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Stolpe mit der Privatisierung der Bahn zufrieden

Elke Durak: Großer Bahnhof heute für die Bahn im neuen Berliner Hotel Ritz. Anlass ist ein Jubiläum: 10 Jahre Deutsche Bahn AG, zehn Jahre Bahnreform. Das will würdig begleitet werden. Der Kanzler spricht, der Verkehrsminister ist da, der ganze Bahnvorstand und viele mehr. Mit Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe habe ich über die Bahn gesprochen. Der Bund ist ja noch immer Bahneigner und die erste Frage an ihn lautet: Was gibt es denn zu feiern mit der Bahn und bei der Bahn?

14.01.2004
    Manfred Stolpe: Zunächst muss man ja sagen, in diesen zehn Jahren wurde eine riesige Aufgabe angepackt. Die Bahn ist ja Teil des Staates gewesen, und man sieht es ja daran, wenn man sich in anderen Ländern umschaut, wo es immer noch Eisenbahnminister gibt. Diese verfügen über alles, was irgendwie von Bedeutung ist, im Zweifel bis zur Bekleidung der Bahnangestellten. Von dem Pferd musste man runter in Deutschland. Das ist eine große Last gewesen. Diese Einbindung in den Staatsapparat und in die Staatsentscheidung hat die Bahn ja geradezu gefesselt. Das ist gelungen. Sie ist inzwischen ein Wirtschaftsunternehmen, allerdings immer noch ein Stück weit angebunden an den Staat, weshalb der nächste Schritt - der Börsengang und die wirkliche Privatisierung - noch ansteht. Alles in allem ist dies jetzt ein Unternehmen auf dem Wege zur Wirtschaftlichkeit, was auch eine Menge erreicht hat. Die Produktivität wurde um 150 Prozent gesteigert. Die Züge sind ja wirklich schneller geworden. Die Bahnhöfe sind viel schöner und viel sauberer als früher und sie haben auch mutige Schritte gemacht in eine Erfolgsrichtung, nämlich indem sie den Logistikbereich, also die Zulieferung zur Bahn und die Auslieferung von der Bahn im Güterverkehr, angegangen sind.

    Durak: Herr Stolpe, Sie sind ja bekannt dafür, dass Sie auch Unangenehmes in nette Worte verpacken. Deshalb frage ich konkreter nach: Was gibt es zu klagen bei der Bahn und mit der Bahn?

    Stolpe: Wir haben natürlich eine Entwicklung, die uns im Ganzen nicht übermäßig begeistert. Wir haben das ganz große Ziel, nämlich einen deutlichen Ruck in Richtung mehr Verkehr auf die Schiene, nicht erreichen können. Der Anteil der Schiene am Markt ist leicht gestiegen von sechs auf rund neun Prozent im Güterbereich. Aber das Gesamtverkehrsaufkommen ist schneller gewachsen als der Bahnanteil. Das heißt also, wir haben im Grunde gar keine Chance. Wir dürfen jetzt nicht stehen bleiben, sondern wir müssen den Weg weiter gehen. Das Ziel ist klar. Es muss, damit wir in Zukunft überhaupt noch leben und atmen können, mehr gerade auch vom Güterverkehr, aber sicher auch vom Personenverkehr, auf die Schiene kommen, und da gibt es noch ein paar Bremsen. Und wenn ich das sagen darf: Ich empfinde dort drei ganz große Aufgaben in der nächsten Zeit vor uns, die wir anpacken müssen. Das eine ist: Wir müssen die Bahn von der europäischen Kleinstaaterei entfesseln. Die Stärke der Bahn kann gerade darin liegen, dass sie durchfahren könnte, dass sie Güterfracht über Ländergrenzen hinweg befördern könnte, und damit schneller und sicherer sein könnte als der Konkurrent LKW. Deshalb ringen wir darum, dass wir auf europäischer Ebene eine stärkere Zusammenarbeit erreichen. Wir haben gerade im Jahr 2003 dort endlich auch eine Verabredung geschafft. Da bleiben wir dran. Das muss weitergefahren werden. Wir haben dann noch zu klären, wie die letzten sich behindernden Bindungen von der Bahn an den Staat abgebaut werden können. Das hängt mit dem Börsengang zusammen, der gleichzeitig auch mehr Kapital schaffen könnte. Das setzt allerdings voraus, dass das Unternehmen wirtschaftlich ist. Das dritte, was wir noch richtig abschließend klären müssen, ist die Frage: in welchem Verhältnis steht der Bahnbetrieb dann zu dem Schienennetz, was ja bekanntlich auch eine riesige Investitionsaufgabe ist. Dazu gibt es Vorstellungen, aber da werden Sie sicher in der nächsten Zeit noch manche interessante Diskussion hören können.

    Durak: Herr Stolpe, sitzt der Bund nicht im Bremserhäuschen und tritt kräftig auf die Bremse, wenn er - so sagt die Bahn - das Geld kürzt und die Bahn sich gezwungen sieht, Investitionen für das Schienennetz, das Sie eben erwähnt haben, zu kürzen?

