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Strahlungen und Strahlen

Am Anfang schreibt Ernst Jünger noch an das Fräulein, erst später an Frau Boveri. Und dann setzt Jünger statt des "i" ein "y", so dass man meinen könnte, er habe bei seiner neuen Briefpartnerin zunächst an Gustave Flaubert und Madame Bovary gedacht.

Besprochen von Matthias Sträßner |
    Aber die Absenderin hieß Boveri, Margret Boveri. Auf den Briefen vermerkt sie als Absender: Berlin- Dahlem, Thielallee, oder auch: Höfen bei Bamberg.
    Margret Boveri wurde am 14.August 1900 in Würzburg geboren. Ihr Vater, Theodor Boveri, war Professor der Zoologie. Ihre Mutter Marcella eine Amerikanerin und eine geborene O`Grady. Ihr Onkel war Walter Boveri, Mitbegründer der Firma Brown, Boveri &Cie. Fast zur Familie Boveri zählt auch der 1901 mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Wilhelm Conrad Röntgen (1845-1923), der nach dem frühen Tod des Vaters im Jahr 1915 zeitweise ihr Vormund wird. Wenn Margret Boveri später zu den "großen" Geburtstagen Ernst Jüngers, so 1960 oder 1975, Rezensionen zu seinen Werken schreiben und in großen Zeitungen platzieren wird, vergisst sie auch nicht zu erwähnen, dass Ernst Jünger in eben dem Jahr geboren ist, in welchem "Onkel Röntgen" die nach ihm benannten Strahlen erfunden hat: 1895.

    Zu der Zeit, als der Briefwechsel einsetzt, 1946, ist der ausnehmend gute Ruf der Margret Boveri als Journalistin sicher gegründet. 1939 wird sie Auslandskorrespondentin für die Frankfurter Zeitung. Ihre erste Station ist Stockholm, die zweite, von 1940 bis 1942, ist New York. Zwischen 1942 und 1944 wirkt sie in Lissabon und Madrid, weil Boveris Auftraggeber nicht zu Unrecht davon ausgehen, dass dort, ganz im europäischen Westen, der Blick hinüber nach Amerika noch am besten ist.
    Margret Boveri gehörte nicht zur nationalsozialistischen Bewegung. Sie wird aber Armin Mohler in einem Brief am 15. Juni 1950 schreiben, dass sie zwar "aus dem liberal-demokratischen Lager stamme", 1938 aber eine entscheidende Wendung gemacht habe. Von der deutschen Außenpolitik vor Kriegsausbruch ist sie zeitweise so begeistert, dass sie dem Chefredakteur des Berliner Tageblatts, Paul Scheffer (- zu dessen Kreis, der sog. "Scheffer- Garde", sie sich immer zugehörig fühlte-) am 23. August 1939 schreiben kann, nun sei sie "fast reif für den Eintritt in die Partei." Diese Haltung fremden Personen zu vermitteln, zumal im Ausland, und noch dazu, wenn es sich um Emigranten handelte, war für Margret Boveri nicht einfach. Im Falle Carl Zuckmayers versuchte sie es während ihres Amerika-Aufenthaltes am 14. September1941auf folgende Weise:

    "In Europa hätte ich nicht unternommen, an Sie zu schreiben. Aber die hiesige Gegend scheint mir arm an Menschen (das ist wahrscheinlich meine Schuld, indem ich sie nicht aufspüre oder erkenne), und so scheint mir die Frage, ob es möglich wäre, Sie kennen zu lernen, hier erlaubt zu sein. Ich muss aber gleich hinzufügen, dass ich zu einer Gattung gehöre, mit der sie vielleicht in keine Berührung kommen wollen: in Deutschland würde mich zwar niemand zu den >Nazi< rechnen; aber nach dem hiesigen Sprachgebrauch bin ich es, als Korrespondentin für die >Frankfurter Zeitung< und mit einem deutschen Paß versehen, der mich (wie ich hoffe) wieder heimbegleiten wird, wenn der Krieg hier ausbricht. Ich gehöre halt zu denen, die meinen, man könne seiner Idee vom Deutschsein drinnen wie draußen dienen, und die die hier nahezu unüberbrückbare Kluft zwischen >Refugees< und noch Zugehörigen nicht anerkennen."

