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Stethoskop an der Eiskante

Polarforschung. - Das Leben in der Antarktis spielt sich unter Wasser ab. Das ist auch der Grund, warum das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung eine akustische Messstation betreibt, direkt an der Eiskante und nur ein paar Kilometer entfernt von Neumayer, der deutschen Forschungsstation in der Antarktis. Die Station heißt Palaoa – was auf hawaiianisch Wal bedeutet – und ist eine Art Stethoskop in die antarktischen Gewässer.

Von Marko Pauli |
    Ganz am Rand des Kontinents Antarktika steht die akustische Beobachtungsstation Palaoa. Ein einsamer kleiner Container, mitten im weißen Nichts, vom dem ein paar Mikrofonkabel abgehen, die schließlich im Eis verschwinden. Sie führen zu vier Unterwassermikrofonen, die tief unten im eiskalten Meer tauchen und die wunderlichen Geräusche der antarktischen Unterwasserwelt einfangen. Man kann es sich oben kaum vorstellen, doch unter Wasser existiert hier eines der üppigsten Ökosysteme der Welt. Gerade jetzt, im antarktischen Sommer. Riesige Krillschwärme locken Robben und Wale an, zum Beispiel die seltene Ross-Robbe.

    "Da gibt es Bereiche, da kommt man sich vor wie im Urwald, da ist ständig irgendetwas am Singen."

    Palaoa gehört ebenso wie die nahe gelegene Neumayerstation zum Awi – dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Dr. Olaf Boebel ist hier Leiter der Forschungsgruppe "Ozeanische Akustik", die mit Palaoa ganzjährig marine Säuger belauscht. Ausbreitung und Wanderung der Tiere, aber auch die Geräusche selbst sollen untersucht werden – sie dienen der Kommunikation und, ähnlich einem Echolot, auch der Navigation und dem Aufspüren von Nahrung.

    "”This is the Palaoa-Observatory at Neumayer Base transmitting live from below the antarctic ice.”"

    Der Live-Stream von der Palaoa-Station auf der Website des Awi. Der Besucher kann hier live in diese entlegene Gegend hineinhören - und mit etwas Glück Geräusche entdecken, von denen auch die Wissenschaftler keine Ahnung haben, woher sie stammen. Olaf Boebel spielt so eines vor:

    "Es fängt also an mit, das was ich Pfiff nenne, das ist eine Weddell-Robbe, das ist erkannt. Das war jetzt der Abbruch von Eis. Dieses Geräusch kennen wir nicht. Das ist relativ laut. Wir haben keine Erklärung im Moment. Im Hintergrund hört man noch die Weddell-Robbe, das Gepfeife. Die machen immer so eine Sequenz von Trills, nennt man das."

    Computerprogramme helfen dabei, solch besondere Schallereignisse aus dem Datenwust herauszufiltern. Sie analysieren das pausenlos eintreffende Audiomaterial und stellen die Schallwellen auch grafisch dar. Biologen können hieraus zum Beispiel erkennen, wann genau es Pfiffe welcher Robben gab. Die Ausbreitung und Wanderung mariner Säuger lässt sich so genau beobachten. Palaoa bietet aber auch Anwendungsmöglichkeiten, die ganz unmittelbar von Nutzen sind:

    "Das ist ein Seeleopard, dieses leicht heulende tiefe Geräusch. Seeleoparden sind das gefährlichste Tier für Taucher in der Antarktis. Eine Richtung, die wir jetzt verfolgen, ist jetzt vor Tauchgängen solche Aufnahmen zu machen und so die Taucher informieren zu können, ob da ein Risiko existiert oder nicht."

    Aber nicht nur das Unterwasserleben wird belauscht, mit Palaoa werden auch die Abbruchraten von Eis werden gemessen. Diese kleinen Eisabbrüche sind unter Wasser gut zu hören und können, je nach Häufigkeit, ein konkreter Hinweis auf Auswirkungen einer Klimaerwärmung sein. Was jetzt gleich zu hören ist, hat aber mit kleinen Eisabbrüchen nichts zu tun – zwei gewaltige Eisberge treiben im Küstenstrom direkt aufeinander zu. Boebel:

    "Ja dann passiert es, dass zwei Eisberge von der Größe jeweils Bremerhaven mit ungefähr fünf Stundenkilometern ineinander rasseln – da ist natürlich viel Energie zu vernichten, bevor da einer zum stehen gekommen ist. Solche akustischen Ereignisse sind bislang nicht aufgezeichnet worden."

    Eine ganz neue Geräuschwelt öffnet sich da – unter diesem einsamen kleinen Container, mitten im weißen Nichts.