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"Stehplätze dürften nicht zur Disposition stehen"

Das Sicherheitskonzept der Deutschen Fußball-Liga stößt bei den Fans auf Ablehnung. Moniert werden der fehlende Dialog und die schärferen Sanktionen. Die Verantwortlichen wären gut beraten, die Gespräche mit den Fans zu suchen, sagt der Fanforscher Gunter A. Pilz.

Gunter A. Pilz im Gespräch mit Petra Ensminger | 02.11.2012
    Christoph Heinemann: Gewalttäter sorgen im deutschen Fußball weiter für Probleme. Die Debatte über neue Sicherheitskonzepte aber stecken in der Sackgasse. Die Polizei will die Konsequenzen und Gefahren nicht allein tragen und fordert die Politik und die Klubs zu größerer Unterstützung auf. Die Fans wehren sich gegen das neue Strategiepapier "Sicheres Stadionerlebnis", das der Deutsche Fußballbund und die Fußball-Liga schnell zur Abstimmung stellen wollten. So lässt sich das Ergebnis des gestrigen Fangipfels zusammenfassen. – Meine Kollegin Petra Ensminger hat darüber mit dem Sportsoziologen und Fanforscher Gunter Pilz gesprochen, er ist der Leiter der Kompetenzgruppe Fankulturen am Institut für Sportwissenschaft der Leibnitz Universität in Hannover. Und sie wollte von ihm wissen, ob er es auch so sieht wie der Sicherheitsbeauftragte des FC St. Pauli, Sven Brux, der über das Papier der Deutschen Fußball-Liga gesagt hat, es sollte in die Tonne gekloppt werden, man sollte bei null anfangen.

    Gunter A. Pilz: Nein, ich würde so weit nicht gehen, weil ich kann den Sven Brux zwar verstehen, weil die Art und Weise, wie dieses Papier entstanden ist, natürlich genau ein Affront war gegen alle die, die von Dialog und Kommunikation reden und sagen, wie wichtig es ist, dass Fans einbezogen werden in Entscheidungen. Aber wenn man mal den Inhalt des Papiers anschaut, dann sind nach meiner festen Überzeugung über 90 Prozent dessen, was da drinsteht, Dinge, die auch jeder Fan, wenn er nicht nur auf Randale aus ist, ohne Zögern mit unterschreiben würde.

    Petra Ensminger: Wenn das so ist – die Fanvertreter haben ja auch jetzt vorgeschlagen, dass gemeinsam an einem Konzept gearbeitet wird, warum hat das die DFL nicht von vornherein gemacht? Was glauben Sie?

    Pilz: Man kann ja nur Vermutungen anstellen. Aber es gibt natürlich einen zentralen Punkt: Die DFL steht massiv unter Druck seitens der Innenminister, die da massiven Druck machen, den ich übrigens überhaupt nicht nachvollziehen kann, und nun etwas präsentieren müssen, möglichst zeitnah, denn es wurde ihnen eine Frist gesetzt noch in diesem Jahr, und da am 12. 12. die Jahreshauptversammlung der DFL ist und sie dort nur beschlussfähig sind, musste bis dahin ein Papier entwickelt werden. Und da hat man schnell einen Arbeitskreis gebildet, der ein Grundsatzpapier gemacht hat, das als Arbeitspapier – und so wurde es aber nicht deklariert – erst mal an die Vereine ging mit der Bitte, sie mögen Stellungnahmen dazu abgeben, und die Stellungnahmen möglichst natürlich auch in Zusammenarbeit mit ihren Fans. Genau das ist so nicht kommuniziert worden und dieses Papier ging an die Öffentlichkeit, und von daher kann man nachvollziehen, dass aufgrund dieser Kommunikationslücke oder dieses taktisch völlig unklugen Verhaltens der DFL die Fans und alle die, die skeptisch gegenüber reinen repressiven Maßnahmen sind, natürlich hinter diesem Papier wieder einen zusätzlichen Affront sahen, so nach dem Motto der Hardliner, das überhaupt nicht notwendig gewesen wäre.

    Ensminger: Also glauben Sie, dass die DFL sich jetzt auf den Vorschlag einlassen wird, dass man gemeinsam an einem Konzept arbeiten soll?

    Pilz: Ich weiß zumindest, dass in den nächsten Tagen die AG Fandialog beim Deutschen Fußballbund, die ja da eingerichtet ist, tagen wird - da sind alle Vertreter der relevanten großen Fangruppierungen zusammen – und dass zu diesem Treffen auch der Peter Peters, der Vorsitzende dieser Arbeitsgruppe der DFL, kommen wird, sodass dort ein Gespräch stattfinden wird, und ich denke, man wird klug und gut beraten sein, jetzt wirklich ganz intensiv die Gespräche mit den Fans zu suchen. Es gibt ein paar neuralgische Punkte, die man mit gutem Willen positiv und mit schlechtem Willen negativ bewerten oder beurteilen kann, worüber sicherlich noch diskutiert werden muss, aber im Großen und Ganzen, glaube ich, ist der Zündstoff, der momentan so in der Öffentlichkeit da ist, überhaupt nicht so groß.

    Ensminger: Aber schauen wir mal auf die neuralgischen Punkte. Sie sagen, der Großteil dieser Vorschläge, der würde auch von den Fans akzeptiert. Aber die beklagen ja neben dem fehlenden Dialog auch die angedrohten Sanktionen, die die Probleme in und um die Stadien nicht lösen können würden. Tatsächlich nicht?

    Pilz: Da gebe ich Ihnen recht und da muss man natürlich nachbessern und da muss man vor allen Dingen mit den Fans nach gemeinsamen Lösungen suchen. Nur es gibt ja einen neuralgischen Punkt, der eigentlich gar nicht neuralgisch sein kann. Da steht drin, das Thema Gewalt, Pyrotechnik und Rassismus ist im Stadion nicht verhandelbar. Das geht nicht und ich denke, darüber kann man auch nicht mehr lange diskutieren. Das ist einfach aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Es gibt andere Dinge, worüber man nachsprechen kann, wenn es darum geht, zum Beispiel Fanprivilegien zu kürzen, oder wenn es darum geht, Abschaffen von Stehplätzen und und und. Ich glaube, darüber muss man sehr intensiv und kann man auch sehr konstruktiv sich Gedanken machen. Stehplätze dürften meines Erachtens überhaupt nicht zur Disposition stehen, weil die ein ganz wichtiger Teil der Fan- und Jugendkultur sind, und wer die abschafft – das habe ich vor zwei Wochen schon mal sehr deutlich gesagt -, der 'provoziert' aber wirklich einen Fankrieg. Da wird es einen Aufstand geben, über den man noch sehr lange reden wird.

    Heinemann: Gunter Pilz, Leiter der Kompetenzgruppe Fankulturen am Institut für Sportwissenschaft der Leibnitz Universität in Hannover. Die Fragen stellte meine Kollegin Petra Ensminger.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.