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Stammland ade?

Bei den Liberalen im Südwesten heulen alle Alarmsirenen. Bei gerade fünf Prozent liegen sie in den aktuellen Umfragen. Trotzdem hält die FDP den Kurs, selbst bei ihrer Unterstützung für das Megaprojekt Stuttgart 21, das die Schwaben derzeit auf die Barrikaden treibt.

Von Michael Brandt |
    Gestern Nachmittag am Nordportal des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Zwei Abrissbagger arbeiten sich an den Resten des Nordflügels ab, der Bauzaun ist mit Transparenten, Plakaten und Aufklebern verziert: Zeichen des Protestes gegen Abriss und Neubau.

    Ausgerechnet hierher wagt sich Rose von Stein, die FDP-Fraktionsvorsitzende im Stuttgarter Gemeinderat:

    "Ich bin nicht zum Provozieren da. Ich habe das gleiche Recht hier zu sein wie alle anderen, und ich hoffe, dass es Gelegenheit gibt, miteinander zu diskutieren."

    Die resolute Dame ist für das Projekt. Ihre Haltung trägt sie als Button an der Bluse. "We love S 21" ist zu lesen. Mutig stürzt sich die FDP-Politikerin ins Getümmel. Sie sucht bewusst das Gespräch mit den Gegnern des unterirdischen Bahnhofsneubaus und wird auch schnell fündig:

    "Die ganzen Bäume wollen sie abholzen. - Wie viele Bäume wollen sie abholzen? - 108 Bäume - Wissen Sie wie viele Bäume jeden Tag in ganz Stuttgart abgeholzt und wieder ersetzt werden? - Das ist mir egal, mir geht es um die Bäume hier in meinem Park, wo ich jeden Tag bin."

    Es geht also um die Bäume im Schlosspark, die für den Neubau bald abgeholzt werden sollen. Die alten Bäume sind eines der Symbole der stuttgart21-Gegner geworden, die sie beschützen wollen. Aber auch das gibt es an diesem Nachmittag: ein Taxifahrer, der die FDP'lerin anspricht und fragt, ob er auch einen Pro-Button haben kann:

    "Einen haben Sie noch, her damit - für meinen Jungen, für meinen Sohnemann. Ich bin für Stuttgart 21."

    Der Taxifahrer ist auf die Demonstranten nicht gut zu sprechen, denn direkt vor dem Nordeingang ist ein großer Taxistand. Weil hier jedoch immer demonstriert wird, hat er keine Kunden. Der Taxifahrer gehört, da sind sich die Liberalen sicher, zur
    schweigenden Mehrheit. Zu den Stuttgartern, die für Stuttgart 21 sind, die es nur nicht so laut rausbrüllen wie die Gegner.

    "Es zeigt sich, dass die schweigende Mehrheit, die für dieses Projekt ist, jetzt doch aufwacht."

    Glaubt Armin Serwani, der FDP-Kreisvorsitzende. Tags zuvor hat er sich mit seinen Parteifreunden aus Stuttgart im Ratskeller getroffen. Und natürlich ging es auch auf dieser Sitzung vor allem um den Bahnhof. Rose von Stein hat sogar drei Kisten mit Buttons vor sich aufgebaut, die für Stuttgart 21 werben.

    "Wir haben inzwischen einen schwunghaften Devotionalienhandel mit Für-Stuttgart-21-Button. Wir haben den Button von der Bürgerinitiative, wir haben, den Button 'We love Stuttgart 2.' Ich kann von heute Nachmittag erzählen, ich bin mehrfach von Bürgern und Bürgern angesprochen worden - ich will auch einen. Das ist recht, dass Sie jetzt auch was machen. Und dann gibt es noch den mit Oben ohne, das ist eher was für die Buben."

