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Streit um Flugzeugabsturz

Noch immer halten die Spekulationen um den Flugabsturz an und werden zunehmend von der Politik aufgenommen. Jaroslaw Kaczynski, der rechtskonservative Oppositionelle, scheint die Katastrophe bei den Kommunalwahlen im November zum Wahlkampfthema machen zu wollen.

Von Florian Kellermann |
    Auch fast vier Monate nach dem Flugabsturz kommen noch Menschen vor den Warschauer Präsidentenpalast, um an das Unglück zu erinnern. Sie bleiben vor dem drei Meter hohen Holzkreuz stehen, um dessen Erhalt an diesem Ort einige Warschauer kämpfen. Es müsse bleiben, sagt Wlodzimierz Tek, der hier mit Anderen Wache hält, auch weil es dafür stehe, dass die Ursache des Unglücks noch längst nicht aufgeklärt sei:

    "Es ist ein Skandal, dass die polnische Regierung die Ermittlungen in vielen Aspekten Russland überlassen hat. So ist es kein Wunder, dass einige mögliche Ursachen de facto schon ausgeschlossen wurden: so die These, dass es sich bei dem Unglück um einen Anschlag gehandelt haben könnte oder dass die russische Seite zumindest eine Mitschuld trägt."

    Solche Zweifel an den Ermittlungen haben vor allem die Anhänger der rechtskonservativen Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit", kurz PiS, von Jaroslaw Kaczynski. Trotzdem hielt sich der Ex-Premierminister bis vor Kurzem mit Kritik an der Regierung zurück. Vor der Stichwahl um das Präsidentenamt Anfang Juli wollte er nicht den Eindruck erwecken, die Tragödie politisch auszunutzen.

    Das ist jetzt anders. Jaroslaw Kaczynski gibt sogar zu verstehen, auch wenn er dabei gerne vage bleibt, die Regierung trage eine Mitschuld an dem Flugzeugabsturz:

    "Ich kann nicht behaupten, dass wir es hier im juristischen Sinn mit einem Verbrechen zu tun haben. Dafür habe ich keine Beweise. Aber im umgangssprachlichen Sinn war es ein Verbrechen, in dem Sinn, dass hier etwas außergewöhnlich Verwerfliches, Abstoßendes getan wurde."

    Unter den Anhängern der PiS kann das jeder auf seine Weise verstehen. Denn viele Wähler von Jaroslaw Kaczynski hängen Verschwörungstheorien an. Manche glauben, das Unglück sei in Wahrheit ein Attentat Russlands gewesen. Die PiS gibt an, diese und andere Hypothesen untersuchen zu wollen und rief einen inoffiziellen Parlamentarierausschuss ins Leben.

    Damit stößt sie wiederum auf heftige Kritik bei der Regierung und der rechtsliberalen Partei "Bürgerplattform" von Premier Donald Tusk. Die Staatsanwaltschaft solle in Ruhe ihre Arbeit machen können, heißt es hier.

    "Um Verschwörungstheorien vorzubeugen, veröffentlichte die Regierung die Aufzeichnungen der Flugschreiber aus der Unglücksmaschine."

    Allerdings sind diese bisher nicht vollständig entschlüsselt. Außerdem bewerten Experten die Aufzeichnungen unterschiedlich. Einerseits entlasten sie die russischen Fluglotsen, weil diese wegen der schlechten Sichtverhältnisse schon frühzeitig vor einer Landung warnten. Andererseits kam ihr eindeutiger Befehl, den Landeversuch abzubrechen, erst unmittelbar vor dem Aufprall. Inzwischen hätten polnische Experten weitere Passagen der Flugschreiber entschlüsselt, heißt es in der polnischen Regierung. Informationen über deren Inhalt gibt es aber noch nicht.

    So geht der Streit um die Ermittlungen weiter, und auch Abgeordnete der "Bürgerplattform" gießen Öl ins Feuer. Sie prangern den verstorbenen Präsidenten Lech Kaczynski an. Er sei schuld an dem Unglück. Denn er habe den Piloten befohlen, trotz schlechter Sichtverhältnisse zu landen, so der Vorwurf, der von den Flugschreibern bisher weder bestätigt noch widerlegt wird. Der Abgeordnete der Bürgerplattform Janusz Palikot sagt:

    "Lech Kaczynski trägt die moralische Verantwortung für das Unglück. Er hat die Reise nach Smolensk organisiert, er hat die Passagierliste zusammengestellt, und er hat zumindest leichten Druck auf die Piloten ausgeübt. Er hat das Blut der Verstorbenen an seinen Händen."

    Inzwischen hat der politische Streit auch die Familien der Opfer gespalten. Ein Teil stellt sich auf die Seite der PiS und misstraut den Behörden. Eine Witwe zweifelt sogar, dass die Leiche ihres Mannes korrekt identifiziert wurde - und beantragte die Exhumierung.

    Andere Familien finden das geschmacklos. Jaroslaw Kaczynski und die PiS vereinnahmten die Katastrophe für sich, erklärte Izabella Sariusz-Skapska, die Tochter eines der Verstorbenen:

    "Ich gebe niemandem ein Mandat, in meinem Namen für die Opfer zu sprechen. Ich und meine Angehörigen wollen einfach aus der Politik herausgehalten werden."

    Ein Wunsch, den die Parteien, wie es aussieht, nicht beachten werden. Beobachter glauben, dass vor allem Jaroslaw Kaczynski die Flugzeugkatastrophe bei den anstehenden landesweiten Kommunalwahlen im November zum Wahlkampfthema machen möchte. Schon nächste Woche wollen PiS-Anhänger in Warschau protestieren, wenn das Holzkreuz vor dem Präsidentenpalast abgebaut und in eine nahe Kirche gebracht werden soll.