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Szenen voller Glamour im chicem Pornostil

Die französische Fotografin Bettina Rheims geht mit ihrer Ausstellung "Rose, c´est Paris" in der Nationalbibliothek in Paris neue Wege. Mit Fotos, Filmbildern und Musik zeichnet sie ein Porträt der Stadt der Lust und des Lasters und schafft ein neues Genre.

Von Siegfried Forster |
    Im Paris von Bettina Rheims liegt eine Frau mit einer Glühbirne in der Hand, einem Piercing im Bauch auf dem Bett und öffnet uns das Tor zum Ursprung der Welt.

    "Rose, c’est Paris" beginnt mit einer Frau, die im blutbefleckten Kleid vor einer Vermisstenanzeige posiert. Bettina Rheims gibt uns Titel, Töne und Bilder mit als Begleiter in ein geheimes Reich der Fantasie:

    "Rose, das ist eine junge Frau, die Heldin in unserem Projekt. Sie ist in Paris auf der Suche nach ihrer verschwundenen Zwillingsschwester. Paris ist meine Stadt. Eine magische, geheimnisvolle, mysteriöse Stadt. Ein Traum. Das ist ein Verlangen; die Geschichte eines Lebens. Paris, das ist für mich kein Chanson. Paris, das ist jener Traum, den man dort erfunden und realisiert hat."

    Eine Art Madame Fantomas empfängt uns. Eine Blondine mit Gesichtsmaske und Stöckelschuhen bewaffnet, ein riesiges Fernrohr im Anschlag und das Pariser Riesenrad im Hintergrund. Auch Stars leuchten in diesem eigenwilligen Metropolen-Porträt: von Monica Belucci über Anthony Delon bis Modemacher Azzedine Alaïa, erklärt Rheims früherer Ehemann, der Schriftsteller Serge Bramly. Er filmte die Fotoszenen, reicherte sie mit zeitloser Musik an und stilisierte so das Projekt zu einem filmischen Gesamtkunstwerk:

    "Azzedine Alaïa gefiel die Idee, aber wollte auf keinen Fall als Couturier posieren. Deshalb haben wir ihm eine Rolle als Psychoanalytiker angeboten. Wir haben die Leute aus ihrem Alltag geholt und in eine fantastische Welt versetzt."

    Auf einem anderen Bild posiert eine Schöne in Latex-Kombination und mit Sex-Puppe vor dem gotischen Kleinod Sainte-Chapelle. Die Monumente der Seine-Kapitale sind für Bettina Rheims oft nur ein Vorwand für die illustren Szenen voller Glamour und chicem Pornostil.

    "Wir wollten in ein unbekanntes Paris eintauchen, eine Geschichte erzählen, die nicht nur rosa ist. Ein Teil ist erheblich unheimlicher. Beispielsweise als Fantomas auftaucht, dieser Held vom Anfang des 20. Jahrhunderts, der für seine Verbrechen Paris durchstreift. Es gibt Helden, es gibt Lust, es gibt auch das Paris der sexuellen Fantasien, der Träume und ein finsteres, gefährlicheres Paris."

    Ready-Made, Doppelbelichtungen, Wortspiele, Gefallen an Lust und Laster, Träumen und Albträumen, die Parallelen zum Universum der Surrealisten André Bréton und Marcel Duchamp sind unübersehbar. Die 105 Bilder - oder vielmehr Szenen der Ausstellung - sind als Labyrinth angelegt. Wir Besucher sollen uns verlieren, uns unsere eigene Paris-Welt erschaffen, etwa wenn die Mona Lisa mit entrücktem Blick und entblößter Brust allein in der Métro sitzt:

    "Paris, das ist die Mona Lisa und der Eiffelturm. Selbst wenn das Louvre-Museum ansonsten vollkommen leer ist, dann stehen vor der Mona Lisa immer noch Menschenmassen. Sie fasziniert die Menschen seit Jahrhunderten. Sie ist bis heute ein Geheimnis, und unsere Geschichte ist auch so ein Geheimnis."

    Die Suche nach der verschwundenen Zwillingsschwester Rose führt uns in die abgelegensten Winkel der Seine-Kapitale: Friedhöfe, Sternwarten, bourgeoise Esszimmer, Bibliotheks-Archive, Bahngleise und die lange Zeit verschlossenen Keller des Palais de Tokyo, dem heutigen Mekka der zeitgenössischen Pariser Kunst-Szene:

    "Das ist ein Ort, der seit 30 oder 40 Jahren leersteht, eine Art gigantische Kathedrale. Dort stießen wir auf Kino-Säle mit verhüllten Kinosesseln, die noch nie benutzt worden sind. Wir waren die ersten Künstler, die dort Zugang hatten. Am Anfang mussten wir uns praktisch auf allen Vieren durch eine Luke zwängen. An diesem Ort haben die Deutschen im Zweiten Weltkrieg die beschlagnahmten Klaviere der Juden gelagert. Ein geschichtsträchtiger Ort voller Gespenster."

    Neben den Fotos begibt sich auch ein Film auf die Vermisstensuche. Ein Werk des Schriftstellers Serge Bramly. Dieses Oeuvre aus Fotos, bewegten Bildern und zeitloser Musik bezeichnet Bettina Rheims als ihr bis heute reifstes Werk, mit dem größten persönlichen Anteil:

    "Das ist eine Kunstform, die bislang nicht existiert. Ein neues Genre. Mit doppelter Erzählform. Niemand hat bislang so gearbeitet. Es ist schwierig, etwas zu beurteilen, das es bislang noch nie gegeben hat."

    Link zum Thema:

    Bibliothèque nationale de France: "Rose, c'est Paris. Bettina Rheims et Serge Bramly"