Der Klappentext von Suhrkamp? Stimmt! Das Werk von Miguel Abensour ist sowohl "anspruchsvoll" als auch "überraschend". Die Theorie einer "Demokratie gegen den Staat" zu entwickeln? Das widerspricht allen gängigen Vorstellungen von repräsentativer Demokratie. Und das mit Bezug auf Karl Marx und Niccoló Machiavelli? Aber es macht durchaus Sinn! In seinen ersten vier Kapiteln arbeitet Abensour an frühen Texten von Marx sein Verständnis einer demokratischen Politik heraus, das er im fünften Kapitel zusammenfassend darstellt und danach auf seine Tauglichkeit für die Moderne untersucht. Um abschließend zu fragen, ob uns die, wie er sie nennt: "rebellierende Demokratie" bevorsteht.
Den entscheidenden Ansatzpunkt für das 2004 in Frankreich veröffentlichte Buch formuliert der Philosoph erst zum Schluss: Nach dem Kollaps des real-existiert-habenden Sozialismus gibt es, laut Abensour, ein Zentralthema:
Seit dem Sturz der bürokratischen Systeme, die vorgaben, sozialistisch zu sein, ist die Frage der Freiheit zur vordringlichsten Frage geworden, zur Grundfrage.
Dies sei auch die Frage gewesen, die Karl Marx angetrieben habe, so Abensour - dem in diesem Punkt wichtige Köpfe wie etwa der Philosoph Milan Prucha oder der Sozialtheoretiker Karl Betz zustimmen. In seinen sogenannten Frühschriften habe sich der spätere Autor des Kapitals eingehend mit den Bedingungen einer freien Entfaltung der Menschen auseinandergesetzt; und den Voraussetzungen einer dazu notwendigen, wie er es nannte: wahren Demokratie. Deshalb knüpft Abensour - vielleicht überraschend für diejenigen, die Marx nur als Politökonomen und nicht als Freiheitstheoretiker wahr haben wollen - zurecht an Marxsche Texte von Anfang der 1840er-Jahre an, wenn er fragt:
Was ist die Wahrheit der Demokratie? Marx gelangt zu einer erstaunlichen, rätselhaften Antwort, wonach die Einführung der wahren Demokratie mit dem Untergang des politischen Staates einhergeht.
Warum muss der Staat untergehen, damit es wahre Demokratie geben kann? Laut Marx sei vom eigentlichen gesellschaftlichen Akteur auszugehen, also von der politischen Gemeinschaft. Diese allerdings erschuf sich eine politische Verkörperung: einen Staatsapparat. Und dieses Regierungsinstrument entwickelte ein Eigenleben. Und schwang sich letztlich zum Herrscher über seine Erschaffer auf.
Die Staats-Form verselbstständigt sich, entfaltet ihre eigene Logik bis sie in ihrer Arroganz die Quelle vergisst, der sie entspringt. Es gibt einen strukturellen Konflikt zwischen der Logik des Staats auf der einen Seite und der Logik der Demokratie auf der anderen.
Darum – argumentiert Abensour - muss dieser Staatskörper untergehen, damit die Macht wieder zum eigentlichen Subjekt, dem ganzen Demos, zurückkehren kann.
Es ist "vom wirklichen Subjekt auszugehen und seine Objektivationen zu betrachten", erklärt Marx. In dieser Suche zeigt sich die wahre Demokratie als politische Gemeinschaft, die mit dem Untergang des politischen Staats als Organisationsform einhergeht. Wenn man sich eines rousseauistischen Vokabulars bedient, kann man die rebellierende Demokratie als Aufstand des Volkskörpers gegen den Staatskörper definieren.
Das Problem dabei ist allerdings, dass Marx, laut Abensour, daran geglaubt habe, dass nach Untergang des Staatsapparats sich eine harmonische Gemeinschaft entwickeln würde. Dem hält der Autor entgegen: Die Zivilgesellschaft könne nicht nach dem Modell eines organischen Ganzen, einer vereinheitlichten und versöhnten politischen Gemeinschaft, konzipiert werden. Man muss sie eher als gespalten denken, indem man wieder an die machiavellische Tradition anknüpft.
Was heißt das? Abensour bezieht sich hier auf Machiavellis Meinung, dass es in jedem Gemeinwesen den Kampf gebe zwischen großen Herrschern, die allein entscheiden wollen, und dem Volk, das um seine Selbstbestimmung kämpfe. Mit dem Rückgriff auf dieses machiavellische Moment kann Abensour seine Vorstellungen einer rebellierenden Demokratie präsentieren: als dauerhafte Auseinandersetzung um Freiheit.
