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Streit um Polygamie in Indonesien

Sowohl Prinz Charles als auch Lady Di wussten: Man lebt zwar nur einmal, aber man liebt nicht nur einmal. Jedenfalls kommen mehrfache Verpaarungen in eines Menschen Leben vor, und die Frage, die sich dann stellt lautet: gleichzeitig oder nacheinander? Nacheinander ist ok, gleichzeitig gibt es bloß im Islam und bei den Mormonen - erlaubterweise jedenfalls. In Indonesien vollzieht sich derzeit ein interessanter Übergang vom einen Sittensystem zu dem anderen.

Von Beatrix Novy |
    Die Frage nach der Möglichkeit beziehungsweise Unmöglichkeit lebenslanger ehelicher Treue ist nach wie vor ungelöst, nur eine Gruppe auf dem weiten Erdenrund ist da, so scheint es, aus dem Schneider: männliche Muslime in islamischen Staaten. Indonesien, obwohl vielvölkrig und multireligiös, ist mehrheitlich islamisch und erlaubt die Polygamie - grundsätzlich.

    "Als Europäer wird man hier allerdings kaum eine polygame Familie kennen lernen, sie ist nicht verbreitet und in den Milieus, in denen Europäer verkehren, gibt es sie sowieso nicht. Aber es gibt Geschichten: vom reichen Kettenrestaurantbesitzer X, der vier Frauen hat; oder der Großhändler Y, der hat drei und lässt die sogar noch für sich arbeiten. "

    Die Tendenz zur Zweitfrau, erklären einem die indonesischen Freunde, halte in den letzten Jahren mit der allgemeinen Islamisierung Schritt.
    Trotzdem ist nicht anzunehmen, dass der populäre Prediger Abdullah Gymnastiar ein Zeichen setzen wollte, als er sich kürzlich eine zweite Ehefrau nahm.

    Gymnastiar, Spitzname: AA Gym, ist ein Popstar der jüngeren Islambewegung, auch seine Frau - nunmehr seine Erstfrau - justierte mit ihm zusammen in unterhaltend-unterweisenden Fernsehtalks die Werte einer islamischen Ordnung in Familie und Gesellschaft. Tatsächlich gab das Paar den ungewöhnlichen Familienzuwachs der Öffentlichkeit gemeinsam bekannt - was einen Sturm der Empörung nicht verhindern konnte.

    Indonesien ist ein Land, in dem Frauen, ob mit oder ohne Kopfbedeckung, nicht zuhause sitzen, sondern im Alltags- und Arbeitsleben bis in die höchsten Ränge ein keineswegs vereinzelter, vielmehr ein gewohnter Anblick sind. Das widerspricht den neo-islamischen Trends der letzten Jahre bisher nicht zwangsläufig, sie werden von Frauen mitgetragen.

    Die Islamisierung hat viele Gesichter und setzt viele kleine Zeichen: Da sind wieder drei neue Moscheen im Elendsviertel gebaut worden, die über Lautsprecher nicht nur den Ruf des Muezzin übertragen, sondern komplette Gottesdienste mit einem Prediger, der sich anhört wie Savonarola und Goebbels zusammen; dort hat ein Friseur das Schild "Nur für Muslime" im Fenster hängen; auf einem Aufkleber in der Tür des Studentenwohnheims wiederum heißt es: "Save this planet with Islam"; und die streng bedeckte Studentin trägt auch in Flipflops noch Söckchen. Sie ist vielleicht eine von jenen, die für den polygamen Prediger ein gutes Wort einlegen würden, aber sicher kann man da nicht sein.

    Die Diskussion nahm jedenfalls Tempo auf, nachdem der indonesische Staatspräsident Yudhoyono anlässlich des AA Gym-Skandals eine Ausweitung des bisher nur für höhere Staatsbeamte geltenden Polygamieverbots angeregt hatte. Für die Kommentarseiten-Redakteure der englischsprachigen Jakarta Post brachen daraufhin pralle Zeiten an, gleich drei Beiträge zum Thema erschienen an einem Tag. Meinung Nr.1: Polygamie ist im Koran schließlich nicht verboten. Nr. 2: Polygamie ist Teil der islamischen Ordnung. Nr. 3: Auch Abraham und David hatten mehrere Frauen.

    Es handelte sich also um eine Binnendebatte des so genannten intellektuellen Islam, angeführt von einer Autorin, die begeistert AA Gyms Erstfrau zitierte: eine Frau, die der Zweitheirat "von ganzem Herzen" zustimme, werde vom Ehemann noch mehr geliebt und besser behandelt; natürlich sei das nicht ganz einfach mit der zustimmenden Haltung, doch wer sie erreiche, erhalte dafür Gottes Segen - wenn auch in getarnter Form.

    Aber solche hermetischen Argumentationsgänge verfehlten ihre Wirkung. Nicht nur Frauenverbände und Aktivistinnen haben seitdem ihre Ablehnung der Polygamie bekräftigt und begründet, natürlich ohne den Boden des Islam zu verlassen. Etwa so: Der Prophet sei 25 Jahre monogam gewesen und habe als Witwer nur geheiratet, um Frauen zu schützen. Eine peppige, gendermäßig voll orientierte Autorin machte sich lustig über AA Gyms superoriginelle Rechtfertigung, Männer tickten sexuell eben anders.

    Und viele waren sich einig, dass die Mehrehe überhaupt abgeschafft gehöre, wie in Marokko und Tunesien, mit der bemerkenswerten Begründung, dass die Zeiten sich ändern. Diese Fähigkeit zur historischen Einordnung ist, wie man weiß, der einzige Lichtblick im Prozess der Re-Islamisierung, die säkulare Positionen nicht zulässt, aber wenigstens die Forderung nach einem auf die nationale Realität zugeschnittenen indonesischen Islam.