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Sprachlosigkeit und tiefe Gräben

" Ein Dialog beginnt immer erst dann, wenn man annimmt, dass der andere Recht haben könnte. "

Von Reinhard Baumgarten |
    " Der Islam hat schon im 12. Jahrhundert faktisch die Philosophie verabschiedet. "

    " Ich meine, dass wir damit beginnen müssen zu überlegen, woher entwickeln wir eigentlich jeweils unsre Werte. Und das ist in Ägypten - in weitaus größerem Maße als es gegenwärtig in Deutschland oder der westlichen Welt der Fall ist - die Religion. "

    Das Gebet und der Friede sei mit Dir, o Gesandter Gottes. Mohammed, der Prophet des Islams. Für seine Anhänger, für rund 1,3 Milliarden Muslime weltweit, ist er Vorbild, Leitbild, der perfekte Mensch. Mohammed wird im Islam nicht angebetet, denn das wäre shirk, Götzendienst. Mohammed wird wie kein zweiter verehrt. Die Veröffentlichung von Karikaturen, die ihn mit Terrorismus in Verbindung bringen, wird von Muslimen als perfider Angriff auf die Lauterkeit ihres Glaubensstifters empfunden. Der Streit um Mohammed-Karikaturen hat eine tiefe Kluft und ein weit verbreitetes Unverständnis zwischen dem islamischen und dem westlichen Kulturkreis offenbart, sagt Traugott Schöfthaler, Direktor der in Alexandria ansässigen Anna Lindh Stiftung.

    " Die Massenproteste in der arabischen Welt angesichts der läppischen Mohammed-Karikaturen sind nicht zu verstehen ohne Einblicke in eine tiefe Verletztheit fast aller Muslime. "

    Die Muslime sind Opfer einer aggressiven Politik des Westens, sagt Ferhad Mongi von der al-Azhar Universität in Kairo. Der Westen bedrohe ihre Kultur, ihre Zivilisation und - vor allem - ihre Religion.

    " Weshalb haben sie den Propheten der Muslime wie einen Terroristen dargestellt? Weil es genau das ist, was sie denken: Der Islam ist Terror, der Prophet der Muslime ist ein Terrorist. Warum sind sie dieser Auffassung? Ihre Gesellschaft und Erziehung vermitteln ihnen, dass der Islam eine Religion des Terrors ist. "

    Tatsächlich sind in den westlichen Ländern, bedingt durch blutige Terroranschläge religiös verbrämter Extremisten, Angst und Misstrauen gegen Muslime gewachsen. Der Islam gerät auf der Suche nach Erklärungen für den unbegreiflichen Wahnsinn leicht in den Generalverdacht, rückständig, reformunwillig und mit der Moderne unvereinbar zu sein. Der emeritierte Tübinger Theologe und Islamkenner Hans Küng weist darauf hin, dass alle drei monotheistischen Weltreligionen - Judentum, Christentum und Islam - vor der großen Herausforderung stehen, mit der Moderne zurechtkommen zu müssen.

    " Jede dieser drei Religionen hat negative, schwarze Seiten. Sie können auch nicht aus dem Alten Testament, die Eroberung des Landes damals, wo so viele umgebracht worden sein sollen, was vielleicht gar nicht historisch ist, das kann man auch nicht als Vorbild nehmen, wie man heute miteinander umgeht. Man kann auch nicht einige exklusive Sätze des Neuen Testaments nehmen und die heutige Lage beurteilen. Und so müssen sie auch den Koran interpretieren, der auch viele Aussagen über Krieg hat, wie das Alte Testament, der aber auch positive, zentrale Aussagen hat über Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, und die Gerechtigkeit, die unter Menschen geschehen muss. Das alles soll die Grundlage bieten für eine neue Interpretation.