Die rebellierende Demokratie wird aus dem Gefühl geboren, dass es keine wahre Demokratie geben kann, ohne den tief greifenden Reflex gegen jede Form von Staat. Tatsächlich ist die Demokratie die entschlossene Einrichtung eines konfliktuellen Raums, eines Raums gegen, einer gegnerschaftlichen Bühne, auf der sich pausenlos ein Kampf zwischen der Verselbstständigung des Staates und dem Leben des Volks abspielt.
Woraus Abensour folgert:
Die Demokratie ist, so paradox das erscheinen mag, eine Form von politischer Gesellschaft, die über den Kampf der Menschen ein menschliches Band stiftet und, indem sie dies tut, wieder an den Ursprung der immer wieder neu zu entdeckenden Freiheit anknüpft.
Das Zitat symbolisiert Stärken und Schwächen des Buchs: Miguel Abensour als skrupulöser französischer Philosoph schreibt hoch abstrakt. Die Politikphilosophin Hannah Arendt beispielsweise, die erstaunlich ähnlich argumentiert, ist in ihren Ausführungen zu dem, was sie Räterepublik nennt, weitaus anschaulicher. Zudem sind konkrete Hinweise auf eine rebellierende Demokratie leider Fehlanzeige. Und auch Abensours Versuch zu belegen, dass seine philosophischen Überlegungen mit der heutigen Gesellschaft vereinbar sind, ist in seiner Abstraktheit nicht wirklich überzeugend. Sollte man das Buch also vergessen? Im Gegenteil! Man sollte bloß parallel das Buch des Vordenkers der Occupy-Bewegung, David Graeber: "Inside occupy", lesen. Dort wird nämlich vieles von dem, was Abensour theoretisch ausführt, sehr bildhaft veranschaulicht. Und Aha-Erlebnisse hat auch der Leser, der an die Aufstände im arabischen Raum denkt: Rebellion gegen verknöcherte Ancien-Regime – aber gleichzeitig auch gegen die Verfestigung neuer, undemokratischer Staatsapparate - so, wie Abensour es beschreibt. In einem schwierigen, aber grandiosen Werk.
"Demokratie gegen den Staat. Marx und das machiavellische Moment", heißt das Buch des französischen Philosophen Miguel Abensour, das im Suhrkamp Verlag erschienen ist. Es hat 269 Seiten und kostet Euro 24,95, ISBN: 978-3-518-58574-0.
Den entscheidenden Ansatzpunkt für das 2004 in Frankreich veröffentlichte Buch formuliert der Philosoph erst zum Schluss: Nach dem Kollaps des real-existiert-habenden Sozialismus gibt es, laut Abensour, ein Zentralthema:
Seit dem Sturz der bürokratischen Systeme, die vorgaben, sozialistisch zu sein, ist die Frage der Freiheit zur vordringlichsten Frage geworden, zur Grundfrage.
Dies sei auch die Frage gewesen, die Karl Marx angetrieben habe, so Abensour - dem in diesem Punkt wichtige Köpfe wie etwa der Philosoph Milan Prucha oder der Sozialtheoretiker Karl Betz zustimmen. In seinen sogenannten Frühschriften habe sich der spätere Autor des Kapitals eingehend mit den Bedingungen einer freien Entfaltung der Menschen auseinandergesetzt; und den Voraussetzungen einer dazu notwendigen, wie er es nannte: wahren Demokratie. Deshalb knüpft Abensour - vielleicht überraschend für diejenigen, die Marx nur als Politökonomen und nicht als Freiheitstheoretiker wahr haben wollen - zurecht an Marxsche Texte von Anfang der 1840er-Jahre an, wenn er fragt:
Was ist die Wahrheit der Demokratie? Marx gelangt zu einer erstaunlichen, rätselhaften Antwort, wonach die Einführung der wahren Demokratie mit dem Untergang des politischen Staates einhergeht.
Warum muss der Staat untergehen, damit es wahre Demokratie geben kann? Laut Marx sei vom eigentlichen gesellschaftlichen Akteur auszugehen, also von der politischen Gemeinschaft. Diese allerdings erschuf sich eine politische Verkörperung: einen Staatsapparat. Und dieses Regierungsinstrument entwickelte ein Eigenleben. Und schwang sich letztlich zum Herrscher über seine Erschaffer auf.
