10. Oktober 2008. Die Runde um Kanzleramtsminister de Maizière arbeitet konzentriert. Ohne überhaupt zu wissen, was genau im Gesetz zum Bankenschirm stehen soll, loten sie aus, wie schnell es durchs Parlament und ins Gesetzblatt gebracht werden könnte. Wann Angela Merkel und Steinbrück ihre jeweiligen Parteien informieren würden. Wann mit den Ministerpräsidenten gesprochen werden könnte. Die Termine der Parlamentssitzungen. Wann die Fraktionen unterrichtet würden. Wann der Bundespräsident das Gesetz zur Unterschrift bekommen soll. Ob die Bundesdruckerei am Freitagabend eine Sonderschicht machen kann. Als die Runde zu Merkel ins Kanzlerbüro kommt, ist der Ablaufplan für den Bankenschirm fertig. Wie er allerdings inhaltlich aussieht - das muss nun entschieden werden.
Ein Blick durchs Schlüsselloch ins Bundeskanzleramt. "So regiert die Kanzlerin" heißt Margaret Heckels Buch, "eine Reportage" verheißt der Untertitel; und tatsächlich hat die Autorin ein halbes Jahr lang Angela Merkel an zahlreichen Arbeitstagen begleitet. Bei Mitarbeiterbesprechungen, Staatsbesuchen, Wahlkampfauftritten. Daraus hätte leicht Hofberichterstattung entstehen können im Stil einer Illustrierten, die einem die Zahnarzthelferin im Wartezimmer in die Hand drückt.
Margaret Heckel, im Hauptberuf Politikchefin bei der "Welt", aber schafft mehr. Zwar kommen durchaus auch Voyeure auf ihre Kosten, die immer schon mal wissen wollten, wie es bei Frau Merkel auf dem Schreibtisch aussieht. Doch Heckels Hauptinteresse ist ein anderes: Im Zeitungsalltag muss sie ihre Reportagen knapp und tagesaktuell halten; im Buch dagegen kann sie politische Arbeitsabläufe und Entscheidungsprozesse über einen längeren Zeitraum verfolgen. Und natürlich nebenbei ein bisschen unterhalten, wie sie sagt:
"Klar interessiert es, was im Büro der Kanzlerin auf ihrem Arbeitstisch liegt und wen sie zuerst anruft, wenn sie so eine Entscheidung trifft, welcher Politiker ganz oben auf ihrer Liste steht. Das sind ja alles Details, die auf der einen Seite persönlich sind, aber natürlich auch politisch."
Weitgehend chronologisch schildert Heckel die Arbeit Merkels vom Oktober letzten Jahres bis zum April, einer turbulenten Zeit, in der sich die Kanzlerin insbesondere als Managerin der Finanzkrise beweisen musste. Heckel nahm dafür an vielen Hintergrundtreffen teil, ließ sich später die Ereignisse auch noch aus der Sicht Anderer schildern, von hohen Ministerialbeamten, von Konzern- oder Bankenchefs. In präzise geschilderten Details erzählt die Reporterin, wie die Entscheidungsträger hinter den Kulissen verhandelten, wie die Kanzlerin zwischen den Interessen ausländischer Staatschefs, denen von Lobbyisten und der eigenen Ministerialbürokratie lavieren musste. Inhaltlich wartet das Buch zwar nicht mit spektakulären Enthüllungen auf, liefert aber eine durchweg interessante und dichte Darstellung. Gliederung und Aufbau sind klar, die Darstellung erfreulich kompakt. In der Gesamtschau entsteht ein klares Bild des Regierungsstils der Kanzlerin:
"Nun, sie ist sehr analytisch, sehr nüchtern, sehr kopfgesteuert. Zumindestens ich habe während dieser Strecke eigentlich keinen Moment gefunden, wo Frau Merkel tatsächlich emotional, aus dem Bauch heraus reagiert hätte."
