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Spur des Zerfalls

Physik. - Uran ist nicht gleich Uran, und anhand seiner Charakteristika lässt sich die Herkunft spaltbaren Materials ziemlich gut einengen. Doch bald werde es an geeigneten Wissenschaftlern für den Job des Nukleardetektiven mangeln, warnen US-Experten.

Von Arndt Reuning |
    "Uns stehen erstklassig ausgebildete Nuklear-Wissenschaftler zur Verfügung, aber für den Ernstfall sind es zu wenige."

    So Michael May von der Stanford University. Für solch einen Ernstfall gibt es zwei Szenarien:

    "Illegales Nuklearmaterial wird abgefangen. Das ist bisher schon oft passiert. Dann ist es Teil der Aufklärungsarbeit herauszufinden, woher das Material stammt und wie seine Geschichte aussieht. Und das andere Szenario, das zum Glück noch nicht eingetroffen ist, ist eine atomare Explosion unbekannten Ursprungs, ein Terroranschlag. In diesem Fall beschäftigen sich die Nuklearforensiker mit dem hochradioaktiven Staub, der sich überall verteilt. Allerdings: Das Personal und die Technik sind im Moment den Anforderungen nicht so gut gewachsen wie sie sein könnten, um mit solch einer Situation umzugehen."

    Geboren wurde die Idee der nuklearen Forensik zu Zeiten des Kalten Krieges, als das "Gleichgewicht des Schreckens" dafür sorgen sollte, dass keine Nation zum atomaren Erstschlag ausholt. Heutzutage werden die Forensiker beinahe noch dringender benötigt. Denn so zynisch es sich auch anhört: Woher sollte ein Staat - wie zum Beispiel die USA - wissen, gegen wen er einen Vergeltungsschlag führen soll, wenn die Bedrohung von einzelnen Terrorzellen ausgeht. Allerdings arbeiten heute in den Vereinigten Staaten nur noch ungefähr 35 bis 50 Nukleardetektive in nationalen Laboratorien des US-Energieministeriums. Die Hälfte davon wird in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren in den Ruhestand gehen. Das Problem ist der Nachwuchs: Viele amerikanische Universitäten haben ihre Angebote für Radiochemie stark gekürzt. Die AAAS und die Amerikanische Physikalische Gesellschaft, APS, haben nun überschlagen, welche Kapazitäten an Fachkräften für die Zukunft benötigt werden. Noch einmal Michael May:

    "Wir haben nicht bis auf den Dollar genau berechnet, welche Finanzierung wir brauchen. Aber wir haben abgeschätzt, wie viele Menschen wir benötigen, um die Pipeline wieder ausreichend aufzufüllen. Und wir haben vorgeschlagen: Fünfunddreißig Doktoranden über die nächsten zehn Jahre und danach drei bis vier pro Jahr."

    In Deutschland sieht die Situation etwas anders aus: Der Mangel ist nicht ganz so stark ausgeprägt. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs zu Beginn der Neuziger Jahre nahmen die Fälle von Nuklearschmuggel zu. Entsprechend früh wurden hier die Kapazitäten der Forensiker aufgebaut. Zum Beispiel am Institut für Transurane in Karlsruhe, das zur Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission gehört. Klaus Lützenkirchen leitet dort die Abteilung, die sich mit nuklearer Forensik beschäftigt.

    "Fachkräftemangel ist in den USA vielleicht noch ausgeprägter als in Europa. Trotzdem reden wir natürlich von geringen Abgängerzahlen. Also ich sag mal in Deutschland als grobe Schätzung vielleicht fünf bis – also zehn ist wahrscheinlich schon sehr hoch gegriffen pro Jahr, wobei in Deutschland klassisch die Situation eben die ist, dass ein promovierter Chemiker von jeglichem Industriebereich auch angeworben werden kann. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass der dann auch den nuklearen Bereich verlässt, ist im Allgemeinen sehr hoch."

    Um zu bestimmen, woher ein Fund stammt, beispielsweise ein Zylinder aus angereichertem Uran, wie er in Brennstäben verwendet wird, sind die Nukleardetektive zum einen auf ihre Messgeräte angewiesen: Sie können die Gammastrahlung messen, die Zusammensetzung der Probe oder die Oberflächenrauhigkeit. Das alles nützt ihnen aber nichts, solange sie nicht wissen, für welches Atomkraftwerk oder für welche Nuklearfabrik diese Werte charakteristisch sind. Die internationalen Datenbanken sind lange nicht vollständig, so Michael May.

    "Nukleare Forensik ist hauptsächlich ein internationales Unterfangen. Internationale Zusammenarbeit ist nötig, um den Weg des radioaktiven Materials zu verfolgen. Und wir brauchen internationale Datenbanken. Eine unserer wichtigsten Schlussfolgerungen ist: Wir müssen diese Datenbanken weiter verbessern."