Die Bilder des Krieges noch vor Augen, die Trümmer noch nicht ganz beseitigt, ist der Wunsch nach einem dauerhaften Frieden der Vater des Gedankens. Winston Curchill propagierte 1946 die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa. Doch konkrete Pläne lagen dazu noch nicht vor. Erst am 09. Mai 1950 trat der damalige französische Außenminister Robert Schumann an die Öffentlichkeit und machte Vorschläge, wie man die deutsche und die französische Stahlindustrie zusammenfassen und einer übergeordneten Behörde unterstellen könnte.
Robert Schumann: Europa lässt sich nicht mit einem Schlag herstellen. Die Vereinigung der europäischen Union erfordert, dass der jahrhundertealte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland ein Ende nimmt. In dieser Absicht schlägt die französische Regierung vor, die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion unter eine gemeinsame Oberste Aufsichtsbehörde zu stellen, die Organisation steht den anderen europäischen Ländern zum Beitritt offen.
Die Zusammenlegung der Produktion von Kohle und Stahl sollte - so fuhr Schumann fort - die gemeinsame Grundlage der wirtschaftlichen Entwicklung bilden, die erste Etappe der europäischen Föderation. Mit dem 'Schumann-Plan' war nicht nur der Grundstein für das Zusammenwachsen Europas gelegt, auch die Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland konnte beigelegt werden. Jahre später erinnerte sich Konrad Adenauer an ein Gespräch mit Robert Schumann:
Konrad Adenauer: Glauben sie nicht meine Damen und Herren, dass er die Montanunion vorgeschlagen hat aus wirtschaftlichen Gründen. Das war eine immanent politische Angelegenheit. Er sagte mir damals: bei uns in Frankreich besteht Sorge was Deutschland tun wird, wenn es sich nun eines Tages wieder erholt hat. Und so lange diese Sorge in Frankreich besteht, ist natürlich Frankreichs Politik von dieser Sorge beeinflusst ... Vorbereitungen zu einem Kriege machen sich immer zuerst bemerkbar auf dem Gebiet der Stahlproduktion, und dazu ist die Kohle nötig.
Mit dem Schumann-Plan sollte auch das Ruhrstatut, das bis dahin das Saargebiet als wichtigstes Industriegebiet der Bundesrepublik, unter alliierter Kontrolle hielt, aufgehoben werden. Am 18. April 1951 unterzeichneten die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Luxemburg und die Niederlande, den Vertrag über die Montanunion, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, kurz EGKS. Eine Hohe Behörde - unter Leitung des Franzosen Jean Monnet wurde ins Leben gerufen, sie nahm die Exekutivrechte wahr. Der besondere Ministerrat war für die politischen Richtlinien und das Legislativrecht zuständig, ein Gerichtshof für die Einhaltung der Verträge. Und auch eine Art Debattiergremium, als späteres Parlament gedacht, wurde gegründet:
Konrad Adenauer: Durch Ihre Konstituierung machen unsere Pläne zur Schaffung eines neuen Europa einen weiteren großen Fortschritt.
Große Worte des Kanzlers Konrad Adenauer zu den Mitgliedern der Gemeinsamen Versammlung 1952. Doch mehr als debattieren, kontrollieren und berichten durften sie nicht. Und so hieß es auch nicht Parlament, sondern Gemeinsame Versammlung. Von Anfang an war in den Verträgen den Mitgliedern als Aufgabe zugedacht, Direktwahlen vorzubereiten. Doch bis es soweit war, sollten noch viele Jahre vergehen. Dafür wurde schon bald nach Gründung der Montanunion von Vertretern der EGKS-Staaten ein weiterer Vertrag auf den Weg gebracht. Der Vertrag zur Errichtung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Doch zur Verwirklichung kam es nicht. Mitte der 50er Jahre scheiterte die EVG in der französischen Nationalversammlung. Stattdessen rückte die Wirtschaftspolitik in den Vordergrund:
Konrad Adenauer: Der Freude darüber, dass es uns vergönnt ist den großen Schritt zur Einigung Europas zu tun, der in der Unterzeichnung der beiden Verträge liegt, dieser Freude möchte ich doch Ausdruck verleihen.
Am 25. März 1957 unterzeichneten die Beneluxstaaten, Frankreich, Deutschland und Italien auf dem Kapitol in Rom die Verträge zur Europäischen Atomgemeinschaft - Euratom und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - EWG. Wichtigster Vertrag aus heutiger Sicht war der zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
Walter Hallstein: Der Vertrag regelt nicht, wie ein gewöhnliches Wirtschafts- und Handelsabkommen nur Rechte und Pflichten der beteiligten Staaten auf zwischenstaatlicher Grundlage, der Vertrag ruft vielmehr ein europäisches Gebilde mit besonderen organisatorischen Elementen ins Leben.
