Katja Lückert: In Katalonien wurde heute in Verbot der Stierkämpfer ab dem Jahr 2012 beschlossen, und es gibt sicher viele Menschen , die zahllosen Blogeinträge im Internet zeugen davon, die froh sind, dass die Tierquälerei ein Ende hat und dass Katalonien da eine Vorreiterrolle übernimmt. Bisher waren Corridas nur auf den Kanarischen Inseln verboten. Und doch wollen wir noch einmal ein wenig genauer hinschauen, wofür dieser Kult, vielleicht auch diese Kultur des Stierkampfes eigentlich steht, die so häufig Eingang in die Literatur, in die Kunst, in die Musik gefunden hat. Kersten Knipp, was ist der Stierkampf? Ein Männlichkeitskult, ein Gegenmodell zu einer verweichlichten Kultur, eine Zurschaustellung einer überdimensionalen Selbstdisziplin?
Kersten Knipp: Das ist er alles, alles zusammen, verstärkt allerdings durch die dann bereits von Ihnen erwähnten künstlerischen Elemente. Im 19. Jahrhundert läuft das alles zusammen. Der Stierkampf war ja auch vorher schon mal verboten, er war vom Papst - muss man bemerken - im 16. Jahrhundert verboten eine Zeit lang, und es gab da schwere Auseinandersetzungen, und dann auch noch einmal unter den Bourbonen im 18. Jahrhundert. Die kamen aus Frankreich an und konnten mit dieser barbarischen Schau nicht viel anfangen. Da gab es auch argen Streit. Dann kommerzialisierte sich dieser Kampf im 19. Jahrhundert und hat all diese Elemente aufgenommen, die die moderne Form aufmachen. Es gab auch Hundekämpfe dabei, also dass Hunde angriffen den Stier. Das hat man später wieder rausgenommen. Aber natürlich ist das ein Symbol von roher, vielleicht man kann sagen freier Männlichkeit je nach Geschmack, aber es ist rohe Männlichkeit. Und das Interessante ist ja daran, wir hatten diese wunderbare Melodie am Anfang. Ich sage wunderbar ganz spontan, es ist ja eine schöne, erhebende Melodie. Im Grunde hat man sich Spanien lange Zeit ja genauso gewünscht. Das ist eine Arie aus der Oper "Carmen" von Bizet. Ein Blick von außen, von Frankreich auf Spanien, das ist ganz interessant dass es so ist, dass es eben nicht von innen aus Spanien selbst kommt, sondern von außen. Und das ist - da wird Spanien dignifiziert und romantisiert und exotisiert, exotisch dargestellt, und das ist das Spanienbild, was bis weit ins 20. Jahrhundert, vielleicht sogar noch mit kleinen Restspuren sich ins 21. Jahrhundert gehalten hat.
Lückert: Tod, Heldenmut und Liebe, das war nicht nur nach Ernest Hemingways Geschmack, sondern hat auch viele andere Schriftsteller inspiriert. Der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosas spricht von Augenblicken, von unbeschreiblicher Schönheit und Intensität, man müsse den Stierkampf nur richtig lesen können. Helfen Sie uns, ihn richtig zu lesen, Herr Knipp?
Knipp: Ja, es gibt gewisse Lektüren, da tut man sich von selbst schwer, möchte man sich auch schwer tun. Natürlich, man kann den Stierkampf so sehen, das ist völlig richtig. Und wenn man sieht, gerade auch wie Picasso ihn dargestellt hat in Zeichnungen, also auf ein Minimum reduziert diese Bewegungen, das ist natürlich erhebend, wenn man das sieht Stier, Mensch, das ist natürlich die absolute Konfrontation, eine Konzentration auf alles, auf wenige Momente, wenige Sekunden, entscheidende Sekunden, und das hat natürlich, wenn man so will, seine große Schönheit und dieses Argument wird ja auch immer ins Spiel gebracht. Allerdings man muss sagen, es ist eben keine abstrakte Schönheit. Überall sonst, Fußball, sind Sportarten oder auch Männlichkeitskulte, wo man das Ganze abstrahiert hat. Und wenn es nicht ganz abstrahiert ist wie im Boxen, steht man zumindest freiwillig da. Das ist eben im Stierkampf aufseiten des Stieres nicht der Fall. Insofern tu ich mich und viele andere auch ein bisschen schwer, das rein ästhetisch zu sehen, sondern es fehlt mir da die ethische Komponente und die haut so ein bisschen die Ästhetik dann in Stücke.
Lückert: Man muss ja natürlich auch sagen, dass der Stierkampf möglicherweise eh schon im Sterben lag. Die Zahl der Kämpfe ist in Spanien rückläufig. Man fragt sich, ob diese Entscheidung nicht mehr oder weniger als ein politisches Zeichen des separatistischen Kataloniens gewertet werden muss.