    Stolpe: Kürzen wollen wir nicht. Wir haben im Augenblick ja eine spannende Debatte, wie die Investitionen im Gesamtverkehrsbereich, also Schiene und Straße, gewährleistet werden können. Das muss gewährleistet werden. Da gibt es eine ganz breite politische Übereinstimmung. Die Frage des Wie muss in den nächsten Wochen geklärt werden. Das, was jetzt noch an Diskussionen zwischen der Bahn und dem Bund läuft, ist eigentlich so die alljährliche Debatte, die man zwischen jemandem hat, der Geld braucht, und jemandem, der das Geld zu verantworten hat. Da bin ich ganz sicher: Wir werden uns verständigen. Das wird nicht zu einer Behinderung oder gar zu einer Schädigung der Bahn führen. Das hängt jedoch ein bisschen auch zusammen mit der von mir genannten Frage, wie ist das Verhältnis von Bahnbetrieb zu dem großen Schienennetz.

    Durak: Tägliche Debatten gibt es auf den Bahnsteigen oder auf dem Weg dahin. Sie wissen es: die Pünktlichkeit der Bahn, die überfüllten Züge. Es gibt viele Klagen von Kunden, also von Personen, die im Nah- oder auch im Personenfernverkehr auf die Bahn angewiesen sind. Welche Mittel und Möglichkeiten hat der Bund noch als Bahneigner, dort auf die Bahn einzuwirken, dass sie endlich kundenfreundlicher wird?

    Stolpe: Die Zeiten, wo der Staat auf Details im Bahnbereich einwirkte, vielleicht bis hin zu Uniformen, sind vorbei. Da gibt es schon eine wirtschaftliche Unabhängigkeit. Aber wir sitzen mit Vertretern der Regierung im Aufsichtsrat. Wir haben dort dann natürlich auch die Möglichkeit, Hinweise zu geben, und wir sind zugleich auch Zeugen dafür, dass die Bahn, dieser riesige Tanker, sich große Mühe gibt, die Anforderungen und Erwartungen der Kunden zu erfüllen. Das sind hohe Anforderungen. Wir haben ja glücklicherweise in Deutschland immer noch die Vorstellung, dass das unsere Bahn ist, dass sie für uns da ist und dass sie sich auch dementsprechend bewegen muss. Sie wird nicht aufhören können, die Bedingungen zu verbessern. Die Pünktlichkeit ist natürlich ein spannender Punkt, wobei man ehrlicherweise auch sagen muss, es hängt nicht immer nur von der Bahn ab. Wir haben dort ja bedauerliche Vorfälle, wo auf den Schienen etwas passiert, ohne dass die Bahn daran Schuld hat, und dann geht Zeit verloren. Überfüllte Züge sind eigentlich immer eine gute Nachricht für die Bahn. Ich habe das auch mehrfach erlebt, wenn sie feststellt, dass die Leute die Bahn nutzen, dass die Reisenden gesehen haben, gerade auch im Nahverkehr, das ist schneller, das ist besser, als wenn man sich mit dem Auto durchwühlt.

    Durak: Es ist aber sehr viel voller, Herr Stolpe. Man kommt kaum noch rein in die Züge.

    Stolpe: Sie müssen die Zugdichte vergrößern. Das ist jetzt auch gerade mit dem neuen Fahrplan im Umfeld geschehen. Das ist eigentlich auf der einen Seite eine richtige Freude für ein Unternehmen, wenn Kunden kommen. Auf der anderen Seite funktioniert das natürlich nur, wenn man das Angebot verbessert, wenn man ein paar Wagen anhängt oder - vielleicht noch besser - die Zugdichte dann größer macht, so dass mehr Menschen bequemer reisen können.

    Durak: Herr Stolpe, Sie haben eingangs vom Börsengang gesprochen. Die Deutsche Bahn AG ist aus der Ost- und West-Bahn hervorgegangen, deshalb wird heute gefeiert. So etwas muss nicht schief gehen; so etwas kann aber schief gehen. Auf jeden Fall gibt es eine ganze Menge Probleme. Will sagen: 25 Millionen Euro Schulden. Davon wird gesprochen. Vor zehn Jahren waren es deutlich mehr. Nun also der angepeilte Börsengang. Ist das tatsächlich vernünftig und realistisch bei dem jetzigen Schuldenstand?

    Stolpe: Die Bahn hat in der Tat eine Menge dort bewegt. Sie ist auch entschuldet worden, und der Staat - das muss man natürlich auch ehrlich zugeben - hat durch die Entscheidung vor zehn Jahren erhebliche Einsparungen machen können. Es wäre viel teuerer gewesen, wenn dieser Apparat Bahn so geblieben wäre, wie er war. Von daher habe ich doch hohe Erwartungen, dass wir mit dem nächsten Schritt der wirklichen Privatisierung dann die Bahn leistungsfähiger machen können. Sie wird dann stärker im Wettbewerb drin sein. Sie muss sich selber noch ein bisschen mehr Mühe geben, dass gleichzeitig auch eine Entlastung für den Staatshaushalt eintritt. Zwingende Voraussetzung für den Börsengang ist allerdings, dass die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens gegeben ist, dass sie sozusagen auch für die Börse attraktiv ist und dass man auch einen Zeitpunkt für den Börsengang wählt, zu dem Bahnaktien dann auch ein Renner werden können. Auch das spielt natürlich eine Riesenrolle dabei. Also nichts überstürzen, aber das Ziel glaube ich ist schon richtig. Die Bahn kann damit noch leistungsstärker werden und sie kann sich in dem europäischen Wettbewerb, wo wir ja gerade an den Fesseln arbeiten, damit er besser funktioniert, noch besser behaupten.

    Durak: Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe, vielen Dank für das Gespräch.