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Stellungnahme zum Krieg

1973 begannen Edward Bond und Hans Werner Henze mit ihrer gesellschaftskritischen Anti-Kriegsoper "We come to the river". Sie erzählt von einem General, der einen Aufstand niedergeschlagen hat und den zunächst die Gewalt nicht bekümmert.

Von Georg-Friedrich Kühn | 14.09.2012
    Mit klingendem Spiel ziehen die Soldaten ein. Ihr General hat einen Aufstand niedergeschlagen. Brav als Techniker der Macht. Die damit verbundene Gewalt kümmert ihn nicht. Erst allmählich wird er ihrer gewahr, will weitere Gewalt vermeiden und verweigert dem neuen Gouverneur den Befehl.

    Man verschleppt ihn in eine Psychiatrie. Ein Arzt diagnostiziert, dass er an einer unheilbaren Krankheit leidet, erblinden wird. So wird er wie Lear sehend. Im Land brechen neue Aufstände los. Der Kaiser will den General reaktivieren. Als der sich weiter weigert, lässt man ihn blenden. Aber auch die Mitinsassen der Psychiatrie haben Angst vor ihm. Sie töten ihn.

    1973, der Vietnamkrieg ging zu Ende, der Putsch der Generale in Chile stand bevor, begannen Edward Bond und Hans Werner Henze mit ihrem Anti-Kriegsmonument "We come to the river". Für die in London geplante Uraufführung 1976 wollte man in eine leere Fabrikhalle. Es wurde das Auftrag gebende Opernhaus Covent Garden.

    Der Aufwand ist immens. Drei parallele Schauplätze mit je einem Orchester, über 100 Mitwirkende auf den Bühnen. Alles möglichst nahe am Zuschauer. Henze hatte für das Werk seine bis dahin vielleicht differenzierteste Musik geschrieben. Aber erst im zweiten Teil, der im Irrenhaus spielt und wo auch die Soldaten sich gleichsam eine Trauminsel bauen, kann diese sich recht entfalten.

    In Dresden haben Bühnenbildnerin Rebecca Hingst und Regisseurin Elisabeth Stöppler ins Parkett der Semperoper zwei zusätzliche Podien, dazu einen langen Steg bauen lassen. Als Ausgangssituation setzen sie: Eine Armee erobert ein Opernhaus und zerstört alle lebendige Kultur.

    Das bringt für den ersten Teil viel Springerstiefel-Getrappel und Fuchteln mit Maschinen-Gewehren und -Pistolen auf die Bühnen. Von der Musik kann man in dem auch dichten sprachlichen Gewebe wenig wahrnehmen. Im zweiten Teil mit der Trauminsel konnte dann Kostümbildner Frank Lichtenberg seiner Fantasie ausufernd-bunten Lauf lassen. Sogar walkürenähnliche Wesen exponieren sich da und viele Frauen der Halbwelt.

    Vor allem ist dieser knapp dreistündige Abend eine organisatorische Meisterleistung. Erik Nielsen als der alleinige Dirigent in zentraler Position im Raum hat alles gut unter Kontrolle. Aus der Distanz von 36 Jahren – und es gab nur wenige Produktionen insgesamt von "Wir kommen zum Fluss" seit der Uraufführung –, aus der Distanz merkt man aber doch auch, wie das Werk ästhetisch gealtert ist. Zumal der exzessive Bühnenrealismus dieser Dresdner Produktion mit der ausufernden Personage wirkt im Vergleich zu dem, was man tagtäglich auf der Mattscheibe sieht, eher hölzern.

    Problematisch vor allem der Schluss mit seiner als "Anliegen" gesungenen Botschaft für eine friedfertigere Welt. Sogar drei "Zauberflöten"-Knaben werden da bemüht. Der mittlerweile 86-jährige Komponist Henze, der im ersten Rang saß und sich dem Publikum auch zeigte, soll sich nach Auskunft des Teams aber sehr lobend geäußert haben.

    Auch das wegen der Überbauungen im Saal auf gut die Hälfte verkleinerte Publikum applaudierte heftig – zumal Simon Neal als dem General, der einzigen Figur, die so etwas wie eine Entwicklung durchmacht. An der Semperoper hat man rund um diese Neuproduktion ein kleines Henze-Paket geschnürt. Auch als Kontrapunkt zum demnächst anhebenden Wagner-Jahr.