Ein Deutscher - Walter Hallstein - war es, der zum ersten Präsidenten der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gewählt wurde. Zuvor hatte er noch als Staatsekretär im Auswärtigen Amt unter Adenauer an der Ausarbeitung des Vertragswerkes mitgewirkt. Mit Inkrafttreten des Vertrags zum 1. Januar 1958 wurde innerhalb der Gemeinschaft eine zehnprozentige Zollsenkung wirksam. Hemmnisse für den freien Waren- Kapital- und Dienstleistungsverkehr sollten beseitigt, innerhalb von 12 Jahren ein gemeinsamer europäischer Markt verwirklicht werden. Die Agrarpolitik wurde nun zur gemeinsamen Politik erklärt. Ähnlich wie die Montanunion hatte auch die Wirtschaftsgemeinschaft eigene Institutionen, eine Kommission mit Exekutivgewalt und einen Ministerrat. Dabei sollte die Kommission - wie auch heute noch - die gemeinschaftlichen Interessen vertreten, Vorschläge und Ideen entwickeln. Dem Ministerrat fiel - und fällt - als Vertreter der Mitgliedsländer, die Aufgabe zu, Entscheidungen zu treffen, und die nationalen Politiken zu koordinieren. Der Gerichtshof sollte für alle drei Gemeinschaften zuständig sein, ebenso wie die Gemeinsame Versammlung, der ihre Vertreter während ihrer ersten konstituierenden Sitzung in Straßburg einen neuen Namen gaben: Europäisches Parlament. Noch immer waren sie von ihrem Ziel, direkt gewählt zu werden, weit entfernt. Im Jahr 1960 legten sie einen Entwurf zu den europäischen Parlamentswahlen vor. Doch der damalige Präsident Hans Furler brachte aus einem Gespräch mit dem französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle schlechte Nachrichten mit:
Hans Furler: Ich verrate ja wohl kein Geheimnis, wenn ich sage, dass der Präsident glaubt, dass gegenwärtig in absehbarer Zeit die Wahlen nicht opportun wären. Er ist der Meinung, die Zeit sei noch nicht reif.
Und auch die Kommission hatte Mühe ihre Ziele durchzusetzen. Ihr Anliegen als Vertreter der Gemeinschaftsinteressen - ihre Zuständigkeiten zu erweitern - machte den Mitarbeitern in Brüssel die Zusammenarbeit mit den nationalen politischen Institutionen schwer, erinnert sich der damalige Kabinettschef der Kommission unter Walter Hallstein, Karl-Heinz Narjes:
Karl-Heinz Narjes: Jeder Bürokrat fühlte sich an seinem Schreibtisch beengt, durch Brüssel. Brüssel war der Inbegriff der Bedrohung jedes Bürokraten ... jeder verstand sich selbst als den eigenen Wahrer nationaler Interessen, da mussten wir uns durchsetzen.
Doch die Brüsseler hatten mit einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik gute Argumente in der Hand. Zu Beginn der 60er Jahre begann Europa beachtliche Wachstumsraten vorzuweisen, zwischen 1963 und 73, also innerhalb von zehn Jahren, waren es 65 Prozent. Die Auseinandersetzungen allerdings, die sich um die Struktur und die Rolle der Europäischen Institutionen rankten, konnte auch eine günstige Wirtschaftsbilanz nicht überdecken. Die Gemeinschaft stürzte Mitte der 60er Jahre in die erste schwere Krise. An den Ausspruch Charles de Gaulles erinnert sich Karl-Heinz Narjes noch sehr gut: Die Verträge sind nicht schlecht, aber die Institutionen.
Karl-Heinz Narjes: Les Traites ne sont pas mal, mais les institutions, er wusste genau, wie es Theater spielen musste als großer Führer, nicht wahr, mais les institutions...
de Gaulle: contribue a construiere L'europe... ...mit zu wirken beim Aufbau Europas auf dem Gebiet der Politik d.h. vor allem der Verteidigung und der Wirtschaft um ein gemeinsames Europa wieder entstehen zu lassen.
Das waren die Ziele De Gaulles, aber:
Karl-Heinz Narjes: La commission Hallstein hat ihn gestört. Hier entwickelte sich auf einmal Autorität in innenpolitischen Angelegenheiten, die nicht die de Gaullsche war.
Hinzu kam, dass das Abstimmungsverhältnis im Ministerrat, von der Einstimmigkeit hin zur qualifizierten Mehrheit, geändert werden sollte, laut Vertrag ab dem 1. Januar 1966. Zwei Dinge - fürchtete de Gaulle, könnten gegen den Willen Frankreichs im Rat durchgesetzt werden: der Beitritt Großbritanniens, und die Erweiterung der Kompetenzen der europäischen Institutionen auf Kosten der Mitgliedstaaten. Kurzerhand nahm der Vertreter Frankreichs an den Sitzungen des Ministerrats nicht mehr teil. Um diese Blockadepolitik aufzulösen, musste ein Kompromiss gefunden werden. Fortan suchte man in kontroversen Angelegenheiten den Konsens. War der nicht zu finden, konnte ein Land von seinem Veto-Recht gebrauch machen. Frankreich konnte zufrieden sein, denn tatsächlich war der Luxemburger Kompromiss kein Kompromiss, sondern, so sieht es auch Karl-Heinz Narjes im Rückblick:
Karl-Heinz Narjes: Das war ein Agreement to disagree, nicht, wir einigen uns auf nichts, und machen so weiter, lassen es also auf den nächsten Zwischenfall ankommen.
