Tierforschung
Studie: Wölfe verlieren natürliche Scheu vor Menschen auch bei strengem Schutz nicht

Die Ansiedlung von Wölfen in immer mehr Regionen in Europa sorgt für teils heftige Diskussionen. Eine Studie zeigt nun, dass die Raubtiere ihre natürliche Scheu vor Menschen auch dort nicht verlieren, wo sie streng geschützt sind.Vielmehr meiden sie weiterhin bewusst den Kontakt mit Menschen.

    Vier Wölfe stehen zusammen auf einem Hügel in einem Wald.
    Wölfe haben eine natürliche Scheu vor dem Menschen. (picture alliance / imageBROKER / Raimund Linke)
    Die Forschungsgruppe unter Leitung der Wildtierökologin Liana Zanette von der Western University im kanadischen London beobachtete Wölfe in einem großen Gebiet in Polen. Dort stehen die Tiere grundsätzlich unter Schutz. Mit versteckten Kamera-Lautsprecher-Systemen zeichnete das Team auf, wie Wölfe auf unterschiedliche Geräusche wie Hundegebell, ruhige menschliche Stimmen und Vogelrufe reagierten.
    Das Ergebnis veröffentlichten sie im Fachblatt ”Current Biology”: Demnach flohen die Wölfe beim Klang menschlicher Stimmen mehr als doppelt so häufig wie bei anderen Geräuschen; und sie verließen den Ort etwa doppelt so schnell. Ähnlich empfindlich reagierten die Beutetiere der Wölfe, also etwa Widschweine und Rehe.

    Nachtaktiv aus Angst vor dem Menschen

    Nach Überzeugung der Autoren belegt die Studie, dass Wölfe in ihrem Verhalten maßgeblich von der Angst vor Menschen geprägt werden. Sie verlagern ihre Aktivitäten demnach auch deshalb in die Nacht, weil sie ihrem "Feind" damit aus dem Weg gehen konnten.
    Dieses Verhalten ist nach Ansicht des österreichischen Wolfforschers Kurt Kotrschal von der Universität Wien kein regionales Phänomen, sondern lässt sich global beobachten: "Wölfe sind extrem opportunistisch, was ihren Tagesrhythmus betrifft", erklärt der Biologe.

    Nicht mutig - nur hungrig

    Studienleiterin Zanette hebt hervor, dass es für Wölfe - wie für alle Tiere - im Prinzip um die Frage gehe, wie sie an Futter kommen, ohne selbst zur Beute zu werden. Wölfe, die sich menschlichen Siedlungen nähern oder auf Nahrungssuche in Dörfer vordringen, sind den Forschern zufolge nicht etwa mutig, sondern schlicht hungrig. Sie werden durch den Geruch oder die Verfügbarkeit von Lebensmitteln angelockt. "Die Lösung liegt darin, ihnen keinen Zugang zu unserem Essen zu geben – sei es in Form von Abfällen oder ungeschütztem Vieh", sagt Professorin Zanette. Nur so ließen sich Konflikte langfristig vermeiden.
    Ähnlich beschreibt es Wolfforscher Kotrschal: "Die triviale Schlussfolgerung ist, dass man die Wege von Mensch und Wolf möglichst getrennt halten sollte." Insbesondere dürfe man keine frei lebenden Wölfe anfüttern: In den fünf oder sechs Fällen in den vergangenen 20 Jahren, bei denen Wölfe in Mitteleuropa Menschen zu nahe kamen oder sogar Kinder verletzten, habe es sich ausnahmslos um angefütterte Wölfe gehandelt. "Das sind aber sehr wenige angesichts von rund 25.000 Wölfen in Europa."
    Diese Nachricht wurde am 05.10.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.