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'Suhrkrampf'

Vergangenen Oktober starb Siegfried Unseld. Seither steht der Suhrkamp-Verlag unter Dauerbeobachtung: Wohin geht die Reise nach dem Tod des großen Patriarchen? Linientreue soll gewahrt werden, doch der Stress der Dauerbeobachtung kann auch zu Verkrampfung führen. Und dann macht man, wie jetzt im Fall von Arno Münsters Biographie über den Philosophen Ernst Bloch, eine sehr unglückliche Figur.

Joachim Güntner |
    Suhrkamp wird Münsters Buch nicht veröffentlichen, obgleich der Verlag schon Druckfahnen an Redaktionen verschickt hatte. Vier Rezensionen sind bereits erschienen. Arno Münster bezichtigt Suhrkamp des Vertragsbruchs und der politischen Zensur und argwöhnt, man kippe sein Buch zugunsten einer alternativen, möglicherweise von Blochs Sohn Jan Robert zu schreibenden Biographie aus dem Programm. Suhrkamps Wissenschaftslektor Bernd Stiegler schiebt alles auf gravierende Mängel des Textes. Der Zensurvorwurf sei absurd, er habe "keine politischen Einwände" gegen Münsters Darstellung.

    Richtig daran ist soviel, dass Arno Münster wirklich keinen druckreifen Text geliefert hat. Kurz vor dem geplanten Erscheinungstermin war der Suhrkamp-Verlag beunruhigt genug, um Hilfe beim Ernst- Bloch-Zentrum in Ludwigshafen zu suchen. Dort nahm der Archivar eine Reihe von Korrekturen vor. Ebenfalls eingeschaltet wurde Jan Robert Bloch, der in einer E-Mail an den Autor weitere, "teils ärgerliche" Fehler moniert, indessen zu dem Urteil kommt, dies Fehler seien – Zitat - "ja leicht korrigierbar." Dann wird es ernst. Dem Sohn Blochs missfällt das Bild – "ein Prophetenbild, ein messianisches" –, welches Münster von seinem Vater zeichne. Dass die Biographie Ernst Bloch beharrlich als "marxistischen" Denker apostrophiere, obgleich dieser doch eine eigene Philosophie geschaffen habe, schmeckt dem Sohn ebenfalls nicht. Und drittens findet er die Darstellung von Zuneigung "überschwemmt", nicht abgeklärt genug.

    Über bloß sachlich-formale Beanstandungen geht das weit hinaus. Drei Tage später schließt sich der Suhrkamp-Verlag den inhaltlichen Bedenken des Bloch-Sohnes an. Münster erhält einen Brief, der ihm die Pistole auf die Brust setzt: Nun soll das Ernst-Bloch-Zentrum, unterstützt von Jan Robert Bloch, die Biographie überarbeiten dürfen. Sieben Bereiche, wo man eingreifen will, werden aufgezählt. Der Brief stellt klar: Ohne Überarbeitung kein Erscheinen des Buches. Es ist eine Demontage des Urheberrechts, eine veritable Enteignung des Autors, der dazu gebracht werden soll, die für seine Darstellung zentralen Intentionen zu dementieren. Kein Verlagsvertrag deckt Suhrkamps Änderungswünsche.

    In fünf der sieben Punkte zeigt Arno Münster sich schließlich willig. Aber er sperrt sich gegen die Hauptforderung, man müsse die "Darstellung Blochs als Genie, Prophet und marxistischer Theoretiker" durch eine strikt quellengestützte, "nüchternere und ausgewogenere biographische Darstellung" ersetzen. Auf seine Weigerung hin teilt ihm die Verlagsleitung mit, Suhrkamp sehe von einer Publikation der Biographie ab. Die Rechte daran habe man an den Verlag Éditions Kimé zurückgegeben, der das französische Original bereits vor zwei Jahren herausgebracht hat.

    Es handelt sich also um Buch, das es schon gibt. Und das heißt: Suhrkamp hätte wissen sollen, was der Verlag da eingekauft hat. Es gibt mithin zwei Möglichkeiten, und beide sind peinlich. Entweder hat niemand die französische Fassung wirklich gelesen. Oder der Verlag übt bewusst Zensur. Die restlichen, erklärtermaßen ja doch "leicht korrigierbaren" Fehler sind nur der Vorwand für den Wunsch nach einem anders gearteten Text. Es geht um Münsters Zungenschlag, wie auch Jan Robert Bloch bestätigt. Mir sagte er wörtlich: "Das war der Punkt, wo sich die Wege am entschiedensten trennten. Andauernd dieses Wort 'Prophet', etwas, was mein Vater gehasst hat".

    Ein Biograph hat die Freiheit, eine eigene Deutung vorzulegen. Suhrkamp hätte Münsters Biographie demnach ruhig bringen können. Übrigens ist keine der bereits vorliegenden Rezensionen ein Verriss, was die Bedenken vollends unverständlich macht. Warum also zuckt der Verlag vor einem fast druckfertigen Buch zurück, in das er viel Arbeit gesteckt hat?

    Noch im Vorfeld der Entscheidung schrieb Unselds Witwe Ulla Berkéwicz an Arno Münster: "Eine Biographie dieses für Siegfried Unseld wie den Suhrkamp Verlag so zentralen Autors muss besonderen Qualitätsmaßstäben genügen." Frau Berkéwicz bereitet derzeit ihren Auftritt als Verlegerin vor, und sie möchte keinen Fehlgriff im Programm riskieren. Da werden die Gralshüter im Hause wichtig. Heißt es dann mit geschürzten Lippen über ein Manuskript: "Das ist nicht Suhrkamp!", so kommt dies einem Bannspruch gleich. Und mündet in Verkrampfung und eine Linientreue, die letztlich blanke Willkür ist. Arno Münster wurde ihr erstes Opfer.

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