Knipp: So kann man es sehen. Aber ich glaube, da tut man den Unabhängigkeitsfreunden in Katalonien ein klein bisschen Unrecht. Es mag bei einigen ein verborgenes Motiv mit sein, aber ich glaube letztendlich geht es darum, was Sie gesagt haben, Spanien europäisiert sich oder hat sich schon weitgehend europäisiert. Wir hatten diese Franco-Herrschaft, wir hatten diesen Männlichkeits-Ortega-y-Gasset beispielsweise. Auch aufseiten der Linken übrigens, ich erinnere dann, dass Frederico Garcia Lorca natürlich, auch eines seiner berühmtesten Gedichte "Llanto por Ignacio Sánchez Mejías" geschrieben hat 1935, kurz nach dem Tod dieses Toreros, er wurde auch aufgespießt, und das zeigt natürlich, Garcia Lorca stand aufseiten der Linken, dass auch dort es diesen Kult um Männlichkeit gab. Das liegt ja auch alles nahe: Die Arena, der Sand, der Dreck dort, das alles hat ja auch so eine latente Hippiekultur, die es damals auch den 20er-, 30er-Jahren in Spanien vor dem Bürgerkrieg durchaus gab. Bis dann eben hin zur Franco-Diktatur und dem bleiernen Spanien im Schweren, das aber auch mit diesem Kult natürlich sehr viel anfangen kann. Und das hat sich dann bis 1975 gehalten, und jetzt nimmt es leichtere Formen an beziehungsweise verschwindet ganz, also es ist ein Schritt hin zu Europa und ein Abschied von einem Spanien-Image, das weit - Stichwort Bizet - zurückreicht ins 19. Jahrhundert mindestens.
Lückert: Allerdings war es ja auch so, dass im Stierkampf immer die Kultur schließlich über die Natur obsiegen sollte. Das war ja eigentlich paradox, wo das doch so als ein archaisches Moment gefeiert wird, so als Gegenwelt, vielleicht auch gegen die verhasste Zivilisation. Was waren da so die Motive?
Knipp: Ja, das sind Motive, die von außen gekommen sind. Es gibt ja überhaupt die Gitanos, also die Zigeuner, wenn man so will, der Flamenco, die Schmuggler damals, und das sind alles Symbole, die für dieses andere Spanien standen, und auch Franco stand in gewisser Weise noch dafür, ja also dieser archaische Diktator. All das sind Bilder, die natürlich auf gewisse Weise, auf dunkle Weise teilweise auch, ungeheuer faszinierend waren, ja. Also im Grunde war das das Reich, das andere Europa, das halbe Arabien, obwohl das jetzt keine arabischen Traditionen sind. Aber im Grunde ist es dieses Bild, was natürlich auch natürlich sehr, sehr faszinierend ist. Dreck, Blut, das hat natürlich - sind Essenzen, aber eben es fehlt das ethische Moment darin, und das geht - Sie haben es schon gesagt - vielen jungen Spaniern auch immer mehr auf die Nerven. Sie können es nicht mehr ertragen.
Kersten Knipp: Das ist er alles, alles zusammen, verstärkt allerdings durch die dann bereits von Ihnen erwähnten künstlerischen Elemente. Im 19. Jahrhundert läuft das alles zusammen. Der Stierkampf war ja auch vorher schon mal verboten, er war vom Papst - muss man bemerken - im 16. Jahrhundert verboten eine Zeit lang, und es gab da schwere Auseinandersetzungen, und dann auch noch einmal unter den Bourbonen im 18. Jahrhundert. Die kamen aus Frankreich an und konnten mit dieser barbarischen Schau nicht viel anfangen. Da gab es auch argen Streit. Dann kommerzialisierte sich dieser Kampf im 19. Jahrhundert und hat all diese Elemente aufgenommen, die die moderne Form aufmachen. Es gab auch Hundekämpfe dabei, also dass Hunde angriffen den Stier. Das hat man später wieder rausgenommen. Aber natürlich ist das ein Symbol von roher, vielleicht man kann sagen freier Männlichkeit je nach Geschmack, aber es ist rohe Männlichkeit. Und das Interessante ist ja daran, wir hatten diese wunderbare Melodie am Anfang. Ich sage wunderbar ganz spontan, es ist ja eine schöne, erhebende Melodie. Im Grunde hat man sich Spanien lange Zeit ja genauso gewünscht. Das ist eine Arie aus der Oper "Carmen" von Bizet. Ein Blick von außen, von Frankreich auf Spanien, das ist ganz interessant dass es so ist, dass es eben nicht von innen aus Spanien selbst kommt, sondern von außen. Und das ist - da wird Spanien dignifiziert und romantisiert und exotisiert, exotisch dargestellt, und das ist das Spanienbild, was bis weit ins 20. Jahrhundert, vielleicht sogar noch mit kleinen Restspuren sich ins 21. Jahrhundert gehalten hat.