    Als die USA nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour Dezember 1941 in den Krieg eintritt, wird Margret Boveri als Auslandsdeutsche interniert. Es muss in dieser Zeit gewesen sein, dass sie sich zum ersten Mal mit den Werken Ernst Jüngers befasste. Ihrem ersten Brief an Jünger merkt man die Ehrfurcht und einen ungewöhnlichen Ton der Unterwerfung an. Das Büchlein, das sie ihrem ersten Schreiben an Jünger beifügt, ist "Die Amerikafibel", ein Werk, das – aus heutiger Perspektive seltsam genug – nicht die Deutschen von 1945, sondern die Amerikaner von 1945 für fragwürdig erklärt. Sie legt das Büchlein dem Meister mit folgenden Worten auf den Tisch:

    "Es [= die "Amerikafibel"] wäre nicht oder mindestens nicht in dieser Form geschrieben worden, wenn Ihre Bücher mir nicht ein neues Sehen beigebracht hätten. Dabei bin ich mir bewußt, dass ich in diesem Sehen immer ein bescheidener Anfänger bleiben werde, so bescheiden, dass Sie vielleicht die Spuren Ihres Wirkens nicht einmal entdecken können. Für mich aber ist der neue, Ihnen zu verdankende Blickpunkt so beglückend (bei allem heutigen Unglück), dass es mir manchmal vorkommt, als habe für mich ein neues Leben begonnen, seitdem ich den "Arbeiter", die "Marmorklippen", "Gärten und Straßen" und bestimmte Stücke aus den beiden Essay-Bänden kennengelernt und wiederholt gelesen habe. Wie hoch Ihre Beobachtungs- und Erkenntniskraft über der meinen liegt, sehe ich immer wieder daran, dass das Lesen eines Jünger'schen Satzes auf mich erleuchtend wirken kann wie ein Blitz, der in einer Naturlandschaft die Struktur des Geländes und alle Einzelheiten klar und scharf zeigt, dass ich ihn aber dann wieder vergesse, und auch nicht vermag, ihn mir selbst zu rekonstruieren [...]. Immerhin, einige Lichter stehen mir, die ich in einer noch ungebrochen liberal-bürgerlichen Welt aufgewachsen bin, nun doch beständig zur Seite, und wenn auch die Erlebnisse der letzten fünfzehn Jahre notwendig waren, um mich überhaupt aufnahmefähig zu machen, so waren es doch Ihre Bücher, die mir halfen, sie zu interpretieren. Ich würde also am liebsten täglich einen fast kultischen Lob- und Dankgesang an Sie anstimmen."

    In ihrem Breif an Ernst Jünger vom 19. Juli 1946 legt Margret Boveri noch nach:

    "Ich weiß, dass ich im Grund zu ungebildet bin, um mit Ihnen verkehren zu dürfen."

    Und in einer Rezension für die Badische Zeitung am 26. September 1947, die fast zeitgleich mit der einsetzenden Korrespondenz erscheint, legt sie gleichfalls ein Bekenntnis zu Ernst Jünger ab:

    "Hier spricht nicht nur der exakte Beobachter, der die Merkmale der Insekten wie die Entwicklung des Kriegshandwerks mit gleicher Schärfe zu schildern vermochte, ... , hier mahnt und fordert der sorgend Sehende, der die Umrisse von Ordnungen erkennt, wo die Mehrheit, auch der Nachdenkenden, noch in heilloser Verwirrung lebt."

