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Syrien
"Wir brauchen Russland"

Um die Probleme Syriens zu beheben, sei eine Zusammenarbeit des Westens mit Russland erforderlich, sagte Jürgen Chrobog, Ex-Staatssekretär im Außenministerium, im DLF. Beim Eingreifen Moskaus in der Region handle es sich um ein "gefährliches Spiel" - aber ein folgerichtiges.

Jürgen Chrobog im Gespräch mit Thielko Grieß | 24.09.2015
    Jürgen Chrobog, ehemaliger Diplomat, aufgenommen während der ARD-Talksendung "Anne Will" in den Studios Berlin-Adlershof.
    Jürgen Chrobog hat als Diplomat auch in den USA gearbeitet. (dpa picture alliance / Karlheinz Schindler)
    Russland sei ein alter Verbündeter des Assad-Regimes, so Chrobog im Deutschlandfunk. Je mehr Russland nun aufrüste, desto mehr stärke es seine Machtposition in der Region. Diese aus "eigenen Interessen geleitete Politik" sei insofern folgerichtig, zumal auch Russland sich bedroht fühle durch den "Islamischen Staat" (IS).
    Der Westen habe inzwischen erkannt, dass man Moskau in der Region brauche; den Ukraine-Konflikt solle man in dieser Frage "aus dem Spiel lassen", so Chrobog. Stattdessen sollte man erreichen, dass Russland auf Assad hinwirkt, sich humanitären Forderungen zu beugen, beispielsweise den Einsatz von Fassbomben zu beenden.
    Eine Lösung ohne eine Einbindung Assads ist laut dem ehemaligen Staatssekretär im Außenministerium nicht möglich. Man brauche die bestehenden Strukturen, um einen Sieg über den IS zu erreichen. Russland wolle das System erhalten - ob auf Dauer auch Assad, sei eine andere Frage.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Russland interessiert sich für Syrien in letzter Zeit wieder stärker. Es gibt verschiedene Beobachtungen, die ich kurz zusammentrage. Syriens Militär räumt offen ein, Russland liefert uns weiterhin Waffen, die auch eingesetzt werden, Kampfflugzeuge zum Beispiel. Moskau hält an Machthaber Assad fest und wirbt auch bei den Vereinigten Staaten dafür, gemeinsam mit Assads Truppen gegen den Islamischen Staat zu kämpfen oder zumindest kämpfen zu lassen. In Latakia am Mittelmeer wird laut einem Bericht der Moskauer Tageszeitung "Kommersant" ein Stützpunkt gebaut. Ein Informant sagte dem Blatt, inzwischen befänden sich dort rund 1.700 russische Soldaten. Daneben gibt es weiterhin den russischen Marinestützpunkt Tartus. Und die Abfolge von Treffen in Moskau in dieser Woche ist bemerkenswert. Am Montag war Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Moskau. Beide Seiten wollen sich militärisch abstimmen, damit keine Seite die andere versehentlich beschießt. Und gestern war der türkische Präsident Erdogan außerdem noch in Moskau.
    Jetzt ist am Telefon Jürgen Chrobog, ehemals Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Kenner des Nahen Ostens, früherer Botschafter. Guten Morgen, Herr Chrobog.
    Jürgen Chrobog: Guten Morgen, Herr Grieß.
    Grieß: Ist es so weit? Kann sich Assad ohne die Hilfe Moskaus so intensiv nicht mehr halten?
    Chrobog: Es ist für Assad zumindest sehr schwer geworden. Er besitzt nur oder verwaltet nur einen geringen Teil seines Landes, einen kleinen Korridor im Nordosten. Das ist wenig und insofern wird er sich auf Dauer nicht halten können. Sein Militär ist geschwächt, die Soldaten laufen ihm weg, militärische Ausrüstung hat er nicht mehr genug und hier sind die Russen natürlich außerordentlich wichtig, die ihm helfen. Mit ihrer Hilfe kann er natürlich noch lange überleben. Er kann sich da einigeln in dieser Region, er hat die fest unter Kontrolle. Insofern würde ich jetzt auf einen Machtverlust Assads in ganz kurzer Zeit nicht setzen.
    "Ein gefährliches Spiel Russlands"
    Grieß: Der russische Präsident Wladimir Putin wirbt auch im Westen dafür, gemeinsam gegen den IS zu kämpfen, und macht diese Alternative auf: Entweder der IS, oder Assad. Und da sei Assad ja das kleinere Übel. Ist das richtig, diese Alternative?
    Chrobog: Ja hier liegen natürlich die gemeinsamen Interessen zwischen dem Westen und Russland. Russland fühlt sich genauso bedroht durch den Islamischen Staat. Im Nordkaukasus baut dieser Staat oder der IS ja auch schon eigene Strukturen auf. Das ist hoch gefährlich für Russland. Insofern ist hier eine Gemeinsamkeit, die letzten Endes auch ein Gerüst sein könnte für die Zukunft zwischen dem Westen, zwischen den Amerikanern und Russland, um gemeinsam gegen den IS vorzugehen. Aber andererseits ist Russland ein alter Verbündeter von Assad. Auch mit dem Vater von Assad war man bereits verbündet. Man hat immer einen Marinestützpunkt gehabt dort und will natürlich den Einfluss nicht verlieren. Je mehr Russland jetzt aufrüstet, desto mehr stärkt es auch seine eigene Machtposition in dieser Region und seine eigene Verhandlungsbereitschaft und vor allen Dingen Verhandlungsposition bei der Neuordnung dieser Region. Insofern macht Russland ein gefährliches Spiel, aber eine aus ihren Interessen durchaus geleitete Politik und insofern ist das folgerichtig.