Ganz anders als ihr Amtsvorgänger. Gerhard Schröder entschied bisweilen instinktiv und gefiel sich in der Rolle eines handlungschnellen Machers, der weder Widerspruch akzeptiert, noch Selbstzweifel. Angela Merkel dagegen, die promovierte Physikerin, wird von Heckel als bedächtig, ja grüblerisch geschildert:
"Sie hört sich die Vorschläge ihrer Berater sehr offen an, die können auch ganz kontrovers sein. Sie sagt dann ganz oft nichts für eine ganze Weile, denkt nach, überlegt und kommt dann irgendwann zu einer Entscheidung. Das kann auch schon mal ein, zwei, drei Tage dauern; wenn es schwierige Themen sind, auch schon mal länger."
Doch wenn Merkel erst einmal entschieden hat, dann verfolgt sie ihr Ziel mit großer Beharrlichkeit. Auch hier unterscheidet sich die gelernte Naturwissenschaftlerin von den meisten Politikerkollegen: Während diese in der Regel politische Konflikte als Schaukämpfe inszenieren, in erster Linie darauf bedacht, als Sieger zu erscheinen, steckt Merkel nach Niederlagen nicht auf, sondern sucht hartnäckig einen alternativen Weg zum Ziel. "Trial and error" heißt das Prinzip, das die Physikerin verinnerlicht hat, "Versuch und Irrtum" - und das sie in der Politik nicht nur bei Sachthemen beherzigt, sondern auch bei Personalfragen, wie Heckel in ihrem Buch schreibt:
Die Kämpfe, die sie eingegangen ist, hat sie bislang gewonnen. Ob Helmut Kohl, Friedrich Merz, Wolfgang Schäuble oder Edmund Stoiber - alle können herzzerreißende Geschichten erzählen, wie Merkel sie ausgeknockt hat. Wie jeder Bundeskanzler vor ihr auch hat sie ihre Macht genutzt. Dass sie damit bislang so erfolgreich ist, hat auch damit zu tun, dass sie nichts tut, ohne vorher gründlich nachzudenken.
Das Buch ist überwiegend im Reportagestil geschrieben, doch daneben trägt es auch Züge einer Biografie, skizziert Arbeitsweise und Mentalität Angela Merkels. Beeindruckt zeigt sich die Reporterin davon, wie gut geschmiert der Apparat Kanzleramt funktioniert, ohne erkennbare politische Reibungen. Was sie Angela Merkel als persönliches Verdienst anrechnet:
"Diese Kanzlerin ist unaufgeregt, und sie war es auch in Zeiten der Krise, als ganz hektische, ganz verzweifelte Bankchefs bei ihr angerufen haben: "Sie müssen uns retten, Frau Bundeskanzlerin!", sie war immer unaufgeregt, nüchtern, sie hatte es sachlich durchdacht, analysiert, die Vorteile, die Nachteile bestimmter Handlungswege abgewogen. Ich halte das für eine Art zu regieren, von der ich finde, dass sie dem Land gut tut."
Aus ihrer Sympathie für Merkel macht Margaret Heckel keinen Hehl. Dennoch wirkt ihre Reportage durchweg ehrlich, auf Fakten fokussiert. So zeigt die Autorin Merkel durchaus auch in Momenten, in denen sie schwächelt, insbesondere bei öffentlichen Auftritten, Parteitagsreden, Pressekonferenzen, wo sie im Vergleich zu manch anderem Politprofi bisweilen bieder wirkt. Heckels inhaltliche Bilanz fällt dennoch durchaus schmeichelhaft aus: Ein anderer Kanzler hätte kaum mehr erreichen können als Angela Merkel. Mitunter zeigt der Text für eine Reportage ungewohnt wenig Temperament. Doch dem Thema scheint dies durchaus angemessen: Wenn der Stil der Darstellung sachorientiert und pragmatisch erscheint, dann korrespondiert das frappierend mit dem Politikstil, den sie zum Thema hat. Ob einem das als Leser respektive Wähler gefällt, ob man fehlende Emotionalität schaudernd als Gefühlskälte empfindet oder als notwendige Nüchternheit begrüßt, ist Geschmackssache.