    Für Margret Boveri hatte Ernst Jünger "das zweite Gesicht für die Fundorte der unterirdischen Sprachschätze."
    Dieser devote Ton hält noch eine Weile an, bis er aber dann, in mehreren Stufen, abschwillt. Genauer: Der Respekt auf Boveris Seite nimmt ab, der auf Jüngers Seite zu. Ernst Jünger bemerkt schnell, dass er es bei der Boveri nicht nur mit einer "backfischhaften Neigung zum Idealisieren" zu tun hat. Oder dass hier gar ein Exemplar jener "unheimlich klugen Frauen" vor ihm steht, die Jünger nicht sonderlich schätzt. Auch lebt Ernst Jünger im Jahr 1946, wie der Kommentar des Briefwechsel gleich hinzufügt: nicht ganz freiwillig, sehr zurückgezogen. Seine "Friedensschrift", die dem bei Carrara gefallenen Sohn Ernst Jünger gewidmet gewesen ist, wurde 1941 entworfen, und kursiert seit 1944 in Abschriften. Aber die Schrift erscheint – mit dem Untertitel "Ein Wort an die Jugend Europas und an die Jugend der Welt" – 1946 im Amsterdamer Erasmus-Verlag, andere Bücher in England oder in der Schweiz. Und da sich Jünger weigert, im Zuge der Entnazifizierungsverfahren Fragebogen auszufüllen – dieses Ausfüllen galten ihm wie auch Boveri als "typisch" amerikanisch - und Jünger auch nicht einsieht, warum er sich zur deutschen Schuld an den Kriegsverbrechen bekennen sollte, wird er bis 1949 weitgehend mit einem Publikationsverbot belegt. In dieser Situation mag Jünger geahnt haben, dass Margret Boveri als Publizistin für ihn von Wichtigkeit sein könnte. Außerdem verbanden ihn mit der Briefpartnerin auch eigene biographische Stationen: so hatte sich Margret Boveri vor ihrem Studium der Germanistik, Anglistik und Geschichte an der Julius-Maximilians-Universität ihrer Heimatstadt Würzburg zunächst mit Zoologie beschäftigt, unter anderem auch im "melting pot" der deutschen Zoologischen Station in Neapel, an welcher später auch Ernst Jünger "in Gesellschaft des Dr. Grimpe Tintenfische zerschnitt." Deswegen erkundigt sich Ernst Jünger denn auch bald nach dem "Mittelmeer"-Buch der Margret Boveri, das bereits 1936 erschienen war.

    Bei Margret Boveri liegt eine realistischere Einschätzung der Briefpartnerschaft auch daran, dass schon mit dem brieflichen Kennenlernen eine gewisse Entzauberung verbunden ist. Sie liebt den väterlich-lehrhaften Ton, den Jünger im "Abenteuerlichen Herz" bei einer Figur wie der des Nigromontanus anschlagen konnte. Das war eine Figur wie in Hermann Hesses "Glasperlenspiel". Margret Boveri schätzt an Ernst Jünger auch die parallel zu Martin Heidegger und Max Scheler formulierte Kritik der modernen Technik und der Naturwissenschaften, und es gefällt ihr das, was man die Leib- Philologie Jüngers nennen könnte, das unendliche Abtasten der Wortkörper. Als gelernte Biologin, die sie war, schätzte sie auch seine politischen Deutungen, die sich organischer und organologischer Vergleiche bedienten: nach der Saat und den Früchten des Krieges zu fragen, wie es Ernst Jünger in seiner "Friedensschrift" tat, erschien ihr nicht als ein in biologischer Wortwahl weichgespülter Militarismus. Aber Margret Boveri mag manche Texte Jüngers eben auch nicht: so zum Beispiel die "fiktionalen" Texte: also nicht "Heliopolis", später auch nicht "Godenholm" oder die "Gläsernen Bienen." Eher hätte sie sich von Jünger die ersehnte und angekündigte >Theologie des Arbeiters < erwünscht, vielleicht auch, um ihr eigenes Büchlein über den "Verrat im 20. Jahrhundert" nach der immensen Faktensammlung auch theoretisch konsistent abschließen zu können. Denn das ist letztlich das zentrale Anliegen der Boveri: sie sucht zu den Fakten, zur Empirie der Korrespondentin, und zu ihrem unglaublich umfangreichen Archiv (- es ist auch heute noch einer der größten Nachlässe, und der größte Nachlass einer Journalistin in der Staatsbibliothek zu Berlin überhaupt –) die alles ordnende Theorie und die alles lösende Formel. Als sie am 5.Oktober 1949 für den Kurier eine Rezension schreibt, es ist die letzte Rezension eines Jüngerschen Werks, bevor sie dem Meister dann endgültig persönlich gegenüber tritt, wird fast so etwas wie ein WIR - Gefühl spürbar: wir, Margret Boveri und Ernst Jünger, die Nachfahren Röntgens, schreiben über Strahlen und Strahlungen.

