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Symphonie der Sieger

Neurowissenschaft.- Musik macht agil - zumindest im übertragenen Sinne. Sportwissenschaftler aus Hannover haben herausgefunden, dass bestimmte Töne die Siegeschancen von Höchstleistungssportlern steigern können.

Von Michael Engel | 13.09.2010
    Dr. Gerd Schmitz vom Institut für Sportwissenschaft der Uni Hannover gibt das Startsignal.

    Schon legt der 17-Jährige Athlet los: Hannes Stolze zieht am Griff des Ruderergometers, presst die Füße gegen das Stemmbrett und gleitet mit dem Rollsitz nach hinten. Ein angeschlossener Computer, der die Bewegung der mechanischen Teile überwacht, komponiert daraus die Musik, erklärt Prof. Alfred Effenberg:

    "Dieses Ruderergometer ist mit einer vierkanaligen Sensorik ausgestattet. Das heißt, wir können Kraftmerkmale dieser Bewegung und auch Raum-Zeit-Merkmale messen und transformieren diese Kraft- und Raumparameter in Echtzeit in elektronische Sounds. Das heißt, wir schalten über die Bewegung Klänge ein und aus und modulieren auch den Klangverlauf."

    Institutsleiter Effenberg wählte eine Kombination aus Harmonika, Violine, French Horn und Bug Pipe für die sogenannte "Ruder-Sonifikation". Der so entstandene Sound wird dem Ruderer über Ohrhörer eingespielt.

    Mit Biofeedback zur Leistungssteigerung hat das Ganze aber nichts zu tun. Es geht zunächst mal um Grundlagenforschung. Die Wissenschaftler vermuten, dass allein durch das Hören der Töne jene Regionen im Gehirn aktiviert werden, die normalerweise für die Bewegung zuständig sind. Um das festzustellen, werden dem Ruderer die aufgezeichneten Töne in einer Ruhephase danach noch einmal eingespielt. Hannes Stolze – den noch leicht atemlosen Ruderer – beschleicht ein merkwürdiges Gefühl:

    "Auffällig ist vor allem, wenn man das hört, übertrage ich es halt auf das, als wenn ich auf dem Wasser rudere. Dass ich dann im Boot sitze und das höre und genau weiß, bei welchem Ton in welcher Position ich gerade bin. Und das finde ich eigentlich ganz cool."

    Ob es wirklich so ist, ob man allein mithilfe von Tönen auch die motorischen Areale des Gehirns aktivieren kann, dass sollen nun auch EEG-Messungen belegen. Die insgesamt 14 Ruderer, die sich dem ungewöhnlichen Experiment in Hannover zur Verfügung stellen, tragen eine Kopfhaube mit 32 Elektroden. Während sie die Musik hören, ohne sich dabei zu bewegen, registriert Melanie Mull von der Uni Halle die Hirnstromkurven:

    "Also wir leiten damit quasi die Hirnaktivität ab und können darüber dann schauen, in welchen Arealen, unter welchen Bedingungen die Hirnaktivität am größten ist, ob es zu Kopplungen kommt in verschiedenen Arealen."

    Die Analysen werden noch einige Wochen dauern. Die Gehirnuntersuchungen bringen völlig neue Aspekte ins Training von Hochleistungssportlern:

    "Wenn wir wissen, wie sich die Gehirnaktivität unter dem Einfluss der selbst generierten Töne verändert, können völlig neue Trainingsmethoden entwickelt werden",

    so Prof. Alfred Effenberg vom Sportwissenschaftlichen Institut der Uni Hannover.

    "Das heißt, sie könnten auch, wenn Sie U-Bahn fahren, oder wenn Sie Pausen haben, sich auch eben diese Akustik auf das Gehör legen, darüber kann nicht nur ein Rhythmus-Gefühl etabliert und stabilisiert werden, sondern eben auch die Phasenstruktur der Bewegung kann darüber ein Stück weit voretabliert werden."

    Neben Sportarten wie Rudern und Schwimmen hat der Sportwissenschaftler völlig andere Bereiche im Blickfeld. So sollen vor allem Patienten nach einem Schlaganfall davon profitieren. Die Betroffenen leiden häufig unter einseitigen Lähmungen – rechts oder links - weil die motorischen Areale einer Hirnhälfte infolge der Durchblutungsstörung nicht mehr richtig arbeiten. Töne – so das therapeutische Konzept - könnten eine Brücke bauen zu der Hemisphäre der gegenüber liegenden, immer noch intakten Hirnhälfte.