Margaret Heckel: "So regiert die Kanzlerin". Die Reportage ist bei Piper erschienen, hat 288 Seiten und kostet 14 Euro 95. Unser Rezensent war Daniel Blum.
Ein Blick durchs Schlüsselloch ins Bundeskanzleramt. "So regiert die Kanzlerin" heißt Margaret Heckels Buch, "eine Reportage" verheißt der Untertitel; und tatsächlich hat die Autorin ein halbes Jahr lang Angela Merkel an zahlreichen Arbeitstagen begleitet. Bei Mitarbeiterbesprechungen, Staatsbesuchen, Wahlkampfauftritten. Daraus hätte leicht Hofberichterstattung entstehen können im Stil einer Illustrierten, die einem die Zahnarzthelferin im Wartezimmer in die Hand drückt.
Margaret Heckel, im Hauptberuf Politikchefin bei der "Welt", aber schafft mehr. Zwar kommen durchaus auch Voyeure auf ihre Kosten, die immer schon mal wissen wollten, wie es bei Frau Merkel auf dem Schreibtisch aussieht. Doch Heckels Hauptinteresse ist ein anderes: Im Zeitungsalltag muss sie ihre Reportagen knapp und tagesaktuell halten; im Buch dagegen kann sie politische Arbeitsabläufe und Entscheidungsprozesse über einen längeren Zeitraum verfolgen. Und natürlich nebenbei ein bisschen unterhalten, wie sie sagt:
"Klar interessiert es, was im Büro der Kanzlerin auf ihrem Arbeitstisch liegt und wen sie zuerst anruft, wenn sie so eine Entscheidung trifft, welcher Politiker ganz oben auf ihrer Liste steht. Das sind ja alles Details, die auf der einen Seite persönlich sind, aber natürlich auch politisch."
Weitgehend chronologisch schildert Heckel die Arbeit Merkels vom Oktober letzten Jahres bis zum April, einer turbulenten Zeit, in der sich die Kanzlerin insbesondere als Managerin der Finanzkrise beweisen musste. Heckel nahm dafür an vielen Hintergrundtreffen teil, ließ sich später die Ereignisse auch noch aus der Sicht Anderer schildern, von hohen Ministerialbeamten, von Konzern- oder Bankenchefs. In präzise geschilderten Details erzählt die Reporterin, wie die Entscheidungsträger hinter den Kulissen verhandelten, wie die Kanzlerin zwischen den Interessen ausländischer Staatschefs, denen von Lobbyisten und der eigenen Ministerialbürokratie lavieren musste. Inhaltlich wartet das Buch zwar nicht mit spektakulären Enthüllungen auf, liefert aber eine durchweg interessante und dichte Darstellung. Gliederung und Aufbau sind klar, die Darstellung erfreulich kompakt. In der Gesamtschau entsteht ein klares Bild des Regierungsstils der Kanzlerin:
"Nun, sie ist sehr analytisch, sehr nüchtern, sehr kopfgesteuert. Zumindestens ich habe während dieser Strecke eigentlich keinen Moment gefunden, wo Frau Merkel tatsächlich emotional, aus dem Bauch heraus reagiert hätte."
Ganz anders als ihr Amtsvorgänger. Gerhard Schröder entschied bisweilen instinktiv und gefiel sich in der Rolle eines handlungschnellen Machers, der weder Widerspruch akzeptiert, noch Selbstzweifel. Angela Merkel dagegen, die promovierte Physikerin, wird von Heckel als bedächtig, ja grüblerisch geschildert:
"Sie hört sich die Vorschläge ihrer Berater sehr offen an, die können auch ganz kontrovers sein. Sie sagt dann ganz oft nichts für eine ganze Weile, denkt nach, überlegt und kommt dann irgendwann zu einer Entscheidung. Das kann auch schon mal ein, zwei, drei Tage dauern; wenn es schwierige Themen sind, auch schon mal länger."