    Man kann die Gemeinsamkeiten sehen, die ja auch schon aus dem historischen Zusammenhang kommen. Wir kommen vom Judentum her, sowohl das Christentum wie auch der Islam, und wir glauben alle an den einen Gott Abrahams. Wir glauben alle an eine Schöpfung, die nicht - wie man sich das in Indien vorstellt - kreist und kreist, auch ein Menschenleben, das kreist und kreist, sondern wir glauben an etwas Zielgerichtetes. Wir haben überall im Zentrum der Religion eine prophetische Botschaft. Wir haben überall ethische Standards, die sehr ähnlich sind. "

    " Ich habe im Euro-Med-Komitee, wo alle Außenminister, alle hohen Beamten vertreten sind, ein neues Konzept für den Kulturdialog vorgestellt, das den Schwerpunkt auf kulturelle Unterschiede legt. Es legt den Schwerpunkt darauf, dass man zunächst einmal mehr Wissen über Unterschiede zwischen Christentum und Islam, zwischen der arabischen Welt und Europa vermittelt. Es zielt aber auch darauf, diese Unterschiede anzuerkennen. Es soll aufräumen mit dem unseligen Gefühl, der Überlegenheit, der Unterlegenheit, das die Atmosphäre vergiftet. "

    Pessimisten meinen, der Zusammenprall der Kulturen habe längst begonnen. Pessimisten meinen auch, dass auf beiden Seiten großes Interesse an diesem Kampf der Kulturen bestehe. Extremisten auf beiden Seiten bauten darauf, aus diesem Kampf als Sieger hervorzugehen. Optimisten meinen, der Zusammenprall der Kulturen könne verhindert werden.

    " Er ist auf alle Fälle vermeidbar. Er wird zu häufig mit guter Gesinnung noch unterstützt. Wenn Leute Kulturen nur als Kulturblöcke verstehen und einzelne nur als Repräsentanten und nicht als Gestalter von Kultur, dann ist das ein Kategorienfehler, der abgeschafft werden muss. Wir müssen Kultur als Mischung aus Ererbtem und Gestaltetem verstehen. "

    Und auch in den Freitagspredigten sollte dem kulturellen Verständnis und Miteinander mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Statt dessen ist es in den vergangenen Monaten häufig um den vermeintlichen Generalangriff auf den Islam und seinen Propheten gegangen. Auch Großscheich Mohammed Tantawi, eine der höchsten Autoritäten im sunnitischen Islam, schwingt die verbale Keule.

    " Wir müssen jeden boykottieren, der den Propheten Mohammed beleidigt. Und wenn es nötig ist, dann müssen wir diese Person bekämpfen und alles zum Wohle unsres Propheten opfern. "

    Zornige Massen, Straßenkämpfe mit Toten, abgebrannte Botschaften. Der Orient zeigt sein mutmaßlich irrationales Gesicht. Und die westlichen Medien, sagt die Rechtsprofessorin Abla Kahlawy, halten bereitwillig Kameras und Mikrophone hin.

    " Proteste sind eine zivilisierte Sache. Aber es ist doch ein Unterschied, ob ich Fackeln hoch halte und damit Dinge in Brand stecke, oder ein Banner, auf dem steht: Respektiert Gott und seinen Propheten. Wenn ich Dinge in Brand stecke, dann mache ich doch genau das, was sie mir unterstellen. Wir haben unsre Religion falsch verstanden. Nun werden wir massiv beschuldigt. Wir werden beschuldigt, gegen Logik, Vernunft und Freiheit zu sein. Wir haben darin versagt, unsre Botschaft zu vermitteln. Und deswegen müssen wir heute erkennen, dass viele Menschen nichts über den wahren Islam wissen und wie tolerant er ist. "

    Auch in den eigenen Reihen wissen scheinbar immer weniger, wie tolerant der Islam ist. Toleranz wird auf beiden Seiten nötig sein, um einen echten Dialog - ein Zwiegespräch der Kulturen - in Gang zu bringen, meint Jutta Limbach. Die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts und derzeitige Präsidentin des Goethe Instituts sieht im kulturellen Dialog eine der drängendsten Aufgaben unsrer Zeit.

