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Spritze für Weinreben

Biologie. - Es braucht nicht nur die Sonne, um einen guten Wein an Mosel, Saar oder Nahe wachsen zu lassen. Denn die Weinstöcke sind empfindlich gegen Krankheiten wie den Mehltau. Wissenschaftler aus Neustadt an der Weinstraße wollen daher jeden Weinstock individuell verarzten.

Von Volker Mrasek | 27.06.2005
    Ein brusthoher Edelstahl-Tank. Daneben ein noch größerer Schaltschrank. Drum herum jede Menge Kabel und Zuleitungen. Dem Beobachter dämmert sofort: Dies hier ist kein gewöhnlicher Weinberg. Und der Mann, der den Tank auffüllt, vermutlich auch kein Winzer.

    "Hier kann später dann der Winzer seinen Tankwagen anschließen. Aus diesem Tank entspringen dann weitere Schläuche, die dann das Wasser über die Pumpen bis in die Leitbahnen der Reben transportieren."

    Andreas Düker ist wirklich kein Winzer, sondern: Biologe. Er forscht bei der RLP AgroScience GmbH in Neustadt an der Weinstraße. Dort betreibt man anwendungsorientierte Agrarforschung; dort stehen auch die verkabelten Versuchszeilen von Dükers Arbeitsgruppe. Der Wissenschaftler hat eine Vision: Weinbau soll in Zukunft möglich sein, ohne dass Pflanzenschutzmittel in die Umwelt gelangen. Das funktioniert, wenn man die Pestizide nicht wie bisher im Weinberg versprüht, sondern direkt in die Rebstöcke injiziert. Bei Straßen- und Parkbäumen gebe es die so genannte Stammapplikation schon länger, sagt Düker. Nicht aber in der Landwirtschaft:

    "Die Neuerung bei unserer Stammapplikation ist natürlich, dass wir jetzt nicht von Rebe zu Rebe jedes Frühjahr marschieren und dort eine einzelne Stammapplikation setzen können. Deswegen ist unser Anliegen hier ein vernetztes System, das über mehrere Jahre funktionstüchtig bleibt und das zentral im Weinberg angefahren werden kann."

    Es ist ein bisschen so wie auf der Intensivstation: Der Patient hängt am Tropf, und gelegentlich gibt es eine Infusion direkt in die Blutbahn. Auch die Versuchsreben tragen Injektionskanülen. Die Forscher haben sie mit einer Spezialzange in die Stämme getrieben. So verschaffen sie sich einen Zugang zu den Wasser-Leitungsbahnen im Holz der Reben. Fehlt noch der Schlauch-Anschluss, und schon lassen sich wässrige Lösungen von Pflanzenschutzmitteln direkt in die Reben pumpen. Die Pflanzen befördern sie dann bis in die Blätter.

    Seit fünf Jahren wird in Neustadt an dem System getüftelt, mit Fördermitteln des Bundesforschungsministeriums. Inzwischen ist eine größere Demonstrationsanlage geplant, mit voraussichtlich 60 Rebstöcken. Der Geschäftsführer von RLP AgroScience, Roland Kubiak:

    "Wir haben ein Patent beantragt. Und überlegen zur Zeit, ob wir das im gesamten europäischen Rahmen anmelden."

    Der Charme der Stammapplikation liegt für den Agrar-Ingenieur nicht nur darin, dass kein Ackergift mehr in die Umwelt gelangt. Man benötigt auch viel weniger Wirkstoff, wenn die Pestizide direkt in die Leitungsbahnen der Reben fließen. Bei Tests mit Fungiziden gegen Pilzschädlinge habe sich gezeigt, ...

    "... dass wir mit einer Menge auskommen, die etwa 0,1 bis ein Prozent der normalen, heute notwendigen Aufwandmenge entspricht. Also insofern können wir schon um den Faktor 100 die Gesamtmenge reduzieren."

    Andreas Düker sieht Chancen für die Stammapplikation vor allem in Steillagen wie im Mosel- oder Rheintal:

    "Man muss sich da die Rückenspritze auf den Rücken schnallen, muss mit Seilzug-Unterstützung von Rebstock zu Rebstock. Ein Traktor ist da nicht einsetzbar. Hubschrauber, Flugzeug ist momentan sehr, sehr arg in der Diskussion. Insektizide sind zum Beispiel also jetzt schon verboten, mit dem Hubschrauber auszubringen."

    Das Injektionsverfahren hat aber auch Nachteile. Sämtliche Rebstöcke einer Anlage müssten am Anfang mühsam mit Kanülen ausgestattet werden. Das kostet Zeit - und Geld. Die Forscher glauben aber, dass sich die Anfangsinvestitionen lohnen und der "Rebschutz ohne Reue" am Ende nicht teurer wird als die normale, umweltbelastende Pestizidanwendung.