Doch wenn Merkel erst einmal entschieden hat, dann verfolgt sie ihr Ziel mit großer Beharrlichkeit. Auch hier unterscheidet sich die gelernte Naturwissenschaftlerin von den meisten Politikerkollegen: Während diese in der Regel politische Konflikte als Schaukämpfe inszenieren, in erster Linie darauf bedacht, als Sieger zu erscheinen, steckt Merkel nach Niederlagen nicht auf, sondern sucht hartnäckig einen alternativen Weg zum Ziel. "Trial and error" heißt das Prinzip, das die Physikerin verinnerlicht hat, "Versuch und Irrtum" - und das sie in der Politik nicht nur bei Sachthemen beherzigt, sondern auch bei Personalfragen, wie Heckel in ihrem Buch schreibt:
Die Kämpfe, die sie eingegangen ist, hat sie bislang gewonnen. Ob Helmut Kohl, Friedrich Merz, Wolfgang Schäuble oder Edmund Stoiber - alle können herzzerreißende Geschichten erzählen, wie Merkel sie ausgeknockt hat. Wie jeder Bundeskanzler vor ihr auch hat sie ihre Macht genutzt. Dass sie damit bislang so erfolgreich ist, hat auch damit zu tun, dass sie nichts tut, ohne vorher gründlich nachzudenken.
Das Buch ist überwiegend im Reportagestil geschrieben, doch daneben trägt es auch Züge einer Biografie, skizziert Arbeitsweise und Mentalität Angela Merkels. Beeindruckt zeigt sich die Reporterin davon, wie gut geschmiert der Apparat Kanzleramt funktioniert, ohne erkennbare politische Reibungen. Was sie Angela Merkel als persönliches Verdienst anrechnet:
"Diese Kanzlerin ist unaufgeregt, und sie war es auch in Zeiten der Krise, als ganz hektische, ganz verzweifelte Bankchefs bei ihr angerufen haben: "Sie müssen uns retten, Frau Bundeskanzlerin!", sie war immer unaufgeregt, nüchtern, sie hatte es sachlich durchdacht, analysiert, die Vorteile, die Nachteile bestimmter Handlungswege abgewogen. Ich halte das für eine Art zu regieren, von der ich finde, dass sie dem Land gut tut."
Aus ihrer Sympathie für Merkel macht Margaret Heckel keinen Hehl. Dennoch wirkt ihre Reportage durchweg ehrlich, auf Fakten fokussiert. So zeigt die Autorin Merkel durchaus auch in Momenten, in denen sie schwächelt, insbesondere bei öffentlichen Auftritten, Parteitagsreden, Pressekonferenzen, wo sie im Vergleich zu manch anderem Politprofi bisweilen bieder wirkt. Heckels inhaltliche Bilanz fällt dennoch durchaus schmeichelhaft aus: Ein anderer Kanzler hätte kaum mehr erreichen können als Angela Merkel. Mitunter zeigt der Text für eine Reportage ungewohnt wenig Temperament. Doch dem Thema scheint dies durchaus angemessen: Wenn der Stil der Darstellung sachorientiert und pragmatisch erscheint, dann korrespondiert das frappierend mit dem Politikstil, den sie zum Thema hat. Ob einem das als Leser respektive Wähler gefällt, ob man fehlende Emotionalität schaudernd als Gefühlskälte empfindet oder als notwendige Nüchternheit begrüßt, ist Geschmackssache.
Margaret Heckel: "So regiert die Kanzlerin". Die Reportage ist bei Piper erschienen, hat 288 Seiten und kostet 14 Euro 95. Unser Rezensent war Daniel Blum.