    " Ich meine, dass wir damit beginnen müssen zu überlegen, woher entwickeln wir eigentlich jeweils unsere Werte. Und das ist in Ägypten in weitaus größerem Maße als es gegenwärtig in Deutschland und der westlichen Welt der Fall ist die Religion. Wir müssen auch gemeinsam darüber nachdenken - Kritik muss auch unter Freunden möglich sein - ob es nicht Ausprägungen der Religiosität im arabischen Raum gibt, die der Fortentwicklung auf wissenschaftlichem und technologischem Gebiet weniger günstig sind, um es vorsichtig auszudrücken. "

    " Der Islam hat faktisch schon im 12. Jahrhundert die Philosophie verabschiedet. Averoes in Spanien ist der letzte große Philosoph gewesen. Das hat dann auch verunmöglicht, dass man im Islam eine Renaissance hatte, keine Reformation und keine spezifisch moderne Entwicklung. Es ist sehr gefährlich, wenn Völker nicht merken, dass sie zurückbleiben. Am Anfang merkt man das nicht. Die Araber und die Türken haben es erst gemerkt, als sie in der Militärtechnik, im Schiffsbau zurück waren. Dann haben sie überlegt, woran es lag. Es lag natürlich daran, dass sie die Technik nicht entwickelt haben. Aber warum haben sie die Technik nicht entwickelt? Weil der Erfindungsgeist, der sich in Europa durch das Mittelalter gehalten hat, der in der Renaissance ganz neu aufbrach, dieser Erfindungsgeist, die Neugierde, dass das im Islam nicht mehr da war und man sich mit dem, was da war, zufrieden gab. "

    Die islamischen Völker sind, gemessen an Wirtschaftskraft, Technologie, Bildung, Forschung, Erfindung und Wissensschöpfung, gegenüber den Industriestaaten im Hintertreffen. Das haben mehrere Studien klar herausgearbeitet, die unter der Federführung des ägyptischen Soziologen Nadir Fergani von arabischen Sozialwissenschaftlern im Auftrag der Vereinten Nationen erstellt worden sind. Zwischen Orient und Okzident klafft zuungunsten des Morgenlandes eine gewaltige Wissenslücke.

    " Entwickelte Länder werden heute nicht mehr an ihrem Wohlstand gemessen, sondern eher daran, welchen Beitrag sie bei der Erzeugung neuen Wissens leisten, wie sie das Wissen der Menschheit bereichern. Und so zementiert die Wissenslücke die Rückständigkeit, mehr und mehr Rückständigkeit. Es gibt aufgeklärte Interpretationen des Islams, und es gibt extreme und rückwärtsgewandte Interpretationen. Korrupte Regierungen und fundamentalistische islamische Oppositionsgruppen greifen auf radikale und nicht aufgeklärte Interpretationen des Islams zurück. Wahrer Islam ist frei von politischer Ausbeutung, er basiert auf aufgeklärten Deutungen und auf Ijtihad - dem Verfahren zur Rechtsfindung durch eine unabhängige Interpretation der beiden Rechtsquellen Koran und Sunna - dieses Verfahren ist essentiell, um das Problem der Rückständigkeit in den arabischen Staaten zu lösen. "

    Doch dieses Tor zur Rechtsfindung durch unabhängige Interpretation der beiden Hauptquellen, so klagen reformwillige und liberale Muslime, sei bereits im 12. Jahrhundert zur Zeit des großen Religionsphilosophen und Mystikers al-Ghazali geschlossen worden. Suchet Wissen und sei es in China, hat der Prophet Mohammed einst seinen Anhängern aufgetragen. China galt damals zu Beginn des siebten Jahrhunderts als das Ende der Welt.

