum Beispiel ein Abendessen in Berlin mit unserem Landesvorsitzenden Dr. Röttgen gewinnen. Oder aber einen schönen Abend in Münster mit dem Fraktionsvorsitzenden Karl-Josef Laumann - Applaus."

    Heinz Erhardt sing:
    "Ein Tourist, der auf der Tour ist, der kann das alles sehen ... "

    Die Grünen spotten bereits, Norbert Röttgen sei in seinem eigenen Landesverband nur als Tourist unterwegs. Aber die Basis hätte gegen eine Radtour mit ihrem Landesvorsitzenden bestimmt nichts einzuwenden:

    " Mit dem Rad, Kamerad, geht's hinaus ... "