    Inzwischen hat sich auch der Westen doch sehr bewegt auf Russland zu. Man hat inzwischen doch die Erkenntnis gewonnen, dass es ohne Russland nicht gehen wird. Man braucht Russland, auch im Kampf gegen den IS, auch bei einer Friedenslösung, sollte sie einmal kommen in Syrien, und man muss auf Russland zugehen. Russland - das möchte ich hinzufügen - ist auch sehr vernachlässigt worden in der Vergangenheit. Wenn man mal sich vorstellt, wie Russland behandelt worden ist: Obama hat 2014 von einer Territorialmacht gesprochen zum Beispiel. Russland ist abqualifiziert worden und das ist jetzt die Antwort.
    "Assad ist der Verbündete Russlands"
    Grieß: Entschuldigen Sie! Ich würde ganz gern noch kurz bei der westlichen Position bleiben, denn in der vergangenen Nacht ist ein interessanter Nebensatz in Brüssel gefallen. Gesagt hat ihn die deutsche Kanzlerin. Es müsse, um die Flüchtlingskrise in Europa zu bewältigen, natürlich auch über den Krieg in Syrien gesprochen werden und es müsse dort "mit vielen Akteuren gesprochen werden". Dazu gehöre auch Assad, sagt Merkel. Ist das Beleg dafür, dass der Westen, dass die Bundesrepublik auf diese Haltung Putins einschwenkt?
    Eine Frau mit ihrem Kind im zerstörten Kobane (Syrien).
    Eine Frau mit ihrem Kind im zerstörten Kobane (Syrien). (Sedat Suna, dpa picture-alliance)
    Chrobog: Ich habe den Eindruck, ja. Man weiß, dass Putin nicht bereit ist, Assad jetzt fallen zu lassen. Das kann später mal passieren im Rahmen eines Friedensprozesses, aber jetzt nicht. Assad ist der Verbündete von Russland und Russland ist der Verbündete von Assad. Insofern ist das eine wichtige Voraussetzung zur Zusammenarbeit mit Russland und Assad hat ja immerhin auch noch die Möglichkeit, auch Krieg zu führen gegen den IS. Das was man im Rahmen dieser Zusammenarbeit erreichen sollte, wäre allerdings ein Hinwirken auf Russland, dass man Assad sagt, die Bomberei in Aleppo zum Beispiel, die Fassbomben dürfen nicht mehr eingesetzt werden. Hier muss Schluss gemacht werden. Assad muss sich hier auch etwas mehr den Forderungen, den humanitären Forderungen beugen. Ob das Erfolg hat, weiß ich nicht, aber Assad ist wichtig. Das weiß die ganze Region. Übrigens auch der Besuch von Netanjahu in Moskau ist ja ein Indiz dafür, dass man auf die russische Linie einschwenkt.
    Grieß: Kann Moskau im Gegenzug dafür, dass sich Moskau in Syrien engagiert und damit auch dem Westen womöglich nützt, kann Moskau dafür erwarten, dass der Westen seine Sanktionen still und heimlich leise auslaufen lässt?
    Chrobog: Nein, das glaube ich nicht. Der Ukraine-Konflikt gerät vielleicht etwas mehr in Vergessenheit, was Russland natürlich auch durchaus nützlich sein kann. Aber die Ukraine ist ein ganz anderes Gebiet. Hier haben wir eine völlig andere Region mit gemeinsamen Interessen zwischen Russland und dem Westen und gemeinsamen Zielrichtungen, und hier muss jetzt das Instrument genutzt werden. Wir unsererseits dürfen aber auch den Ukraine-Konflikt jetzt nicht einbringen in diese Situation. Wir brauchen Russland bei der Lösung eines schwerwiegenden Problems im Nahen Osten, bei der Behebung des Syrien-Problems. Wir brauchen Russland und Russland muss jetzt von uns auch gefordert werden. Die Ukraine sollte man hier aus dem Spiel lassen.
    "Das ist alles bitter und klingt auch zynisch"
    Grieß: Wird sich zeigen, ob Moskau das auch so trennen wird. - Noch einmal zur Situation in Syrien, Herr Chrobog. Ist das, was sich da anbahnt, ein Verrat an den gemäßigten Rebellen, die doch einst die bevorzugten Partner des Westens waren?
    Chrobog: Nein, ich sehe das so nicht. Die Rebellen sind doch weitgehend zurückgedrängt. Sie spielen militärisch ja kaum noch eine Rolle. Und wenn man mal überlegt, was nach einem Abtritt von Assad jetzt passieren könnte: Das Land wird sich wahrscheinlich auflösen, so wie wir es in Libyen erlebt haben. Das kann keiner wollen. Man braucht jetzt doch Strukturen. Das ist alles bitter und klingt auch alles zynisch, aber man braucht die Strukturen, die bestehen, um erst mal eine Lösung des Konfliktes und einen Sieg gegenüber dem IS zu erreichen. Dann wird man weiter sehen. Und ich kann mir denken: Wenn Russland, das ja seine Macht ausgeweitet hat und dadurch auch seine Situation verbessert hat, dann ein stabilerer und sinnvollerer Partner wird in der Zukunft, dass man dann auch eine Lösung des Assad-Problems findet, denn Russland will das System erhalten. Aber ob man immer Assad halten will auf die Dauer, ist eine ganz andere Frage.
    Grieß: Einschätzungen und Analysen von Jürgen Chrobog, ehemals Staatssekretär im Auswärtigen Amt, zu Russlands Interessen in Syrien heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Chrobog, danke für das Gespräch.
    Chrobog: Sehr gerne.
    Grieß: Einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.