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Sterbende Sprachen

Nachwuchswissenschaftler und Profis treffen sich zurzeit in Frankfurt am Main zu einer Sommerschule über Sprachdokumentation. Am Wochenende gab es eine Konferenz in der es um die 30 Sprachen ging, deren Dokumentation die Volkswagenstiftung zurzeit mit über 9 Millionen Euro fördert. 2000 der heute noch gesprochenen 3000 Sprachen werden laut einer UNO-Studie in diesem Jahrhundert aussterben. Das sind 20 pro Jahr. Die Sprachwissenschaftler hätten also kräftig zu tun.

Von Carl-Josef Kutzbach |
    Die Globalisierung verändert nicht nur Handel und Arbeitsplätze, sondern auch die Sprachen, die gesprochen werden. Wie einst bei Gutenberg und dem Buchdruck haben auch bei den neuen Medien Telefon, Radio, Fernsehen, Internet, Computern und Software nur diejenigen Sprachen eine Überlebenschance, die von genügend Menschen gesprochen werden, so dass es sich lohnt für sie Übersetzungen anzubieten. Da nur 78 der 3000 Sprachen eine Schriftform haben, stehen sehr viele auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Sprachen.

    Da mit einer Sprache auch eine bestimmte Art zu denken, bestimmtes Wissen, Religion und Kultur verloren gehen, versuchen Sprachwissenschaftler zu retten, was zu retten ist und die Volkswagenstiftung fördert das in 25 Projekten. Aber wie macht man das? Professor Jost Gippert lehrt vergleichende Sprachwissenschaft an der Universität Frankfurt:

    Es fängt natürlich an mit einer ganz normalen Sprachwissenschaftlichen Ausbildung, die man auch brauchen würde die deutsche Sprache oder die englische zu untersuchen. Es kommt sehr Vieles hinzu was kulturelle Hitnergründe betrifft, die wir hier in Europa so nicht haben, nämlich immer dann, wenn die Sprachen, um die es gehen soll, außerhalb Europas gesprochen werden.
    Und jede Weltregion hat dann dort andere Vorgaben.


    Ohne kulturelle und ethnologische Kenntnisse, könnte sich der Forschende, wie ein Elefant im Porzellanladen verhalten und die Menschen, von denen er etwas lernen will vor den Kopf stoßen. Es findet also immer die Zusammenarbeit mit andern Fächern statt.

    Bei uns in Deutschland ist das im Prinzip dadurch etwas eigenartig organisiert, dass diejenigen die jetzt Feldforschung unternehmen zu sagen wir einmal Sprachen im vorderen Orient oder Sprachen in Südostasien, gar nicht primär als Linguisten ausgebildet werden, sondern sie werden ausgebildet in Fächern wie Orientalistik oder Südostasienwissenschaften, die von Vorne herein sozusagen die Region im Vordergrund stehen haben, und wo Linguistik nur als eine Methode unter mehreren beigetragen wird.

    Das möchte Prof. Jost Gippert in Zukunft ändern:

    Meine Vorstellung wäre die - und das wollen wir versuchen hier in Frankfurt auch möglichst bald umzusetzen - das, was diesen unterschiedlichen Studiengängen gemeinsam ist, nämlich die linguistische Grundlage, auch mit einem gemeinsamen Fundament zu versehen im Sinne eines gemeinsamen Studienganges, so dass wir in Zukunft sagen können: Bei uns werden diejenigen,
    die sich in den fremden Kulturen mit den Sprachen auseinandersetzen, auf derselben Grundlage ausgebildet, bekommen aber dann von den einzelnen Fächern die Informationen dazu geliefert, die alles, was die Kultur drum herum ausmacht betrifft.


    Und wie sind die Berufsaussichten? Wer außer der Volkswagenstiftung ist denn bereit Geld für die Dokumentation einer Sprache auszugeben, die vermutlich bald aussterben wird? Das bringt ja wirtwschaftlich keinen Nutzen. Oder begreifen langsam auch andere Geldgeber, das hier ein enormer Kulturverlust droht?

    Das hat sie wohl auch von Anfang an beabsichtig, nämlich durch ein solches Programm das Umdenken zunächst einmal zu erreichen. Resultat des Umdenkens müsste dann sein, dass sich in der deutschen oder auch anderen Universitätslandschaften im Fächerspektrum etwas ändert. Dass also hier der Bedarf der offensichtlich da ist, dann auch bedient wird, dadurch das Fächer entstehen, in denen genau das im Zentrum steht.

    Die Berufsaussichten hängen also vorläufig nicht vom Bedarf, sondern von den Geldgebern ab. Wie bedroht sind denn die 3-, 6-, oder 10000 Sprachen?

    Prinzipiell kann man sagen: Es geht sehr schnell. Aber ich kann ihnen keinerlei Zahlen, wirklich verlässliche Zahlen nennen. Das Problem ist, dass man Sprachen auf der Erde eigentlich nicht zählen kann. Das größte Problem ist die Unterscheidung von Sprachen auf der einen Seite - unterschiedlichen Sprachen - und Dialekten auf der anderen Seite. Wenn man sagt, dass zwei Drittel, egal von wie viel, im Laufe der nächsten 200 Jahre ausgestorben sein werden, dann ist das sehr wahrscheinlich.

    Da mit jeder Sprache auch ein Stück kultureller Vielfalt stirbt, drängt die Zeit.