    Und dann kommt es tatsächlich, das lang ersehnte Zusammentreffen. Und mit diesem auch die Beinah-Katastrophe der gemeinsamen Beziehung. Denn kaum hat Margret Boveri am 13.März 1950 den Meister an seinem damaligen Wohnort in Ravensburg aufgesucht, schon schreibt sie, nur wenige Tage später am 18. März, einen ihrer üblichen Rundbriefe an engste Bekannte.

    "Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich so etwas machte, einen Mann besuchen, der mich als Leser ergriffen hatte. Und ich werde es nicht wieder tun; denn ich bin dann doch nicht fähig, das zu reden, was mich wirklich interessiert würde ... ."

    Aber da sind auch schon andere Sätze aus der Feder geflossen:

    "Ich guckte mir sein scharfes Gesicht an, viel schärfer als auf irgend einer Photographie, die ich gesehen habe, und dachte: >O je! wär ich nur schon wieder draußen!< Ich glaube, es ist nicht, wie viele seiner Leser (die ihn nicht mögen) glauben, die Kälte, die von ihm ausstrahlt; ich habe wenigstens keine gespürt, sondern die konzentrierte Schärfe ( ... ), und dazu das Fehlen irgendeiner Substanz, einer füllenden, ausgleichenden, so wie Salzheringe oder Sardellenpaste, man braucht viel Brot und Butter dazu, dann wird es ausgezeichnet, aber allein ist es nicht gut erträglich."

    Warum gehen die Erwartungen nicht auf? Margret Boveri vermisst bei Ernst Jünger eben jene "desinvoltura" (91.100) – Jünger spricht es im "Abenteuerlichen Herz" eher französisch "Désinvolture" aus – also: jene Gelassenheit, über die Jünger sich selbst so oft und tief in seinen Schriften verbreitet hatte.
    Aber erstens kommt es anders , zweitens als man denkt: Margret Boveri entdeckt im Umfeld Jüngers zumindest noch eine weitere Person, die ihr interessant und für ihre eigene Arbeit ausbeutbar erscheint: Armin Mohler, Sekretär und Türhüter Jüngers. Und statt der erhofften "Theologie des Arbeiters" vom Meister, bekommt Margret Boveri das Konzept einer "Konservativen Revolution" vom Gesellen. Denn dessen Skizze einer "Konservativen Revolution" nimmt sie sofort auf, und sie versucht deren Ergebnisse denn auch sofort in ihr eigenes Werk einzuflechten. Mit dem Werk Mohlers hat man auch den Angelpunkt der Bewertung von Margret Boveris in jenen Jahren:

    "Das grundlegende Werk über den Nationalsozialismus ist noch nicht geschrieben worden und kann noch nicht geschrieben werden. Es fehlt uns dazu der nötige Abstand. Von dieser Tatsache muss ausgegangen werden beim Versuch, ein Bild jener Strömung politischen Denkens zu zeichnen, welche man mit Namen >Konservative Revolution< oder >Deutsche Bewegung< zu benennen versucht hat. Für gewöhnlich wird jene Strömung mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt, bei dem wir einen Großteil ihrer Gedanken als Schlagwörter wieder finden."

