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Sterbehilfe-Gesetz
"Die meisten Ärzte sind sehr zufrieden damit"

Der Chef des Ärzte-Verbandes Marburger Bund, Rudolf Henke, begrüßt das Sterbehilfe-Gesetz des Bundestages. Die Sorge, dass Ärzte dadurch kriminalisiert werden könnten, teile er nicht. Zur Palliativmedizin gehöre nicht, Patienten einen Giftbecher hinzustellen, sondern Schmerzen, Übelkeit und Ängste zu bekämpfen.

Rudolf Henke im Gespräch mit Gerd Breker | 06.11.2015
    Der Vorsitzende des Marburger Bundes Rudolf Henke trägt schwarzen Anzug und gestreifte Krawatte.
    Der Vorsitzende des Marburger Bundes Rudolf Henke begrüßt das Sterbehilfe-Gesetz, das der Bundestag beschlossen hat. (picture alliance / dpa / Robert Schlesinger)
    Gerd Breker: Geschäftsmäßige Sterbehilfe - Sie haben es in den Nachrichten gehört - ist in Deutschland künftig strafbar. Nach einer eindringlichen Debatte setzte sich im Bundestag heute ein entsprechender Gesetzentwurf überraschend klar gegen heftigen Widerstand durch. Vereine oder Einzelpersonen dürfen demnach künftig keine Beihilfe zum Suizid als Dienstleistung anbieten. Der Abstimmung ohne Fraktionszwang war eine mehrjährige Meinungsbildung über die heiklen Gewissensfragen im Parlament und auch in der Öffentlichkeit vorausgegangen.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Vorsitzenden des Marburger Bundes, mit Rudolf Henke. Guten Abend, Herr henke.
    Rudolf Henke: Guten Abend, Herr Breker.
    Breker: Kritiker befürchten nun eine Kriminalisierung der Ärzte. Ist das denn eine berechtigte Sorge?
    Henke: Nein. Ich wüsste nicht, warum Ärzte jetzt kriminalisiert werden sollten, wenn sie sich um Patienten kümmern, wie sie das beispielsweise auf Palliativstationen oder in onkologischen Stationen tun. Es muss sich ja bei dieser Sorge um solche Patienten handeln. Im Übrigen geht es ja den Suizidassistenten-Organisationen sehr häufig gar nicht um Schwerkranke. Wenn man "Sterbehilfe Deutschland" von Roger Kusch sich anguckt, dann sind dort zum Teil ja körperlich völlig Gesunde, jedenfalls aber nicht tödlich Erkrankte auch auf der Liste, und damit haben wir dort mit 100.000 Adressaten in Deutschland im Jahr zu rechnen, die im Prinzip einen Suizidversuch unternehmen, in der größten Zahl der Fälle keinen Erfolg haben, aber natürlich für Suizidassistenten interessant sein können.
    Breker: Ist es denn jetzt nicht so, Herr Henke, dass für die Ärzte entscheidend ist, wie der Begriff "geschäftsmäßig" ausgelegt wird?
    Henke: Absolut, ja.
    Breker: Und besteht darin nicht die Gefahr, weil ein Arzt sich in etwa bei der Palliativmedizin häufig mit diesem Thema beschäftigt, ja fast regelmäßig mit solchen Themen beschäftigt ist, dass das als geschäftsmäßig ausgelegt wird?
    Henke: Das gehört ja nicht zur Palliativmedizin dazu, dass man vielen Patienten einen Giftbecher hinstellt, sondern zur Palliativmedizin gehört dazu, dass man Schmerzen stillt, dass man Luftnot nimmt, dass man Übelkeit und Ängste bekämpft. Dazu kann auch gehören, dass man palliative Sedierung durchführt, dass jemand mal für mehrere Tage in ein künstliches Koma versetzt wird und man dann mal sieht, wie sich denn die Schmerzempfindung entwickelt. Das alles hat aber ja nichts mit der Einnahme tödlicher Mittel zu tun und insofern sehe ich gerade durch die Definition dieser Geschäftsmäßigkeit, wie sie ja auch von Richtern aus dem Bundesgerichtshof noch mal in der Anhörung interpretiert worden ist, keine Besorgnis für die Ärzteschaft.
    Breker: Sprich: Sie, der Marburger Bund begrüßt die Gesetzesnovellierung?
    Henke: Wir haben uns da als Marburger Bund keine eigene Beschlussfassung geleistet. Wir kennen ja die Haltung der Bundesärztekammer. Viele von uns arbeiten in Gremien der Bundesärztekammer mit. Mein Vorgänger als Vorsitzender des Marburger Bundes ist ja jetzt der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Dort und auch in den ärztlichen Organisationen wie der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin oder in der Deutschen Stiftung Palliativmedizin sind allerdings diese rechtlichen Fragen sehr genau geprüft worden und wir haben da regelmäßigen Kontakt gehabt. Und insofern: Es hätte sicher keine Empfehlung der Bundesärztekammer gegeben, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen, wenn wir jetzt voll Sorge sein müssten, dass da Ärzte reihenweise ins Gefängnis wandern.
