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Straßengangs in den USA

Seit 24 Jahren sitzt er in einer Todeszelle in San Quentin in Kalifornien: der inzwischen 51-jährige Stanley Tookie Williams. Er war Mitglied einer brutalen Straßengang, die in den 70ern Los Angeles in Angst und Schrecken versetzte. Wegen mehrfachen Mordes angeklagt, hofft er auf eine Begnadigung durch den kalifornischen Gouverneur Arnold Schwarzenegger.

Von Christiane Feller |
    Schon einmal kreuzten sich ihre Wege. Vor fast 30 Jahren begegneten sich Arnold Schwarzenegger und Stanley Tookie Williams auf der Promenade des "Venice Beach". Am sonnigen Pazifikstrand Kaliforniens, wo Männer gern stolz mit ihren Muskeln prahlten. Überaus prall müssen die Bizeps des Stanley Tookie Williams gewesen sein – "gewaltig wie Oberschenkel", soll Arnold Schwarzenegger damals staunend gesagt haben. Nun hat sie das Schicksal erneut zusammengeführt.
    " Mein Name ist Stanley Tookie Williams. Ich entschuldige mich bei all denen, die tagtäglich gefährlichen Straßengangs ausgeliefert sind. "
    Hieß es neulich in einem spektakulären Telefoninterview mit dem "National Public Radio" aus der Todeszelle heraus.

    Die mächtig toupierte schwarze Mähne des Tookie Williams ist längst ergraut. Und gestutzt. Der Mann hat der Gewalt abgeschworen. Die Wende des heute 51-Jährigen vollzog sich nach sechs Jahren Einzelhaft hinter den dicken Steinmauern von San Quentin. Seit seiner Läuterung wird Häftling Williams nicht müde, die immergleiche Botschaft zu verkünden: Kids, lasst Euch nicht auf Straßengangs ein. Ich habe mich verändert, ihr könnt es auch.

    " I have changed and I don’t want any youth walk into my footsteps."

    Und er erreicht seine Klientel: Etwa 70.000 Jugendliche haben ihm bisher geschrieben.
    Straßengangs treiben nicht nur in Los Angeles oder Chicago ihr Unwesen. Wie ein Krebsgeschwür wuchern sie überall in Amerikas Städten. Eine der größten und gefährlichsten ist die "Mara Salvatrucha", auch genannt die MS-13: M steht für Mara, gleichbedeutend mit Gang, salva für El Salvador und trucha für "Fürchte uns".

    Im schmucklosen Betonklotz des FBI an der 10. Straße/Ecke Pennsylvania Avenue in der US-Hauptstadt Washington hat Robert Clifford sein Büro. An der Wand hängt eine Zeichnung von Che Guevarra, für dessen Ideale der Direktor der zuständigen Straßengang-Einheit noch immer schwärmt.

    Robert Cliffords Arbeitsgruppe wurde im Dezember vergangenen Jahres gegründet, da Gangs wie die MS-13 immer rücksichtsloser auch über nationale und internationale Grenzen hinweg operieren.
    " Die MS-13 Mitglieder leben hier in den USA schon in der zweiten und dritten Generation. Viele illegal oder als US-Bürger. Sie operieren transnational und international. Wir haben sogar Berichte von einigen MS-13 Mitgliedern in Europa. Die Gang verteilte sich von Los Angeles aus über das ganze Land. Das FBI schätzt die Zahl der MS-13 Mitglieder auf ungefähr 8000 bis 10.000 Mitglieder, aktiv in 33 Staaten – auch im Distrikt von Columbia."
    Die MS-13 lebt von Raub, Erpressung, Vergewaltigung, Mord, und Drogenhandel. Besonders lukrativ aber ist, sagt Robert Clifford, die Erpressung kleiner illegaler Ladenbesitzer. Früher hat die Justiz mit ihnen kurzen Prozess gemacht. Nach Verbüßung ihrer Haftstrafe in US-Gefängnissen wurden sie kurzerhand abgeschoben. Geholfen hat es nicht. Im Gegenteil.
    " Sie wurden noch krimineller, lernten, sich in US-Gefängnissen zu organisieren. Nachdem man sie abgeschoben hatte, gründeten sie in Zentralamerika kleine kriminelle Zellen. Mit dem Ergebnis: Der Kreislauf begann erneut."

    Kweisi Mfume war Mitglied einer Straßengang. Seine Karriere ist relativ typisch: Als der Afroamerikaner 16 Jahre alt war, starb seine Mutter. Er flog von der Schule, arbeitete zuerst noch als Verkäufer in einer Bäckerei und gleichzeitig als Schuhputzer. Doch dann stellte er fest, dass man mit dem Glückspiel schneller ans große Geld kommen konnte.
    Am Bahnhof von Baltimore, eine Zugstunde von Washington DC entfernt. Hier, in der Inner-City, ist jeder Vierte arbeitslos. Das ist der Wahlkreis von Kweisi Mfume, der als ehemaliger Kongressabgeordneter nun bei den Wahlen im November 2006 für den US-Senat kandidiert.
    Wahlplakate und Amerikafahnen schmücken die hohen Büroräume von Kweisi Mfume. Niemand wird mit der Waffe in der Hand geboren, sagt das heute 57-jährige Ex-Gangmitglied.
    " Sie bieten dir falsche Sicherheit, Familie, Schutz. Und sie zeigen dir, wohin du gehörst. Ich glaube nicht, dass jemand freiwillig einer Gang beitritt, weil er ein böser Mensch ist. Die Familie ist immer noch der Nukleus für ein Kind. Wenn diese Einheit zerstört wird, die Eltern keine Werte vermitteln; ist die Gefahr groß, den falschen Weg einzuschlagen."
    Mit 22 Jahren zog Kweisi Mfume Bilanz: Der beste Freund erschossen, er fünffacher Vater von Kindern fünf verschiedener Mütter. Und immer die Angst im Nacken. Kweisi Mfume wollten aussteigen.
    " Mitten in der Nacht, es war Juli, da hatte ich eine Eingebung. Wir waren mit der Gang unterwegs und ich fühlte den Tod ganz nah kommen. Plötzlich war mir klar, dass sich in meinem Leben etwas verändern musste."
    Trotz massiver Morddrohungen ehemaliger Gangmitglieder schaffte Kweisi Mfume den Ausstieg. Doch dies ist eher die Ausnahme, als die Regel. Im "Prince George County" zum Beispiel, ein Viertel am Rande von Washington DC, starben in diesem Jahr über 150 Kids im Alter von 16 bis 26 Jahren – erschossen – meistens ging es um Rivalitäten unter den Gangs. Andere landen im Knast wie der damals 28-jährige Stanley Tookie Williams. Er verdient eine zweite Chance, sagt der Direktor des "Informationszentrums "Todesstrafe".
    " Sie können sich ändern, das beweist das Leben von Tookie Williams. Auch wenn sie schreckliche Verbrechen begangen haben, man sollte Menschen im Alter von 20 Jahren nicht lebenslang bestrafen. Ihn zu exekutieren – denke ich, hilft der Gesellschaft wenig. Stanley Tookie Williams steht für etwas, als Autor und auch als Mensch. Ihn nicht zu exekutieren, bedeutet, ihn der Gesellschaft zurückzugeben."