Lückert: Tod, Heldenmut und Liebe, das war nicht nur nach Ernest Hemingways Geschmack, sondern hat auch viele andere Schriftsteller inspiriert. Der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosas spricht von Augenblicken, von unbeschreiblicher Schönheit und Intensität, man müsse den Stierkampf nur richtig lesen können. Helfen Sie uns, ihn richtig zu lesen, Herr Knipp?
Knipp: Ja, es gibt gewisse Lektüren, da tut man sich von selbst schwer, möchte man sich auch schwer tun. Natürlich, man kann den Stierkampf so sehen, das ist völlig richtig. Und wenn man sieht, gerade auch wie Picasso ihn dargestellt hat in Zeichnungen, also auf ein Minimum reduziert diese Bewegungen, das ist natürlich erhebend, wenn man das sieht Stier, Mensch, das ist natürlich die absolute Konfrontation, eine Konzentration auf alles, auf wenige Momente, wenige Sekunden, entscheidende Sekunden, und das hat natürlich, wenn man so will, seine große Schönheit und dieses Argument wird ja auch immer ins Spiel gebracht. Allerdings man muss sagen, es ist eben keine abstrakte Schönheit. Überall sonst, Fußball, sind Sportarten oder auch Männlichkeitskulte, wo man das Ganze abstrahiert hat. Und wenn es nicht ganz abstrahiert ist wie im Boxen, steht man zumindest freiwillig da. Das ist eben im Stierkampf aufseiten des Stieres nicht der Fall. Insofern tu ich mich und viele andere auch ein bisschen schwer, das rein ästhetisch zu sehen, sondern es fehlt mir da die ethische Komponente und die haut so ein bisschen die Ästhetik dann in Stücke.
Lückert: Man muss ja natürlich auch sagen, dass der Stierkampf möglicherweise eh schon im Sterben lag. Die Zahl der Kämpfe ist in Spanien rückläufig. Man fragt sich, ob diese Entscheidung nicht mehr oder weniger als ein politisches Zeichen des separatistischen Kataloniens gewertet werden muss.
Knipp: So kann man es sehen. Aber ich glaube, da tut man den Unabhängigkeitsfreunden in Katalonien ein klein bisschen Unrecht. Es mag bei einigen ein verborgenes Motiv mit sein, aber ich glaube letztendlich geht es darum, was Sie gesagt haben, Spanien europäisiert sich oder hat sich schon weitgehend europäisiert. Wir hatten diese Franco-Herrschaft, wir hatten diesen Männlichkeits-Ortega-y-Gasset beispielsweise. Auch aufseiten der Linken übrigens, ich erinnere dann, dass Frederico Garcia Lorca natürlich, auch eines seiner berühmtesten Gedichte "Llanto por Ignacio Sánchez Mejías" geschrieben hat 1935, kurz nach dem Tod dieses Toreros, er wurde auch aufgespießt, und das zeigt natürlich, Garcia Lorca stand aufseiten der Linken, dass auch dort es diesen Kult um Männlichkeit gab. Das liegt ja auch alles nahe: Die Arena, der Sand, der Dreck dort, das alles hat ja auch so eine latente Hippiekultur, die es damals auch den 20er-, 30er-Jahren in Spanien vor dem Bürgerkrieg durchaus gab. Bis dann eben hin zur Franco-Diktatur und dem bleiernen Spanien im Schweren, das aber auch mit diesem Kult natürlich sehr viel anfangen kann. Und das hat sich dann bis 1975 gehalten, und jetzt nimmt es leichtere Formen an beziehungsweise verschwindet ganz, also es ist ein Schritt hin zu Europa und ein Abschied von einem Spanien-Image, das weit - Stichwort Bizet - zurückreicht ins 19. Jahrhundert mindestens.
Lückert: Allerdings war es ja auch so, dass im Stierkampf immer die Kultur schließlich über die Natur obsiegen sollte. Das war ja eigentlich paradox, wo das doch so als ein archaisches Moment gefeiert wird, so als Gegenwelt, vielleicht auch gegen die verhasste Zivilisation. Was waren da so die Motive?
Knipp: Ja, das sind Motive, die von außen gekommen sind. Es gibt ja überhaupt die Gitanos, also die Zigeuner, wenn man so will, der Flamenco, die Schmuggler damals, und das sind alles Symbole, die für dieses andere Spanien standen, und auch Franco stand in gewisser Weise noch dafür, ja also dieser archaische Diktator. All das sind Bilder, die natürlich auf gewisse Weise, auf dunkle Weise teilweise auch, ungeheuer faszinierend waren, ja. Also im Grunde war das das Reich, das andere Europa, das halbe Arabien, obwohl das jetzt keine arabischen Traditionen sind. Aber im Grunde ist es dieses Bild, was natürlich auch natürlich sehr, sehr faszinierend ist. Dreck, Blut, das hat natürlich - sind Essenzen, aber eben es fehlt das ethische Moment darin, und das geht - Sie haben es schon gesagt - vielen jungen Spaniern auch immer mehr auf die Nerven. Sie können es nicht mehr ertragen.