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Symmetrie des Lebens

Geochemie. - Wissenschaftler des Carnegie-Instituts in Washington DC sind der Lösung einer Frage näher gekommen, die bei der Entstehung des Lebens eine wichtige Rolle spielt: Wie unterscheidet die Natur zwischen rechtsdrehenden und linksdrehenden organischen Molekülketten? Unter gleichen Bedingungen sollten auch gleich viele beider Varianten entstehen. Dennoch sind zum Beispiel Aminosäuren linksdrehend, Zucker aber ist rechtsdrehend. Kalkkristalle könnten der Auslöser für die Differenzierung gewesen sein, fanden die US-Forscher nun heraus.

    Die richtigen Temperaturen, flüssiges Wasser und organische Kohlenstoffverbindungen - das sind die Ingredienzien, aus denen vor Jahrmilliarden das Leben entstanden ist. Bob Hazen vom Carnegie Institute in Washington DC erklärt: "Es begann alles mit einfachsten Verbindungen wie Kohlendioxid oder Methan und mit Energie. Kommt das zusammen, entstehen organische Moleküle." Die aber gibt es in der Natur in zwei spiegelbildlichen Varianten, bei ansonsten gleichem Aufbau. Normalerweise entstünden gleiche Anteile von rechts- und linksdrehenden Molekülen, so Hazen: "Aber das Leben hat irgendwie gelernt, nur eine der Symmetrien zu wählen, etwa linksdrehende Aminosäuren und rechtsdrehenden Zucker." Hazen versucht in verschiedenen Laborexperimenten, diesen Mechanismus zu ergründen. In winzigen Goldkapseln, die mit einer Ursuppe aus Wasser, organischen Zutaten und Gesteinsmehl als Katalysator gefüllt sind, haben er und sein Team bei verschiedenen Drücken und Temperaturen eine ganze Palette von komplexen organischen Verbindungen synthetisiert - in jeweils beiden Symmetrien.

    Womöglich haben die Minerale neben der katalytischen noch eine andere Wirkung. Denn einige Kristalle wie Calcit, also Kalk, wachsen spiegelsymmetrisch - es gibt auf ihnen also rechts- wie linksdrehende Kristallflächen. Damit entwickelten die Carnegie-Wissenschaftler einen neuen Versuchsaufbau: In eine Lösung aus diversen links- und rechtsdrehenden Aminosäuren tauchten sie faustgroße Calcit-Kristalle. Nach einem Tag analysierten sie die Oberfläche der Kristalle. Es stellte sich heraus: Auf den rechtsdrehenden Seiten hatten sich auch die rechtsdrehenden Aminosäuren stärker angereichert und umgekehrt.

    Calcit war in den urzeitlichen Ozeanen der jungen Erde weit verbreitet. Der Meeresboden war wahrscheinlich mit meterlangen Calcitkristallen bedeckt. Auch an anderen Kristallen mit spiegelsymmetrischem Aufbau herrschte kein Mangel. Alle diese Kristalle könnten die Aminosäuren sortiert und lokal aufkonzentriert haben. Doch so ganz erklärt auch das nicht die Symmetrie. Bei den Kristallen kommen beide Phasen etwa gleich häufig vor. Wahrscheinlich, so denkt Bob Hazen, ist der Zufall dem Leben zu Hilfe gekommen. Eventuell hat eines der beiden Molekülsysteme vor dem anderen begonnen, von sich selbst Kopien zu erzeugen - und damit die Vorherrschaft gewonnen.

    [Quelle: Dagmar Röhrlich]