    Die Buttons und die offenbar stürmische Nachfrage danach können indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass die FDP im Ländle ein Problem hat, und zwar gleich ein Doppeltes. Die eine Hälfte heißt Stuttgart 21 und die andere Guido Westerwelle, Philipp Rösler, Dirk Niebel, die Berliner Parteiprominenz eben, die auch im liberalen Stammland für bescheidene Umfrageergebnisse sorgen. So bescheiden, dass sich die FDP mit Blick auf die Landtagswahl im kommenden März vor der Fünf-Prozent-Hürde fürchten muss.

    Aber zumindest aus baden-württembergischer Sicht gibt es im Augenblick kaum personelle Alternativen, zumal mit Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel und Fraktionschefin Birgit Homburger zwei Südwest-FDP'ler in Berlin prominente Funktionen innehaben.

    So ist Serwani schon dankbar, dass in den eigenen Reihen seine Position uneingeschränkte Befürwortung des Bahnhofneubaus - unumstritten ist. Bei einer Regionalkonferenz seiner Partei am vergangenen Wochenende in Ulm gab es bei Stuttgart 21 jedenfalls keinen Gegenwind.

    "Jeder Kreisverband wollte solche Buttons haben und selbst Westerwelle hat ja von der Bühne runtergerufen, dass er so einen will - deshalb hab ich auch keinen mehr."

    Kritik an der eigenen Haltung - Fehlanzeige. Dafür hagelt es Kritik an der Bahn wegen mangelnder Kommunikation. Die Bahn aber auch alle anderen hätten das Feld viel zu lange den Gegnern überlassen, und deren Aussagen unwidersprochen gelassen, klagen die Liberalen:

    "Ich finde es wirklich grausam, wie diese Organisation mit den Ängsten und Gefühlen der Menschen spielt. Das ist für mich ganz entsetzlich."

    Das will man jetzt ändern und so begrüßen die Stuttgarter Liberalen auf ihrer Sitzung einen jungen Mann in geschniegeltem Anzug, der mit einigen Freunden ein Bündnis für Stuttgart 21, oder besser gegen die Gegner auf die Beine zu stellen versucht.

    "Es geht eben darum, dass Bürger auf die Straße gehen und sich outen und sagen: Wir sind auch da als Bürger und Befürworter."

    Die Befürworter haben eine Facebook-Community gegründet und angeblich nach wenigen Wochen bereits 32.000 Mitglieder, sie vertreiben die Buttons, die ihnen nach eigenen Angaben aus den Händen gerissen werden und sie organisieren den Lauf für Stuttgart 21: Immer donnerstags will ein Kreis von Unterstützer von Bad Cannstatt in Innenstadt laufen. Sie wollen heute Abend erstmals mit einer eigenen Kundgebung auf sich aufmerksam machen.

    Die Liberalen gehen für Stuttgart 21 in die Offensive - auch um Wählerstimmen zu sichern. Die Konfrontation scheuen sie offenbar nicht. Mittlerweile gehen sie gezielt zur Nordpforte des Bahnhofs und versuchen hier, ihre Argumente an den Mann zu bringen. Und so wollte es Landtagskandidat Michael Marquardt gestern Nachmittag auch kaum gelingen, einen Ausbaugegner zu finden. Zumindest zu diesem Zeitpunkt waren die Befürworter in der Überzahl und mit denen war man sich schnell einig, als es zum Beispiel um die Finanzierung des Projektes ging. Die Gegner sagen, die Milliarden seien im Nahverkehr oder den Schulen besser aufgehoben, der Kandidat entgegnet auf gut schwäbisch:

    "Das Geld, das hier bereitgestellt wird, isch für ein schienengebundenes Projekt und isch für Stuttgart 21. I sag e Beispiel aus der Praxis. Wenn'd Oma zu ihrem Enkele sagt: Wenn du dir eine Wohnung kaufsch, kriegsch 10.000 Euro. No kommt's Mädle nach ere Woch ond sagt: I will des Geld für a Cabrio. Wa sagt d'Oma no? - Du hasch ja wohl nen Knall."