    Dass diese Gleichsetzung von Konservativer Revolution und Nationalsozialismus nicht stattfinden darf, dass vielmehr die Konservative Revolution gegenüber dem kruden Nationalsozialismus als "eigenständiges Gebilde darzustellen" ist, darin werden Armin Mohler und Margret Boveri völlig übereinstimmen. Und die Bekanntschaft mit Mohler gibt Margret Boveri die Hoffnung, dass diese Differenzierung gelingen könnte.
    Im Rückblick wird man sagen müssen, dass dies nicht der Fall war, und auch die Herausgeber des Briefwechsels stellen bei ihrem Kommentar des allerersten Briefes fest, dass Margret Boveri in der Zeit des Kriegsendes

    "einen weltanschaulichen Wechsel durchlief, der sie dem Liberalismus ihres Elternhauses entfremdete und zu einer Annäherung an nationalsozialistische Positionen führte."


    Ganz so hart hat es Heike B. Görtemaker in ihrer nach wie vor wegweisenden Biographie über Margret Boveri nicht formuliert. Aber die Identifikation mit der Verlierernation Deutschland geht bei Margret Boveri immerhin so weit, dass der verwunderte Leser versucht ist, bei ihr gerade nach 1945 von einem empathisch empfundenen Faschismus oder gar Nationalsozialismus zu reden, den man so deutlich aus ihrem Lebenslauf vor 1945 nicht herauszulesen vermag. Boveri spricht auch später noch vom "Irrweg der Inneren Emigration", und sie scheint sich ihr eigenes Profil als frühere Auslands-Korrespondentin und auch als Journalistin der Nachkriegszeit nach Art einer Jüngerschen "Waldgängerin" nachträglich zurecht zu malen.

    Es ist jener Türhüter Ernst Jüngers, Armin Mohler, dessen Stirnrunzeln nach dem Rundbrief auch Margret Boveri aufschreckt. Erklärungs- und Entschuldigungsbriefe sind fällig, an Armin Mohler und auch an Jüngers damalige Frau, Gretha Jünger, die Margret Boveri offensichtlich sehr beeindruckt hat. Aber das Verhältnis lässt sich wieder einigermaßen wieder kitten, und es entsteht sogar auf beiden Seiten ein entspannteres Verhältnis. In der Rezension von Jüngers "Gordischer Knoten" kann man dann erleben, wie sich Margret Boveri zum ersten Mal von Jünger absetzt:

    "Im geographischen Bereich scheint die Optik der Referentin anders beschaffen zu sein als die Jüngers"

    Und sie kritisiert dabei den archaisierten Gegensatz von "Ost und West", den Jünger etwas zu schablonenhaft ausübt. In dieser Phase tauschen sich zwei Weit- und Weltgereiste aus: die Boveri erzählt in ihren Briefen vom Fortgang ihres Buches "Der Verrat im 20. Jahrhundert", dessen verkaufte Auflage auch Ernst Jünger beeindrucken kann. Zu einem Gegenbesuch Ernst Jüngers bei Margret Boveri, sei es in Berlin oder sei es im fränkischen Höfen, kommt es freilich nicht.

    Zur Edition:
    Dem Briefwechsel zwischen Margret Boveri und Ernst Jünger aus den Jahren 1946 bis 1973 sind dankenswerterweise alle Zeitungsbeiträge Boveris zu Ernst Jünger zusätzlich beigefügt worden! Roland Berbig, der auch schon den Briefwechsel zwischen der Boveri und Gottfried Benn im Jahr 2003 ediert hat, leistete hier gemeinsam mit Tobias Bock und Walter Kühn so gründliche Arbeit, dass man dem hohen Niveau der wissenschaftlichen Edition mitunter einen Briefwechsel gewünscht hätte, der der Sichtweise der sog. "Konservativen Revolution" nach dem Zweiten Weltkrieg noch tiefer ausgelotet hätte.

