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Streit um Hessischen Kulturpreis

Der Leiter der Christlich-islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle der Deutschen Bischofskonferenz, Peter Hünseler, ruft nach dem Eklat um die Vergabe des Hessischen Kulturpreises zu einem neuen interreligiösen Dialog auf. Statt darüber zu diskutieren, wer die "bessere Religion" habe, müsse man über gemeinsame Werte und Normen diskutieren, die sich aus den unterschiedlichen Religionen ableiten lassen.

Peter Hünseler im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 20.05.2009
    Doris Schäfer-Noske: Vertreter von vier Religionen bekommen einen Preis für ihre Bemühungen um den interreligiösen Dialog, und was tun sie? Sie streiten. Bei den Querelen um den Hessischen Kulturpreis kann man sich fragen, ob es überhaupt einen Dialog zwischen den großen Religionen geben kann. Ein solcher Dialog wird jedenfalls jetzt von den Preisträgern verlangt. Die Preisverleihung wurde deshalb auf den Herbst verschoben.

    Was ist nun seitdem passiert? Kardinal Lehmann hat sich verteidigt und den muslimischen Preisträger Navid Kermani erneut kritisiert. Kermani habe bei seinen Äußerungen über das Kreuz Sensibilität und Respekt vor dem christlichen Glauben vermissen lassen, erklärte er. Gleichzeitig warnte er vor einer Überforderung des interreligiösen Dialogs. Schon vor ein paar Monaten hat der Papst in einem Vorwort zu einem Buch sogar geschrieben, ein interreligiöser Dialog im engen Sinne des Wortes sei nicht möglich.

    Frage an Peter Hünseler, Leiter der Christlich-islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle der Deutschen Bischofskonferenz: Herr Hünseler, wird damit nicht Ihre Arbeit infrage gestellt?

    Peter Hünseler: Der Begriff "interreligiöser Dialog" wird ja häufig auch so verstanden, dass hier zwei Religionen sitzen und ihre Argumente austauschen und sagen, wer hat die bessere Religion und wir sind näher dran an Gott. Das kann natürlich kein interreligiöser Dialog sein.

    Realistisch genommen kann der interreligiöse Dialog eigentlich nur zwei Ziele verfolgen; das erste, würde ich mal sagen, hat eine gesellschaftspolitische Komponente und hat so etwas integrativen Charakter. Das heißt, wir haben Muslime in Deutschland, und die Mehrheitsgesellschaft ist christlich geprägt, lebt in einem christlich geprägten Abendland. Und die Normen und Werte, die unser Zusammenleben bestimmen, die auch in unserem Grundgesetz ihren Niederschlag gefunden haben, sind nun eben einmal christlich geprägt.

    Und wenn wir darüber nachdenken, wie wir Muslime und Christen hier zusammenleben, da gibt es ja sehr unterschiedliche Vorstellungen und Werte. Beispielsweise an die Gleichwertigkeit der Frau, wenn ich da denke, oder an die Frage von Demokratie. Viele denken ja, dass der Islam dazu nicht fähig sei, jedenfalls habe er Schwierigkeiten.

    Wenn wir zusammenleben wollen, müssen wir in der Lage sein, die Werte dieses Zusammenlebens in unseren Religionen wiederzuentdecken. Wir müssen dort herholen können. Nur dann kann ein Muslim auch in seiner Identität als Muslim in Deutschland in dieser Gesellschaft leben und sich auch integrieren. Und da muss die Mehrheitsgesellschaft diese Muslime auch Muslime sein lassen können, die Moscheen bauen können, die Religionsunterricht haben und so weiter und so fort. Das heißt, der interreligiöse Dialog hat eine sehr starke integrative Funktion, nämlich dass wir uns auf gemeinsame Werte und Normen beziehen und die jeweils von unseren Religionen ableiten.

    Schäfer-Noske: Das heißt, das wäre dann auch ein mögliches Ergebnis des christlich-muslimischen Dialogs, dass man sich auf gemeinsame Werte verständigt?

    Hünseler: Richtig.

    Schäfer-Noske: Aber nun gibt es ja auch Grenzen, es gibt Dinge, die sind ja in beiden Religionen nun mal nicht verhandelbar.

    Hünseler: Das ist jetzt genau die Diskussion, die wir jetzt hier mit dem Kreuz gehabt haben, wo wir ein ganz starkes europäisches Symbol haben, was schon nicht mehr nur allein christlich ist, sondern was auch einen säkularen Charakter hat, wo Muslime, die in Europa leben, dem Kreuz immer wieder in ihrem Alltag begegnen.

    Was Navid Kermani in seinem umstrittenen Beitrag artikuliert hat, das ist ja nicht mehr und weniger als die ganz generelle Haltung von Muslimen gegenüber dem Kreuz. Sie haben eben eine andere Haltung zu dem Kreuz. Für sie ist Jesus nicht am Kreuz gestorben, Jesus ist nicht Gottes Sohn gewesen, und von daher hat das Kreuz für sie eine völlig andere Bedeutung. Und darüber müssen wir reden. Wir müssen klarmachen, was es für uns bedeutet.