Walter Hallstein wurde als Kommissionspräsident der Wirtschaftsgemeinschaft 1967 von Jean Rey abgelöst. Mit dem Kompromiss und dem Amtswechsel nahm auch der Vertreter Frankreichs wieder an den Sitzungen teil. Im selben Jahr fusionierten die Organe der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der Wirtschaftsgemeinschaft und der EURATOM, ein gemeinsamer Ministerrat und eine gemeinsame Kommission entstanden. Die 'Politik des leeren Stuhls' wie der Rückzug Frankreichs aus dem Ministerrat genannt wurde, hatte weitreichende Konsequenzen für die Entwicklung der Europäischen Integration, Einer der damaligen Streitpunkte, der Beitritt Großbritanniens, wurde mit dem Regierungswechsel in Paris beigelegt. Georges Pompidou hatte die Nachfolge de Gaulles als Staatspräsident angetreten. Im Januar 1972, war es dann soweit, neben Großbritannien wurden Dänemark und Irland im Kreis der Gemeinschaftsmitglieder begrüßt. Die erste Krise überwunden, marschierte die nun auf neun Mitgliedstaaten angewachsene Gemeinschaft bereits auf die nächste zu; Eurosklerose genannt.
Willi Brandt: Die europäische Einheit wird uns nicht von den Regierungen auf silbernen Tabletts serviert. So geht es in der Geschichte nicht zu. Europa muss erkämpft werden.
Kämpferische Worte des SPD-Vorsitzende Willi Brandt 1977. Unter dem Druck der Öl- und Dollarkrise Anfang der 70er Jahre war der europäische Wechselkursverbund gebrochen. Die Wirtschaft - bis dahin von Wachstum geprägt - geriet erstmals in einen Schrumpfungsprozess. Sinkende Wachstumsraten und steigende Arbeitslosenzahlen ließen die Regierungen aller EG-Mitgliedsstaaten zunehmend von einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik zugunsten der eigenen ablassen. Kein Wunder, dass auch CSU-Politiker Franz-Josef Strauß besorgt nach Brüssel schaute:
Franz-Josef Strauß: Nicht nur mich beschleicht seid Jahren Monaten die immer stärker werdende Furcht, dass es sich hier nicht nur um einen Stillstand handelt, sondern um einen schweren Rückschlag aus einer Reihe von Gründen eingetreten ist. Mein Gott, was soll aus Europa werden?
Die Ziele der Römischen Verträge von 1957/58 - die friedliche Nutzung der Atomenergie, die Vergemeinschaftung der Agrarpolitik, der Gemeinsame Markt - waren weitestgehend erfüllt. Nicht zuletzt um der schwindenden Popularität der Europa-Politik entgegen zu treten, wurden Reformpläne geschmiedet, es mussten neue Ziele gefunden werden. Im Februar 1987 war es dann soweit, die Mitgliedstaaten unterzeichneten die Einheitliche Europäische Akte. Die auf 12 Mitgliedsländer angewachsene Gemeinschaft - Griechenland, Spanien und Portugal hatten sich inzwischen angeschlossen, schufen erstmals eine vertragliche Grundlage und damit auch eine rechtlich verbindliche Basis für eine Europäische Politische Zusammenarbeit - EPZ. Diese beiden Säulen, die Europäische Gemeinschaft und die EPZ wurden vertraglich miteinander verknüpft und auf das gemeinsame Ziel einer Europäischen Union ausgerichtet. Für die meisten Entscheidungen, die der Rat im Zusammenhang mit der Schaffung des Binnenmarktes zu fällen hatte, sollte nun die qualifizierte Mehrheit ausreichen. Damit war auf diesem Gebiet die Grundlage für ein zügiges Entscheidungsverfahren geschaffen. Doch kaum war die Einheitliche Europäische Akte beschlossen, kündigten sich weitreichende Umbrüche an:
Willi Brandt: Die alte Ostgrenze kommt nicht wieder, neu müssen wir zusammen kommen, eine neue Vereinigung.
Die Mauer fiel, Deutschland und Europa mussten umdenken:
Richard von Weizsäcker: Wir Deutschen werden unseren Interessen am besten dienen, und Sorgen unserer Partner am ehesten zerstreuen, wenn wir uns in der Stärkung der Gemeinschaft von niemandem übertreffen lassen, und wenn wir ohne jede Verzögerung auf dem Wege zur Wirtschafts- und Währungsunion und zur politischen Union weitergehen, so wie wir es zugesagt haben.
Worte, die der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker an die europäischen Partner richtete. Kurz darauf wurde in Maastricht ein neuer Europa-Vertrag aufgesetzt. In ihm konnten die Folgen der Umbrüche in Osteuropa und der darauf folgenden zahlreichen Beitrittsgesuche noch nicht berücksichtigt werden.
Kernstück des Vertrages war die stufenweise Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion bis zum Januar 1999. Von Anfang an machte Großbritannien deutlich, dass es eine Sonderregelung wünsche. Der britische Premierminister John Major konnte mit dem Ausgang der Maastrichter Verhandlungen zufrieden sein:
John Major: Unser Hauptziel beim Vertrag zur Wirtschafts- und Währungsunion war eine juristisch wasserdichte Klausel, die es Großbritannien frei stellt, die Einheitswährung einzuführen, und uns den Eintritt zur Währungsunion frei wählen lässt. Dieses Ziel haben wir durch ein juristisch bindendes Zusatzprotokoll erreicht, das integraler Bestandteil des Vertrages ist.