    Ein Entschluss der Herausgeber, auch die zusätzlich beigefügten Artikel der Boveri über Jünger in die Kommentierung mit einzubeziehen, wäre das Sahnehäubchen auf dieser Edition gewesen. Sicher, häufig handelt es sich in diesen Artikeln nur um das Zitieren ausführlicher Textstellen Jüngers, deren Fundstellen man anderweitig recherchieren kann. Aber man betrachte beispielsweise eine interessante Textstelle in Boveris Rezension des "Gordischen Knoten" von Ernst Jünger, die am 17.10.1953 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien. Diese Rezension ist ein Beleg für die geistige Abnabelung von Jünger, und ausgerechnet in diesem Brief findet sich der Name und ein Zitat Max Schelers. Die Textstelle stammt aus einer Rede Schelers aus dem Jahr 1927, die nach Schelers Tod im Jahr 1928 in der Aufsatzsammlung "Philosophische Weltanschauung" erschien. Die Boveri spielt hier das Schlangen-Symbol, wie es der Philosoph Scheler gebraucht, gegen die Symbol-Verwendung bei Jünger aus. Und wenn Margret Boveri in ihrem allerletzten Schreiben an Jünger abschließend sagen wird, dass sie eben "kein Organ für das Symbolische" habe, dann zeigt diese Rezension eher, dass dies nicht der Fall war, und dass sie statt dessen eher bei Jüngers Symbolwelt an die Grenzen gestoßen war.
    Hier hätte man zu gerne mehr über das Verhältnis von Margret Boveri zu Max Scheler erfahren. Hat sie den Text schon 1929 gelesen, oder wurde sie auf Scheler erst später aufmerksam? Scheler spielt in den Büchern der Boveri, die ja alle mit Registern versehen sind, offensichtlich keine sonderlich große Rolle. Und doch ist sein Werk, seine konservative Grundhaltung, die sich aber doch mit einer Pioniertätigkeit als einer der ersten Rezipienten moderner amerikanischer Philosophie in Deutschland verträgt, von so frappanter Ähnlichkeit mit der Amerika-Rezeption und Rezeptionshaltung von Margret Boveri, dass hier ein Vergleich naheliegt.
    Dem "Briefwechsel" Boveri/Jünger ging eine Neuausgabe der "Amerikafibel" im gleichen Verlag voraus. Als Vorab-Edition zu diesem Briefwechsel ist dies umso verdienstvoller, weil die "Amerikafibel" klarstellt, dass der Gebrauch des "Rasse"-Begriffs bei Margret Boveri kaum von Ernst Jünger stammt, sondern wohl eher aus einem Roman William Faulkners genommen ist. In ihrer Fibel führt sie aus:

    "Ich überlasse es den Gelehrten, sich darüber zu streiten, ob Milieu oder Vererbung bei der Bildung der Menschen ausschlaggebend ist, und ob es eine Vererbung erworbener Eigenschaften gibt. Ich jedenfalls bin überzeugt, dass die amerikanische Erde, die amerikanische Luft, das Nebeneinander von Hitze und Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit zu der Formung des amerikanischen Menschen ebensoviel beigetragen haben wie die oben geschilderte Umerziehung. > This land of violent sun, of alteration from snow to heat-stroke which has produced a race impervious to both< schriebWilliam Faulkner in seinem Roman The Unvanquished. Ja, dies >Land heftiger Sonne, heftigen Wechsels zwischen Schnee und Herzschlag< hat wirklich eine Rasse ausgebildet, die gegen beides souverän unempfindlich ist."

    Margret Boveri wird dieses Zitat aus Faulkner "Die Unbesiegbaren" auch in ihrem Berliner Kriegstagebuch "Tage des Überlebens" übernehmen.