    Schäfer-Noske: Das heißt, das wäre jetzt auch die Aufgabe des Dialogs zwischen den Preisträgern, der jetzt stattfinden müsste?

    Hünseler: So ist es. Navid Kermani hat sich ja sehr eingehend in seinem Beitrag mit dem Kreuz auseinandergesetzt, aber er hat meines Erachtens zwei Fehler gemacht. Er ist auf halber Strecke stehen geblieben, das heißt, er hat nur die Schmerzen thematisiert.

    Aber für Christen bedeutet das Kreuz eben mehr als nur Schmerzen. Karfreitag ist der Tag des Todes am Kreuz, der Schmerzen, und dann kommt die Auferstehung, dann kommt Ostern und dann wird Halleluja gesungen.

    Schäfer-Noske: Aber das wäre ja wieder eigentlich gar nicht seine Aufgabe gewesen, weil er hat es ja aus seiner Perspektive gesehen. Und am Schluss seines umstrittenen Beitrags hat er ja sogar gesagt, "ich könnte fast an das Kreuz glauben". Also das ist ja schon...

    Hünseler: Ich weiß, ich weiß.

    Schäfer-Noske: ...sehr viel Entgegenkommen sozusagen.

    Hünseler: Ich sehe das. Navid Kermani bringt jetzt diese christliche Kreuzestheologie in Zusammenhang mit dieser iranischen Schmerzenstheologie, und das geht nicht. Das kann man nicht vergleichen, das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Da würde ich ihn auch kritisieren und sagen, also wenn er sich mit einer anderen Religion befasst, dann muss er auch versuchen, sie ganz zu erfassen, und muss auch versuchen, sich dann ganz zu befreien von dem, soweit es geht, was er mitbringt.

    Schäfer-Noske: Aber da müsste doch jetzt eigentlich ein Dialog anschließen, dass man nicht sagt, mit dem will ich nichts zu tun haben, der kann das sowieso nicht so interpretieren, der hat da einen Fehler gemacht, sondern dass man dann aufeinander zugeht, dass man miteinander spricht und dass man auch davon absieht, die andere Position als die falsche abzuwerten.

    Hünseler: Nein, völlig richtig. Was wir auch gesehen haben oder was mir ganz klar, auf einmal ganz deutlich bewusst gewesen ist, ist, dass dieses Kreuz so eine zentrale Bedeutung hat, nicht nur im christlich-islamischen Dialog, sondern auch in der ganzen Integrationsdebatte. Ich sagte ja vorhin schon, das Kreuz steht in Europa auch für säkulare Zwecke. Und wir müssen dringend darüber reden und versuchen, uns gegenseitig zu informieren.

    Das ist dann der Sinn von interreligiösem Dialog, dass Muslime verstehen, was das Kreuz bedeutet in der abendländischen Geschichte, dass es nichts mit dem zu tun hat, was sie aus ihrer Religion in das Christentum hineintransportieren, sondern dass sie es aus dem Selbstverständnis des Christentums heraus verstehen müssen, genauso wie wir ja auch vieles aus dem Selbstverständnis des Islam verstehen müssen. Beispielsweise wenn Muslime darauf insistieren, dass das Kopftuch für Frauen ein religiöses Symbol ist, dann erwarten sie auch, dass wir dieses immanent aus dem islamischen Selbstverständnis heraus nachvollziehen.

    Schäfer-Noske: Welche Auswirkungen haben denn diese Querelen um den Hessischen Kulturpreis auf Ihre Arbeit gehabt?

    Hünseler: Nun ja, es war, ich würde es bezeichnen als ein mittleres Desaster. Und zwar haben hier alle Beteiligten ganz große Fehler gemacht, alle. Die größten Fehler hat meines Erachtens das Kuratoriums des Hessischen Kulturpreises gemacht.

    Wenn wir mal bedenken, dass zunächst einmal Professor Sezgin die Annahme des Kulturpreises verneint hat, und das ist völlig folgenlos geblieben. Man hat jemand anderen gesucht. Das heißt, Kardinal Lehmann und Bischof Steinacker konnten zu dem Zeitpunkt davon ausgehen, wenn sie sagen, nein, den nehme ich nicht an, den Preis, dass das zunächst einmal noch zu keinen Problemen führt. Und hier ist auch mit zweierlei Maß gemessen worden, dass man gesagt hat, gut, einen Muslim kann man ja austauschen, das ist ja kein Problem. Das hat mich gestört. Im christlich-islamischen Dialog wollen wir auf Augenhöhe miteinander reden. Wir sind alle gleichwertig und keiner ist austauschbar. Das darf nicht passieren.

    Schäfer-Noske: Das war Peter Hünseler, Leiter der Christlich-islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle der Deutschen Bischofskonferenz zum Streit um den Hessischen Kulturpreis.