Mit Maastricht sollte ein großer Schritt auf dem Weg zur europäischen Integration gemacht, ein Meilenstein gesetzt werden. Doch viele Kompromisse waren nötig. Was sich mit Großbritanniens Sonderrolle in der Sozial- und Wirtschaftspolitik bereits abgezeichnet hatte, verdichtete sich im Sommer 1992, als sich Dänemarks Bevölkerung gegen den Vertrag aussprach. Das französische Votum im darauffolgenden Herbst fiel denkbar knapp aus. Der damalige Präsident der Europäischen Kommission, Jaques Delors, fasste in einem Aufsatz die Stimmung in Europa nach Maastricht folgendermaßen zusammen:
Jaques Delors: 'Es gibt eine doppelte Kluft - eine Kluft zwischen den Zielsetzungen des Maastrichter Vertrages und der Bereitschaft von Teilen der Bevölkerung, diese Mitzutragen; und es gibt eine Kluft zwischen dem Vertragsinhalt und den Anforderungen, die in der heutigen interdependenten Welt an die Gemeinschaft gestellt werden.'
Das bedeutendste am Vertrag von Maastricht war die Entscheidung, eine gemeinsame Währung einzuführen. Für die neue Herausforderung Osterweiterung jedoch bedurfte es einer Vertragsfortschreibung. Im Juni 1994 stellte der Europäische Rat auf Korfu eine 15-köpfige Gruppe zusammen, die aus Vertretern der Außenminister der Mitgliedstaaten, einem Vertreter der Kommission und zwei Beobachtern des Europäischen Parlaments bestand. Bis Juni 1997 sollte es noch dauern, bis die Ergebnisse in Amsterdam vorlagen und am 2. Oktober endlich der neue Vertrag unterzeichnet wurde. Die EU war inzwischen mit den Beitritten Finnlands, Österreichs und Schwedens, auf 15 Mitglieder angewachsen. Die für eine Osterweiterung dringend notwendige Reform der Entscheidungsprozesse in der Europäischen Union blieb zunächst ausgeklammert. Zwar wurden die Rechte des Europäischen Parlaments ausgeweitet, wie der SPD-Europa-Politiker Klaus Hänsch zusammenfasste:
Klaus Hänsch: Künftig werden 3/4 der europäischen Gesetzgebung ohne das Parlament nicht beschlossen werden können, und künftig wird der Präsident der Europäischen Kommission vom Europäischen Parlament gewählt werden.
Auch die Zusammenarbeit der EU-Länder in der Beschäftigungs-, Rechts-, Sicherheits- und Außenpolitik sollte gestärkt, den EU-Bürgern mehr Rechte unter anderem im Verbraucherschutz eingeräumt werden. Doch Kritiker bemängelten vor allem, dass die Reformen der Institutionen - der Europäischen Kommission und des Ministerrats - vertagt worden seien. Wie viele Mitglieder soll die Europäische Kommission nach dem Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten haben, wie soll sie zusammengesetzt sein? Wie soll die Stimmgewichtung im Rat aussehen, sollen die Abstimmungen eventuell häufiger mit qualifizierter Mehrheit erfolgen, kurz: wie können Rat, Kommission und Parlament künftig auch mit über 20 oder gar 30 Mitgliedsstaaten effektiv arbeiten? Um diese Fragen zu klären, eröffneten im Februar diesen Jahres die Außenminister der 15 Mitgliedstaaten eine Regierungskonferenz, ein neuer Vertrag soll im Dezember vom Europäischen Rat in Nizza verabschiedet werden.
Musik: Europa-Hymne, Ode an die Freude...
50 Jahre sind seit der Veröffentlichung des Schumann-Plans vergangen. Die Europäische Union hat eine eigene Hymne - die Ode an die Freude, und eine eigene Flagge, doch von einer Identifizierung der Bürger mit Europa ist man noch weit entfernt. Europa lässt sich nicht mit einem Schlag herstellen; die Worte Robert Schumanns von vor 50 Jahren sind nach wie vor aktuell. Gleichwohl hat sich seither viel geändert: Mehr als 600 direkt gewählte Abgeordnete arbeiten in acht Fraktionen im Europäischen Parlament. Mit neuen Befugnissen ausgestattet, vertritt es 370 Millionen Bürger und kontrolliert die Arbeit der Kommission. Das Gemeinschaftsrecht greift tief in die Rechtswirklichkeit der Mitgliedstaaten, Richtlinien sind verbindlich in der nationalen Gesetzgebung zu verankern. Jährlich legt die Kommission dem Rat mehrere hundert Gesetzesvorschläge vor. Die Rechtssetzungs- und Entscheidungsbefugnis ist beim Ministerrat geblieben. Die Tatsache, dass in diesem Gremium die Vertreter der 15 Mitgliedstaaten ihre Interessen geltend machen, macht die Entscheidungsfindung nach wie vor nicht einfach. Trotzdem sind die Ziele der Union für die nächsten Jahre bereits festgesteckt: die Bestimmungen des Vertrags von Amsterdam müssen umgesetzt, die Union um die beitrittswilligen Länder - wie es in der Agenda 2000 im vergangenen Jahr in Berlin festgelegt wurde - erweitert werden. Und ab übernächstem Jahr soll der Euro in den Portemonnaies der europäischen Bürger die Landeswährung ersetzen. Statt D-Mark, France oder Lire, wird es dann heißen:
O-Ton: 'Euro' (in 14 Sprachen)
Robert Schumann: Europa lässt sich nicht mit einem Schlag herstellen. Die Vereinigung der europäischen Union erfordert, dass der jahrhundertealte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland ein Ende nimmt. In dieser Absicht schlägt die französische Regierung vor, die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion unter eine gemeinsame Oberste Aufsichtsbehörde zu stellen, die Organisation steht den anderen europäischen Ländern zum Beitritt offen.