    Ohne Regelung Sorge, dass "Zahl der Suizidopfer auch in Deutschland steigt"
    Breker: War es denn aus Ihrer Sicht, Herr Henke, notwendig, dass der Gesetzgeber aktiv wird?
    Henke: Ich glaube, durch die Debatte, die wir in den letzten Jahren geführt haben, ist den Vereinen und auch reisenden Einzelpersonen ja eine gewisse Grenze auferlegt worden und sie haben sich zurückgehalten. Hätte der Bundestag jetzt eine Entscheidung getroffen, dass er das Recht gänzlich unverändert lässt, dann wäre das, glaube ich, schon auch eine Einladung geworden für Menschen, die vielleicht jetzt noch gar nicht aktiv gewesen sind, sondern die, wenn Sie sich dann mal die Zahlen angucken, natürlich in einem Angebot, einem Service-Angebot, dass Sie bestimmte Dienstleistungen auf Abruf erbringen, dann alle Bemühungen um Suizidprävention, also die Verhütung von Selbsttötung, dann hätten auch konterkarieren können.
    Wir wissen ja, dass in der Schweiz, wo solche Aktivitäten viel stärker ausgeprägt sind als in Deutschland, die Anzahl der Suizide in der Zeit der letzten 15 Jahre um 27 Prozent gestiegen ist. In Deutschland haben wir auch durch viele, viele Aktionen der Suizidprävention erfolgreiche Suizide um elf Prozent zurückgedrängt. Und wenn man jetzt gesagt hätte als Bundestag, ja das ist uns aber egal, da können Vereine, Unternehmen, Einzelne auf die Reise gehen und ihre Unterstützung bei dem ja sonst doch relativ komplizierten Vorhaben des Suizids anbieten und gewissermaßen qualitätsgesichert für den Erfolg sorgen, dann hätte man befürchten müssen, dass die Zahl der Suizidopfer auch in Deutschland steigt.
    Breker: Es gab aus Ihrer Sicht, Herr Henke, schon so etwas wie einen sozialen Druck, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden, wenn man schwer krank ist?
    Henke: Ich glaube, es hat gar nicht so viel mit schwerer Krankheit alleine zu tun, weil ja dann, wenn man die Rechtslage jetzt unverändert gelassen hätte, es keine Grenze für die Tätigkeit solcher Vereine gegeben hätte. Und aus der Arbeit von "Sterbehilfe Deutschland", also dem Institut von Roger Kusch, wissen wir ja, dass dabei keineswegs als Voraussetzung für die Suizidassistenz schwere Krankheit gegolten hat. Da sind ja zum Teil Menschen ganz ohne körperliche Krankheit, wo man nicht mal sicher sagen kann, ob sie über eine Alternative überhaupt beraten worden sind, zu Tode gekommen mit dem Gift, das der Verein bereitgestellt hat.
    Nachholbedarf bei Information der Bevölkerung
    Breker: Aber beschränken wir uns mal, Herr Henke, auf die Menschen, die wirklich schwer krank sind, die Schmerzen haben. Werden die denn jetzt ins Ausland getrieben, in die Schweiz etwa?
    Henke: Nein! Was ich glaube ist, dass wir sicher noch einen Nachholbedarf haben bei der Information der Bevölkerung darüber, dass niemand gezwungen wird, bestimmte Therapien über sich ergehen zu lassen, die er nicht haben will. Es muss auch niemand eine künstliche Ernährung über sich ergehen lassen, die er nicht haben will. Wir haben durch das Patientenverfügungsrecht inzwischen glasklar geklärt, dass alle therapeutischen Maßnahmen, ob Chemotherapie, ob Strahlentherapie, ob Operationen oder auch künstliche Ernährung, nur im Einvernehmen mit einem informierten Patienten möglich sind. Wenn das nicht vorliegt, ist eine Chemotherapie, ist eine Operation rechtswidrig. Deswegen hat natürlich jeder Patient die Möglichkeit, der Behandlung, die er nicht mehr will, eine Grenze zu setzen und zu sagen, mit mir geht das nicht. Dann kommt in Betracht, was es an lindernden Möglichkeiten der palliativen und supportiven Sorge, also der körperunterstützenden Pflege und medizinischen Behandlung gibt, und damit kann man die Beschwerden von Menschen sehr gut unter Kontrolle bringen, im äußersten Fall auch durch das eben geschilderte Wachkoma.
    Breker: Fassen wir also zusammen, Herr Henke. Der Marburger Bund begrüßt die Entscheidung des Bundestages?
    Henke: Wir haben darüber jetzt keinen Beschluss gefasst, aber in der Resonanz auf die Entscheidung heute habe ich mit sehr vielen Delegierten im Laufe des Tages gesprochen und die überwiegende Reaktion ist so, wie Sie das schildern. Die meisten Ärzte sind sehr zufrieden damit, dass jetzt diese Debatte auf diese Weise zu einem Ergebnis gekommen ist.
    Breker: Die Einschätzung von Rudolf Henke. Er ist der Vorsitzende des Marburger Bundes.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.