    " Die Bestrafung von Ijtihad - dem Verfahren zur Rechtsfindung durch eine unabhängige Interpretation der beiden Rechtsquellen Koran und Sunna - verhindert Kreativität und die Wissensschöpfung in den arabischen Ländern. Die düstere Ausbeutung von Religion, ob durch Regierungen oder Opposition, unterbricht den Ijtihad-Mechanismus, der ein wesentliches Merkmal der Wissenserlangung in der arabisch-islamischen Kultur ist. "

    Al islam hu al hal - der Islam ist die Lösung. Mit dieser schlichten Losung versuchen Islamisten in der gesamten islamischen Welt desillusionierte, sozial vernachlässigte und politisch unmündig gehaltene Massen zu gewinnen. Den kritischen Zustand der muslimischen Massen führen sie nicht auf den Mangel innerer Reformen und den Willen zur Veränderung zurück, sondern darauf, dass der angeblich wahre Islam nicht entsprechend den jahrhundertealte Vorschriften gelebt wird. Sie ziehen damit Schlüsse, die den Erkenntnissen eines Nadir Ferganis diametral entgegengesetzt sind und es schwierig machen, eine gemeinsame Sprache zu finden.

    " Wie lange sollen wir noch geduldig sein? O Gott, gib uns Kraft, diese Tyrannen zu zerschmettern! O Gott, gib uns Kraft, damit der Islam und die Muslime obsiegen. O muslimische Gemeinschaft, schließe die Reihen, besinne Dich! "

    " Die Rechthaberei auf islamischer Seite ist das Unterlegenheitsgefühl. Jemand, der sich unterlegen fühlt, der möchte sich irgendwo auch überlegen fühlen. Das sind im Bereich des Islam die ethisch-moralischen Werte. Es ist nicht so, dass die muslimischen Frauen in Ägypten zu 95 Prozent mit dem Kopftuch herumlaufen, weil sie von ihren Familien unter Druck stehen. Das gibt’s auch. Aber es ist der Wunsch, sich als überlegen zu begreifen, einmal wenigstens es den Westlern zeigen. Die Westler sind für die meisten Muslime moralisch völlig verkommen. "

    " Der ganze Helsinki-Prozess von 1975 lebte zum großen Teil davon, dass Lehrerverbände gemeinsame Projekte gemacht haben, dass gemeinsame Kulturprojekte auf die Beine gestellt wurden - im Ostseeraum, zwischen den beiden deutschen Staaten und anderen Regionen. Dieses fehlt uns noch über das Mittelmeer hinweg. "

    Dialog oder Zusammenprall der Kulturen? Viele Faktoren spielen eine wichtige Rolle: Rohstoffe, Überbevölkerung, Migration, Diktatur, Dünkel. Auf beiden Seiten ist die Vorstellung stark ausgeprägt, dass ein Dialog den jeweiligen Dialogpartner letztlich vom eigenen Standpunkt überzeugen sollte. Von westlicher Seite werden gerne Reformation und Aufklärung als die Grundlagen für Demokratie, Meinungsfreiheit sowie die Entfaltung und die Rechte des Individuums als Morgengabe in den Dialog eingebracht. Die muslimische Seite zieht sich gerne auf die vermeintlich besser gelebte moralische Lauterkeit sowie die Überzeugung zurück, als die letzte der drei monotheistischen Weltreligionen im Besitz der von Gott gegebenen letztgültigen Wahrheit zu sein.

    " Das liegt daran, dass wir Hans-Georg Gadamer noch nicht wirklich verstanden haben. Er sagt, Dialog beginnt dann, wenn man annimmt, dass der andere wirklich Recht haben könnte. Wir sind Rechthaber, wir werden erzogen zu Rechthabern. Die Grundlagen der Demokratie werden noch nicht wirklich in der Bildung vermittelt. Unterschiedliche Meinungen können gleichzeitig Recht haben, unterschiedliche Perspektiven können gleichzeitig wahr sein. Wir sind in einer Gesellschaft, die nicht ein naturwissenschaftliches Element ist, sondern wir sind vielgestaltig. Wir wollen keine McDonald-Kultur überall in der Welt. Davon ist jeder überzeugt. Aber die notwendige Konsequenz, dass wir unsere muslimischen Mitbürger als interessant betrachten und nicht nur als Leute, die etwas anderes essen, was uns vielleicht nicht schmeckt. Wir nehmen sie nicht ernst, wir interessieren uns nicht für sie. "