    Eine andere Brücke zwischen der Amerikafibel und dem Briefwechsel ist die konservative Idylle, der man die Überschrift "Das Brot von Höfen" geben könnte. In der Amerikafibel heißt es über den Heimatort Höfen:

    "In dem Dorf Höfen bei Bamberg, wo ich seit meiner Kindheit meine Sommer verbrachte, wird ein Brot gebacken in großen runden Laiben von sechs und acht und sogar zwölf Pfund. Es ist das beste Brot der Welt. Mein Vater pflegte, wenn er dies Brot aß und das Wasser aus unserem Brunnen trank, zuweilen zu sagen, er verstehe nicht, wie ein Leben bei Wasser und Brot – bei solchem Wasser und Brot – eine Strafe sein solle. Sooft ich Höfen verlasse, nehme ich einen halben oder ganzen Laib dieses Brotes mit. In München aber oder in Berlin erweist sich dann, dass das Brot nicht mehr das beste Brot der Welt ist ... ..Es gibt offenbar Gesetze, die noch unerforscht sind, wonach auf einem bestimmten Boden, in einer bestimmten Luft, mit einem bestimmten Wasser verarbeitet, ein Erzeugnis und zwar meist das Bodenständige, besser schmeckt als ein anderes."

    Im Briefwechsel mit Ernst Jünger wird diese Idylle auf interessante Weise ergänzt. Boveri geht hier kurz auf Ernst Jüngers "Friedenschrift" ein, insbesondere auf die früher übliche Durchdringung der Arbeitswelt mit Religiosität, um dann als Beispiel wieder das Brot von Höfen zu bringen:

    "In unserem fränkischen Dorf Höfen sehe ich die aussterbenden Reste einer Welt, wo diese Durchdringung noch vorhanden war, wenn mir eine alte Bäuerin die Hälfte eines 12pfündigen Laibs Schwarzbrot verkauft und über dem selbstgebackenen Brot ein Kreuz schlägt, bevor sie es durchschneidet."

    Beide Textstellen machen klar, was Höfen für die Boveri bedeutete. Anders als Jünger lebt Margret Boveri die Bilokalität: das Dorf Höfen und die Weltstadt Berlin sind zwei Seiten ihres Wesens. Höfen ist die alte bäuerliche Welt, wo sie "die aussterbenden Reste einer Welt" sieht, und Berlin ist die moderne Großstadt, in welcher das technologische Zeitalter seine teilweise zerstörerische und grausame Geschichte schreibt.

    Man wird die analytische Fähigkeiten der Margret Boveri nicht überschätzen müssen. Ihre Kraft lag im ehrlichen Aufschreiben und Beschreiben. Und wenn es 2009 oder 2010 vielleicht doch noch gelingen sollte, dass neben dem Briefwechsel mit Ernst Jünger auch noch ihr Briefwechsel mit Uwe Johnson erscheint, dann wäre gerade durch und mit dieser Journalistin ein ungewöhnlicher Bogen vom Jahr 1945 zum Jahr 1968 zu spannen!

    Das war der Büchermarkt mit Büchern von Margret Boveri:
    Beide Bände sind in dem noch jungen Berliner Landt- Verlag erschienen, der erst 2005 mit Schwerpunkt deutsche Geschichte, Philosophie und Geistesgeschichte gegründet wurde:

    Margret Boveri und Ernst Jünger. Briefwechsel aus den Jahren 1946 bis 1973. Herausgegeben, kommentiert und mit einem Vorwort versehen von Roland Berbig, Tobias Bock und Walter Kühn, Landtverlag Berlin 2008

    Und
    Boveri, Margret: Amerikafibel für Erwachsene Deutsche. Ein Versuch, Unverstandenes zu erklären, mit einer Einleitung von Heike B. Görtemaker (2006) und einer Rezension von Theodor Heuss, Berlin 2006

    Beide Bücher sind im LANDTVERLAG erschienen. Sie kosten 34,90 Euro (Briefwechsel) bzw. 24,90 Euro (Amerikafibel)