Die Zusammenlegung der Produktion von Kohle und Stahl sollte - so fuhr Schumann fort - die gemeinsame Grundlage der wirtschaftlichen Entwicklung bilden, die erste Etappe der europäischen Föderation. Mit dem 'Schumann-Plan' war nicht nur der Grundstein für das Zusammenwachsen Europas gelegt, auch die Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland konnte beigelegt werden. Jahre später erinnerte sich Konrad Adenauer an ein Gespräch mit Robert Schumann:
Konrad Adenauer: Glauben sie nicht meine Damen und Herren, dass er die Montanunion vorgeschlagen hat aus wirtschaftlichen Gründen. Das war eine immanent politische Angelegenheit. Er sagte mir damals: bei uns in Frankreich besteht Sorge was Deutschland tun wird, wenn es sich nun eines Tages wieder erholt hat. Und so lange diese Sorge in Frankreich besteht, ist natürlich Frankreichs Politik von dieser Sorge beeinflusst ... Vorbereitungen zu einem Kriege machen sich immer zuerst bemerkbar auf dem Gebiet der Stahlproduktion, und dazu ist die Kohle nötig.
Mit dem Schumann-Plan sollte auch das Ruhrstatut, das bis dahin das Saargebiet als wichtigstes Industriegebiet der Bundesrepublik, unter alliierter Kontrolle hielt, aufgehoben werden. Am 18. April 1951 unterzeichneten die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Luxemburg und die Niederlande, den Vertrag über die Montanunion, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, kurz EGKS. Eine Hohe Behörde - unter Leitung des Franzosen Jean Monnet wurde ins Leben gerufen, sie nahm die Exekutivrechte wahr. Der besondere Ministerrat war für die politischen Richtlinien und das Legislativrecht zuständig, ein Gerichtshof für die Einhaltung der Verträge. Und auch eine Art Debattiergremium, als späteres Parlament gedacht, wurde gegründet:
Konrad Adenauer: Durch Ihre Konstituierung machen unsere Pläne zur Schaffung eines neuen Europa einen weiteren großen Fortschritt.
Große Worte des Kanzlers Konrad Adenauer zu den Mitgliedern der Gemeinsamen Versammlung 1952. Doch mehr als debattieren, kontrollieren und berichten durften sie nicht. Und so hieß es auch nicht Parlament, sondern Gemeinsame Versammlung. Von Anfang an war in den Verträgen den Mitgliedern als Aufgabe zugedacht, Direktwahlen vorzubereiten. Doch bis es soweit war, sollten noch viele Jahre vergehen. Dafür wurde schon bald nach Gründung der Montanunion von Vertretern der EGKS-Staaten ein weiterer Vertrag auf den Weg gebracht. Der Vertrag zur Errichtung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Doch zur Verwirklichung kam es nicht. Mitte der 50er Jahre scheiterte die EVG in der französischen Nationalversammlung. Stattdessen rückte die Wirtschaftspolitik in den Vordergrund:
Konrad Adenauer: Der Freude darüber, dass es uns vergönnt ist den großen Schritt zur Einigung Europas zu tun, der in der Unterzeichnung der beiden Verträge liegt, dieser Freude möchte ich doch Ausdruck verleihen.
Am 25. März 1957 unterzeichneten die Beneluxstaaten, Frankreich, Deutschland und Italien auf dem Kapitol in Rom die Verträge zur Europäischen Atomgemeinschaft - Euratom und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - EWG. Wichtigster Vertrag aus heutiger Sicht war der zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
Walter Hallstein: Der Vertrag regelt nicht, wie ein gewöhnliches Wirtschafts- und Handelsabkommen nur Rechte und Pflichten der beteiligten Staaten auf zwischenstaatlicher Grundlage, der Vertrag ruft vielmehr ein europäisches Gebilde mit besonderen organisatorischen Elementen ins Leben.
