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Super-Lupe für ein Mikroskop

Physik. – Den Weg in den Mikrokosmos zu einzelnen Bakterien, Viren oder gar einzelnen Molekülen konnte die Wissenschaft nur mit besonderen Vergrößerungsgläsern schaffen. Doch die Physik setzt der Neugier harte Grenzen, denn die Auflösungsfähigkeit der Geräte hängt von der Frequenz der verwendeten Strahlung ab. Dabei gilt: Je kleiner die Wellenlänge, desto feiner die dargestellten Details. Mit dem Elektronenmikroskop sollten - theoretisch - daher auch einzelne Atome wie etwa der Sauerstoff beobachtbar sein. Genau dies gelingt jetzt Experten des Forschungszentrums Jülich auch in der Praxis.

    "Im so genannten Abbildungsmodus repräsentiert jeder weiße Punkt eine einzelne Atomsäule. Dabei entsprechen starke Kontraste schweren Atomen wie Barium und Strontium, während schwächere Kontraste für leichtere Atome wie Titan oder Sauerstoff stehen", erklärt Markus Lentzen vom Institut für Festkörperforschung des Forschungszentrums Jülich. Sein Monitor zeigt eine elektronenmikroskopische Aufnahme von Barium-Strontium-Titanat-Kristallen, deren Atome als zahlreiche Punkte in unterschiedlichen Helligkeitsstufen und Größen dargestellt werden. Besonders interessieren sich die Jülicher Forscher für die elektrischen Eigenschaften der kristallinen Strukturen. Sie werden bestimmt durch die exakte Zahl und Lage von Sauerstoffatomen im Inneren der Kristalle. "Bislang konnte man diese Sauerstoff-Atome allerdings nicht detektieren, weil die Linsensysteme der Elektronenmikroskope von zu schlechter Qualität waren", berichtet Professor Knut Urban, Direktor des Instituts für Festkörperforschung.

    Zumindest der Theorie nach sollte es mit Elektronenmikroskopen aber möglich sein, auch kleine, leichte Atome wie Sauerstoff zu sehen. In praxi verhindert jedoch ein Fehler der elektronen-optischen Linsensysteme eine solch gestochen scharfe Auflösung, klagt Urban: "Die Qualität einer solchen Abbildung lässt sich ohne weiteres vergleichen mit der, die sie haben, wenn Sie den Boden einer Champagnerflasche benutzen würden, um ein Lichtmikroskop zu bauen." 50 Jahre hätten Physiker darüber gegrübelt, dieses Problem zu beseitigen. In der Lichtmikroskopie ist dies indes einfacher. Dabei werden Sammel- und Zerstreuungslinsen so hintereinander angeordnet, dass sich ihre Fehler gegenseitig aufheben. Beim Elektronenmikroskop liegt die Sache aber anders, da hier nicht physikalische Linsen, sondern magnetische Felder die abbildenden Elektronenstrahlen bündeln. Die umgekehrte Manipulation – die Zerstreuung des Strahls – bereitet dabei besondere Schwierigkeiten. "Das ermöglichten erst zwei Erfindungen. Einmal musste ein so genannter Korrektor überhaupt konzipiert werden. Dann waren Fortschritte in der Mikroelektronik nötig, um die dafür erforderlichen, hochstabilen Ströme überhaupt zu erzeugen", erläutert Urban.

    Bereits 1947 berechnete der Physiker Otto Scherzer, wie ein solcher Korrektor für Elektronenmikroskope aussehen könnte, doch erst 50 Jahre später gelang die Realisierung der Idee im Jülicher Forschungszentrum. Möglich machte dies die "elektronen-optische Brille" von Professor Harald Rose von der Technischen Universität Darmstadt. Das Instrument besteht aus zwei sternförmigen, hintereinander geschalteten Magnetfelder, so genannte "unrunde Magnetfelder". Mit Hilfe des derart aufgepeppten Mikroskops sind Professor Urban und seine Kollegen weltweit die einzigen, die direkt beobachten können, wie viele und wo genau Sauerstoffatome im Kristallgitter eines Hochtemperatur-Supraleiters sitzen: "Wir können jetzt also den Sauerstoffgehalt in atomaren Dimensionen messen." Mit der neuen Messmethode können jetzt Änderungen der Materialeigenschaften direkt in Bezug zu Veränderungen in der atomaren Struktur gesetzt werden und so auch andere Werkstoffe im Detail optimiert werden. Dazu Knut Urban: "Eine interessante Sache wäre zum Beispiel, die einzelnen Dotier-Atome in Silizium zu betrachten, denn sie bestimmen die elektrischen Eigenschaften des Halbleiters." Möglicherweise eröffnet dies auch der Chipherstellung neue Horizonte.

    [Quelle: Barbara Witthuhn]