Die Staats-Form verselbstständigt sich, entfaltet ihre eigene Logik bis sie in ihrer Arroganz die Quelle vergisst, der sie entspringt. Es gibt einen strukturellen Konflikt zwischen der Logik des Staats auf der einen Seite und der Logik der Demokratie auf der anderen.
Darum – argumentiert Abensour - muss dieser Staatskörper untergehen, damit die Macht wieder zum eigentlichen Subjekt, dem ganzen Demos, zurückkehren kann.
Es ist "vom wirklichen Subjekt auszugehen und seine Objektivationen zu betrachten", erklärt Marx. In dieser Suche zeigt sich die wahre Demokratie als politische Gemeinschaft, die mit dem Untergang des politischen Staats als Organisationsform einhergeht. Wenn man sich eines rousseauistischen Vokabulars bedient, kann man die rebellierende Demokratie als Aufstand des Volkskörpers gegen den Staatskörper definieren.
Das Problem dabei ist allerdings, dass Marx, laut Abensour, daran geglaubt habe, dass nach Untergang des Staatsapparats sich eine harmonische Gemeinschaft entwickeln würde. Dem hält der Autor entgegen: Die Zivilgesellschaft könne nicht nach dem Modell eines organischen Ganzen, einer vereinheitlichten und versöhnten politischen Gemeinschaft, konzipiert werden. Man muss sie eher als gespalten denken, indem man wieder an die machiavellische Tradition anknüpft.
Was heißt das? Abensour bezieht sich hier auf Machiavellis Meinung, dass es in jedem Gemeinwesen den Kampf gebe zwischen großen Herrschern, die allein entscheiden wollen, und dem Volk, das um seine Selbstbestimmung kämpfe. Mit dem Rückgriff auf dieses machiavellische Moment kann Abensour seine Vorstellungen einer rebellierenden Demokratie präsentieren: als dauerhafte Auseinandersetzung um Freiheit.
Die rebellierende Demokratie wird aus dem Gefühl geboren, dass es keine wahre Demokratie geben kann, ohne den tief greifenden Reflex gegen jede Form von Staat. Tatsächlich ist die Demokratie die entschlossene Einrichtung eines konfliktuellen Raums, eines Raums gegen, einer gegnerschaftlichen Bühne, auf der sich pausenlos ein Kampf zwischen der Verselbstständigung des Staates und dem Leben des Volks abspielt.
Woraus Abensour folgert:
Die Demokratie ist, so paradox das erscheinen mag, eine Form von politischer Gesellschaft, die über den Kampf der Menschen ein menschliches Band stiftet und, indem sie dies tut, wieder an den Ursprung der immer wieder neu zu entdeckenden Freiheit anknüpft.
Das Zitat symbolisiert Stärken und Schwächen des Buchs: Miguel Abensour als skrupulöser französischer Philosoph schreibt hoch abstrakt. Die Politikphilosophin Hannah Arendt beispielsweise, die erstaunlich ähnlich argumentiert, ist in ihren Ausführungen zu dem, was sie Räterepublik nennt, weitaus anschaulicher. Zudem sind konkrete Hinweise auf eine rebellierende Demokratie leider Fehlanzeige. Und auch Abensours Versuch zu belegen, dass seine philosophischen Überlegungen mit der heutigen Gesellschaft vereinbar sind, ist in seiner Abstraktheit nicht wirklich überzeugend. Sollte man das Buch also vergessen? Im Gegenteil! Man sollte bloß parallel das Buch des Vordenkers der Occupy-Bewegung, David Graeber: "Inside occupy", lesen. Dort wird nämlich vieles von dem, was Abensour theoretisch ausführt, sehr bildhaft veranschaulicht. Und Aha-Erlebnisse hat auch der Leser, der an die Aufstände im arabischen Raum denkt: Rebellion gegen verknöcherte Ancien-Regime – aber gleichzeitig auch gegen die Verfestigung neuer, undemokratischer Staatsapparate - so, wie Abensour es beschreibt. In einem schwierigen, aber grandiosen Werk.
"Demokratie gegen den Staat. Marx und das machiavellische Moment", heißt das Buch des französischen Philosophen Miguel Abensour, das im Suhrkamp Verlag erschienen ist. Es hat 269 Seiten und kostet Euro 24,95, ISBN: 978-3-518-58574-0.