Ein Deutscher - Walter Hallstein - war es, der zum ersten Präsidenten der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gewählt wurde. Zuvor hatte er noch als Staatsekretär im Auswärtigen Amt unter Adenauer an der Ausarbeitung des Vertragswerkes mitgewirkt. Mit Inkrafttreten des Vertrags zum 1. Januar 1958 wurde innerhalb der Gemeinschaft eine zehnprozentige Zollsenkung wirksam. Hemmnisse für den freien Waren- Kapital- und Dienstleistungsverkehr sollten beseitigt, innerhalb von 12 Jahren ein gemeinsamer europäischer Markt verwirklicht werden. Die Agrarpolitik wurde nun zur gemeinsamen Politik erklärt. Ähnlich wie die Montanunion hatte auch die Wirtschaftsgemeinschaft eigene Institutionen, eine Kommission mit Exekutivgewalt und einen Ministerrat. Dabei sollte die Kommission - wie auch heute noch - die gemeinschaftlichen Interessen vertreten, Vorschläge und Ideen entwickeln. Dem Ministerrat fiel - und fällt - als Vertreter der Mitgliedsländer, die Aufgabe zu, Entscheidungen zu treffen, und die nationalen Politiken zu koordinieren. Der Gerichtshof sollte für alle drei Gemeinschaften zuständig sein, ebenso wie die Gemeinsame Versammlung, der ihre Vertreter während ihrer ersten konstituierenden Sitzung in Straßburg einen neuen Namen gaben: Europäisches Parlament. Noch immer waren sie von ihrem Ziel, direkt gewählt zu werden, weit entfernt. Im Jahr 1960 legten sie einen Entwurf zu den europäischen Parlamentswahlen vor. Doch der damalige Präsident Hans Furler brachte aus einem Gespräch mit dem französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle schlechte Nachrichten mit:
Hans Furler: Ich verrate ja wohl kein Geheimnis, wenn ich sage, dass der Präsident glaubt, dass gegenwärtig in absehbarer Zeit die Wahlen nicht opportun wären. Er ist der Meinung, die Zeit sei noch nicht reif.
Und auch die Kommission hatte Mühe ihre Ziele durchzusetzen. Ihr Anliegen als Vertreter der Gemeinschaftsinteressen - ihre Zuständigkeiten zu erweitern - machte den Mitarbeitern in Brüssel die Zusammenarbeit mit den nationalen politischen Institutionen schwer, erinnert sich der damalige Kabinettschef der Kommission unter Walter Hallstein, Karl-Heinz Narjes:
Karl-Heinz Narjes: Jeder Bürokrat fühlte sich an seinem Schreibtisch beengt, durch Brüssel. Brüssel war der Inbegriff der Bedrohung jedes Bürokraten ... jeder verstand sich selbst als den eigenen Wahrer nationaler Interessen, da mussten wir uns durchsetzen.
Doch die Brüsseler hatten mit einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik gute Argumente in der Hand. Zu Beginn der 60er Jahre begann Europa beachtliche Wachstumsraten vorzuweisen, zwischen 1963 und 73, also innerhalb von zehn Jahren, waren es 65 Prozent. Die Auseinandersetzungen allerdings, die sich um die Struktur und die Rolle der Europäischen Institutionen rankten, konnte auch eine günstige Wirtschaftsbilanz nicht überdecken. Die Gemeinschaft stürzte Mitte der 60er Jahre in die erste schwere Krise. An den Ausspruch Charles de Gaulles erinnert sich Karl-Heinz Narjes noch sehr gut: Die Verträge sind nicht schlecht, aber die Institutionen.
Karl-Heinz Narjes: Les Traites ne sont pas mal, mais les institutions, er wusste genau, wie es Theater spielen musste als großer Führer, nicht wahr, mais les institutions...
de Gaulle: contribue a construiere L'europe... ...mit zu wirken beim Aufbau Europas auf dem Gebiet der Politik d.h. vor allem der Verteidigung und der Wirtschaft um ein gemeinsames Europa wieder entstehen zu lassen.
Das waren die Ziele De Gaulles, aber:
Karl-Heinz Narjes: La commission Hallstein hat ihn gestört. Hier entwickelte sich auf einmal Autorität in innenpolitischen Angelegenheiten, die nicht die de Gaullsche war.
Hinzu kam, dass das Abstimmungsverhältnis im Ministerrat, von der Einstimmigkeit hin zur qualifizierten Mehrheit, geändert werden sollte, laut Vertrag ab dem 1. Januar 1966. Zwei Dinge - fürchtete de Gaulle, könnten gegen den Willen Frankreichs im Rat durchgesetzt werden: der Beitritt Großbritanniens, und die Erweiterung der Kompetenzen der europäischen Institutionen auf Kosten der Mitgliedstaaten. Kurzerhand nahm der Vertreter Frankreichs an den Sitzungen des Ministerrats nicht mehr teil. Um diese Blockadepolitik aufzulösen, musste ein Kompromiss gefunden werden. Fortan suchte man in kontroversen Angelegenheiten den Konsens. War der nicht zu finden, konnte ein Land von seinem Veto-Recht gebrauch machen. Frankreich konnte zufrieden sein, denn tatsächlich war der Luxemburger Kompromiss kein Kompromiss, sondern, so sieht es auch Karl-Heinz Narjes im Rückblick:
Karl-Heinz Narjes: Das war ein Agreement to disagree, nicht, wir einigen uns auf nichts, und machen so weiter, lassen es also auf den nächsten Zwischenfall ankommen.
Walter Hallstein wurde als Kommissionspräsident der Wirtschaftsgemeinschaft 1967 von Jean Rey abgelöst. Mit dem Kompromiss und dem Amtswechsel nahm auch der Vertreter Frankreichs wieder an den Sitzungen teil. Im selben Jahr fusionierten die Organe der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der Wirtschaftsgemeinschaft und der EURATOM, ein gemeinsamer Ministerrat und eine gemeinsame Kommission entstanden. Die 'Politik des leeren Stuhls' wie der Rückzug Frankreichs aus dem Ministerrat genannt wurde, hatte weitreichende Konsequenzen für die Entwicklung der Europäischen Integration, Einer der damaligen Streitpunkte, der Beitritt Großbritanniens, wurde mit dem Regierungswechsel in Paris beigelegt. Georges Pompidou hatte die Nachfolge de Gaulles als Staatspräsident angetreten. Im Januar 1972, war es dann soweit, neben Großbritannien wurden Dänemark und Irland im Kreis der Gemeinschaftsmitglieder begrüßt. Die erste Krise überwunden, marschierte die nun auf neun Mitgliedstaaten angewachsene Gemeinschaft bereits auf die nächste zu; Eurosklerose genannt.
Willi Brandt: Die europäische Einheit wird uns nicht von den Regierungen auf silbernen Tabletts serviert. So geht es in der Geschichte nicht zu. Europa muss erkämpft werden.
Kämpferische Worte des SPD-Vorsitzende Willi Brandt 1977. Unter dem Druck der Öl- und Dollarkrise Anfang der 70er Jahre war der europäische Wechselkursverbund gebrochen. Die Wirtschaft - bis dahin von Wachstum geprägt - geriet erstmals in einen Schrumpfungsprozess. Sinkende Wachstumsraten und steigende Arbeitslosenzahlen ließen die Regierungen aller EG-Mitgliedsstaaten zunehmend von einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik zugunsten der eigenen ablassen. Kein Wunder, dass auch CSU-Politiker Franz-Josef Strauß besorgt nach Brüssel schaute:
Franz-Josef Strauß: Nicht nur mich beschleicht seid Jahren Monaten die immer stärker werdende Furcht, dass es sich hier nicht nur um einen Stillstand handelt, sondern um einen schweren Rückschlag aus einer Reihe von Gründen eingetreten ist. Mein Gott, was soll aus Europa werden?
Die Ziele der Römischen Verträge von 1957/58 - die friedliche Nutzung der Atomenergie, die Vergemeinschaftung der Agrarpolitik, der Gemeinsame Markt - waren weitestgehend erfüllt. Nicht zuletzt um der schwindenden Popularität der Europa-Politik entgegen zu treten, wurden Reformpläne geschmiedet, es mussten neue Ziele gefunden werden. Im Februar 1987 war es dann soweit, die Mitgliedstaaten unterzeichneten die Einheitliche Europäische Akte. Die auf 12 Mitgliedsländer angewachsene Gemeinschaft - Griechenland, Spanien und Portugal hatten sich inzwischen angeschlossen, schufen erstmals eine vertragliche Grundlage und damit auch eine rechtlich verbindliche Basis für eine Europäische Politische Zusammenarbeit - EPZ. Diese beiden Säulen, die Europäische Gemeinschaft und die EPZ wurden vertraglich miteinander verknüpft und auf das gemeinsame Ziel einer Europäischen Union ausgerichtet. Für die meisten Entscheidungen, die der Rat im Zusammenhang mit der Schaffung des Binnenmarktes zu fällen hatte, sollte nun die qualifizierte Mehrheit ausreichen. Damit war auf diesem Gebiet die Grundlage für ein zügiges Entscheidungsverfahren geschaffen. Doch kaum war die Einheitliche Europäische Akte beschlossen, kündigten sich weitreichende Umbrüche an:
Willi Brandt: Die alte Ostgrenze kommt nicht wieder, neu müssen wir zusammen kommen, eine neue Vereinigung.
Die Mauer fiel, Deutschland und Europa mussten umdenken:
Richard von Weizsäcker: Wir Deutschen werden unseren Interessen am besten dienen, und Sorgen unserer Partner am ehesten zerstreuen, wenn wir uns in der Stärkung der Gemeinschaft von niemandem übertreffen lassen, und wenn wir ohne jede Verzögerung auf dem Wege zur Wirtschafts- und Währungsunion und zur politischen Union weitergehen, so wie wir es zugesagt haben.
Worte, die der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker an die europäischen Partner richtete. Kurz darauf wurde in Maastricht ein neuer Europa-Vertrag aufgesetzt. In ihm konnten die Folgen der Umbrüche in Osteuropa und der darauf folgenden zahlreichen Beitrittsgesuche noch nicht berücksichtigt werden.
Kernstück des Vertrages war die stufenweise Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion bis zum Januar 1999. Von Anfang an machte Großbritannien deutlich, dass es eine Sonderregelung wünsche. Der britische Premierminister John Major konnte mit dem Ausgang der Maastrichter Verhandlungen zufrieden sein:
John Major: Unser Hauptziel beim Vertrag zur Wirtschafts- und Währungsunion war eine juristisch wasserdichte Klausel, die es Großbritannien frei stellt, die Einheitswährung einzuführen, und uns den Eintritt zur Währungsunion frei wählen lässt. Dieses Ziel haben wir durch ein juristisch bindendes Zusatzprotokoll erreicht, das integraler Bestandteil des Vertrages ist.
Mit Maastricht sollte ein großer Schritt auf dem Weg zur europäischen Integration gemacht, ein Meilenstein gesetzt werden. Doch viele Kompromisse waren nötig. Was sich mit Großbritanniens Sonderrolle in der Sozial- und Wirtschaftspolitik bereits abgezeichnet hatte, verdichtete sich im Sommer 1992, als sich Dänemarks Bevölkerung gegen den Vertrag aussprach. Das französische Votum im darauffolgenden Herbst fiel denkbar knapp aus. Der damalige Präsident der Europäischen Kommission, Jaques Delors, fasste in einem Aufsatz die Stimmung in Europa nach Maastricht folgendermaßen zusammen:
Jaques Delors: 'Es gibt eine doppelte Kluft - eine Kluft zwischen den Zielsetzungen des Maastrichter Vertrages und der Bereitschaft von Teilen der Bevölkerung, diese Mitzutragen; und es gibt eine Kluft zwischen dem Vertragsinhalt und den Anforderungen, die in der heutigen interdependenten Welt an die Gemeinschaft gestellt werden.'
Das bedeutendste am Vertrag von Maastricht war die Entscheidung, eine gemeinsame Währung einzuführen. Für die neue Herausforderung Osterweiterung jedoch bedurfte es einer Vertragsfortschreibung. Im Juni 1994 stellte der Europäische Rat auf Korfu eine 15-köpfige Gruppe zusammen, die aus Vertretern der Außenminister der Mitgliedstaaten, einem Vertreter der Kommission und zwei Beobachtern des Europäischen Parlaments bestand. Bis Juni 1997 sollte es noch dauern, bis die Ergebnisse in Amsterdam vorlagen und am 2. Oktober endlich der neue Vertrag unterzeichnet wurde. Die EU war inzwischen mit den Beitritten Finnlands, Österreichs und Schwedens, auf 15 Mitglieder angewachsen. Die für eine Osterweiterung dringend notwendige Reform der Entscheidungsprozesse in der Europäischen Union blieb zunächst ausgeklammert. Zwar wurden die Rechte des Europäischen Parlaments ausgeweitet, wie der SPD-Europa-Politiker Klaus Hänsch zusammenfasste:
Klaus Hänsch: Künftig werden 3/4 der europäischen Gesetzgebung ohne das Parlament nicht beschlossen werden können, und künftig wird der Präsident der Europäischen Kommission vom Europäischen Parlament gewählt werden.
Auch die Zusammenarbeit der EU-Länder in der Beschäftigungs-, Rechts-, Sicherheits- und Außenpolitik sollte gestärkt, den EU-Bürgern mehr Rechte unter anderem im Verbraucherschutz eingeräumt werden. Doch Kritiker bemängelten vor allem, dass die Reformen der Institutionen - der Europäischen Kommission und des Ministerrats - vertagt worden seien. Wie viele Mitglieder soll die Europäische Kommission nach dem Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten haben, wie soll sie zusammengesetzt sein? Wie soll die Stimmgewichtung im Rat aussehen, sollen die Abstimmungen eventuell häufiger mit qualifizierter Mehrheit erfolgen, kurz: wie können Rat, Kommission und Parlament künftig auch mit über 20 oder gar 30 Mitgliedsstaaten effektiv arbeiten? Um diese Fragen zu klären, eröffneten im Februar diesen Jahres die Außenminister der 15 Mitgliedstaaten eine Regierungskonferenz, ein neuer Vertrag soll im Dezember vom Europäischen Rat in Nizza verabschiedet werden.
Musik: Europa-Hymne, Ode an die Freude...
50 Jahre sind seit der Veröffentlichung des Schumann-Plans vergangen. Die Europäische Union hat eine eigene Hymne - die Ode an die Freude, und eine eigene Flagge, doch von einer Identifizierung der Bürger mit Europa ist man noch weit entfernt. Europa lässt sich nicht mit einem Schlag herstellen; die Worte Robert Schumanns von vor 50 Jahren sind nach wie vor aktuell. Gleichwohl hat sich seither viel geändert: Mehr als 600 direkt gewählte Abgeordnete arbeiten in acht Fraktionen im Europäischen Parlament. Mit neuen Befugnissen ausgestattet, vertritt es 370 Millionen Bürger und kontrolliert die Arbeit der Kommission. Das Gemeinschaftsrecht greift tief in die Rechtswirklichkeit der Mitgliedstaaten, Richtlinien sind verbindlich in der nationalen Gesetzgebung zu verankern. Jährlich legt die Kommission dem Rat mehrere hundert Gesetzesvorschläge vor. Die Rechtssetzungs- und Entscheidungsbefugnis ist beim Ministerrat geblieben. Die Tatsache, dass in diesem Gremium die Vertreter der 15 Mitgliedstaaten ihre Interessen geltend machen, macht die Entscheidungsfindung nach wie vor nicht einfach. Trotzdem sind die Ziele der Union für die nächsten Jahre bereits festgesteckt: die Bestimmungen des Vertrags von Amsterdam müssen umgesetzt, die Union um die beitrittswilligen Länder - wie es in der Agenda 2000 im vergangenen Jahr in Berlin festgelegt wurde - erweitert werden. Und ab übernächstem Jahr soll der Euro in den Portemonnaies der europäischen Bürger die Landeswährung ersetzen. Statt D-Mark, France oder Lire, wird es dann heißen:
O-Ton: 'Euro' (in 14 Sprachen)