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Tabu unterm Halbmond

Die Situation von Lesben, Schwulen und Transsexuellen in der Türkei ist völlig tabuisiert. Zwar gibt es - zumindest in den großen türkischen Metropolen - Bars und Studentenclubs für Schwule und Lesben, doch in den letzten Wochen hat die Szene einen gehörigen Rückschlag erlebt: Eine Organisation namens Lambda, die für die Rechte der Homosexuellen kämpft, steht vor Gericht und soll verboten werden. Unser Reporter Achim Nuhr hat die Transsexuelle Demet in Istanbul begleitet.

03.05.2008
    Die Istiklal-Straße ist das Aushängeschild des neuen Istanbul: Ein Geschäftsmann mit rostrot gefärbten Haaren spricht in sein Handy. An den Geldautomaten stehen die Kunden Schlange. Frauen in Miniröcken und Schnabelschuhen flanieren vorbei. Doch einige Frauen scheinen mir nicht ganz echt zu sein: In der Fußgängerzone des Stadtteils Beyoglu arbeiten Transsexuelle als Prostituierte. Eine aufgedonnerte, breitschultrige Dame betritt ein Cafe. Dort setzt sie sich, öffnet ihre Bluse noch ein Stückchen weiter und verteilt freigiebig Kusshände an andere Gäste.

    "Ach, wissen Sie, die Männer sind doch überall auf der Welt gleich: Wenn sie eine attraktive Frau sehen, die sie anmacht und sexy ist, dann mögen die Männer das."

    Nun gut. Aber Istanbul ist auch eine Bastion des Islam. Der heutige Ministerpräsident Tayyip Erdogan regierte die Stadt fünf Jahre als Oberbürgermeister. Seine gemäßigt islamische Partei AKP hat nicht einmal eine Position zu Transsexuellen, weil sie deren Existenz einfach leugnet. Hat Demet, wie sie sich vorstellt, Probleme in der Öffentlichkeit?

    "Na ja, wenn unsereins zu heftig winkt oder gar die Brüste herausholt, gibt es schon mal Ärger. Viele von uns Transsexuellen kommen nicht aus Istanbul, sondern aus irgendeinem Dorf. Wenn sie dann hier ankommen, sind sie von der Großstadt überwältigt und wissen nicht, wie sie sich benehmen sollen. Aber zumindest im Stadtzentrum können Transsexuelle heutzutage ganz problemlos in normale Hetero-Cafes gehen."

    Demet ist ein Mann, der sich wie eine Frau fühlt und entsprechend kleidet. Der Cafe-Manager schaut finster von der Theke herüber. Doch die anderen Gäste reagieren gelassen, als ob sie Auftritte wie den von Demir gewöhnt wären. Es ist ein gemischtes Publikum, Männer und Frauen jeden Alters - keinerlei Hinweis auf ein Szenelokal.

    "Wir haben keine eigenen Cafes, wo wir einfach nur so hingehen, um uns untereinander zu amüsieren. Die gibt es nur für Schwule. Schwule und Transsexuelle leben hier sehr unterschiedlich: Transsexuelle sind gezwungen, sich zu prostituieren, weil sie keine andere Arbeit finden. Das vertreibt die Kultur aus meinem Leben. Mir bleibt gar keine Zeit mehr, etwas für mich selbst zu tun. Ich schaffe von abends bis zum frühen Morgen an; den Rest der Zeit gehe ich einkaufen oder zum Friseur. Nur beim Friseur kann ich ein wenig tratschen."

    Wir zahlen und verlassen das Cafe. Demet möchte ihren Arbeitsplatz zeigen: einen Puff, in dem nur Transsexuelle arbeiten. Dabei ist Vorsicht angebracht: Offiziell brauchen Bordelle in der Türkei eine staatliche Konzession. Bordelle, in denen nur Männer oder ehemalige Männer arbeiten, bekommen keine Genehmigung. Demet arbeitet also in einem illegalen Betrieb, dessen Chef keine ausländischen Reporter mag. Deshalb will sie das Bordell nur von weitem zeigen. Aber erst winkt sie in eine Bierbude, um unser Vorgehen zu besprechen.

    "Die Polizisten stören die Bordellbesitzer nicht besonders, weil die ihnen Geld geben. Außerdem weiß die Polizei: Wenn sie die Transsexuellen hier verjagen würde, würden wir uns über die ganze Stadt ausbreiten. Und das wollen sie lieber nicht riskieren."

    Die Bierbude liegt in einer Seitengasse der Istiklal-Straße. Das gesamte Viertel Beyoglu hat eine prachtvolle Vergangenheit: Bereits im 19. Jahrhundert wurden erste Straßenlaternen aufgestellt, Stromkabel verlegt und eine Straßenbahntrasse gebaut für die vielen Auslandsvertretungen, die hier während des Osmanischen Reichs residierten. Doch heute sind zumindest die Seitengassen längst heruntergekommen: In den meisten Gebäuden wird nur noch das Erdgeschoss genutzt, in den oberen Etagen sind die Fenster blind. Hier nahm in Hinterhof-Kaschemmen die Karriere der transsexuellen Sängerin Bülent Ersoy ihren Anfang. Nach dem Militärputsch von 1980 erhielt Ersoy acht Jahre Bühnenverbot und flüchtete nach Freiburg. Heute kann die Sängerin wieder frei auftreten und gehört zu den führenden Popstars der Türkei. Das hilft anderen Transsexuellen, meint Demet:

    "Sie zeigt, dass man auch andere Arbeit finden kann als Transsexuelle, nicht nur die Prostitution. Früher mussten Transsexuelle nach einer Geschlechtsumwandlung ihren alten blauen Personalausweis für Männer behalten. Dann sprach Bülent Ersoy den damaligen Regierungschef Özal direkt an und der änderte prompt das Gesetz: Heute können Transsexuelle nach ihrer Operation den rosafarbenen Ausweis für Frauen bekommen."

    Demet sieht sich vorsichtig um, verlässt die Bierbude und deutet mit einer Kopfbewegung auf ein Haus in etwa 50 Metern Entfernung. Wir nähern uns wie Spaziergänger. Fünf von Demets Kolleginnen schauen aus den Fenstern nach Kunden und winken Männern zu. Alle haben kantige Gesichter, zwei wirken sogar recht unrasiert und alle tragen Punkfummel sowie Blondinen-Perücken, die mir grotesk erscheinen. Gerade verlässt ein Kunde mit gesenktem Blick das heruntergekommene Haus. Zwar melden Menschenrechtsgruppen häufig kriminelle Übergriffe auf sexuelle Minderheiten, aber hier wirkt niemand eingeschüchtert. Wir gehen etwa 150 Meter weiter. Dort zeigt Demet auf ein Haus mit dem Türschild von "Lambda Istanbul" - unter dem Namen steht "Befreiungsgruppe für Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transsexuelle". Oben im Büro treffen wir Demets Freundin Esmerel. Sie erzählt, dass sie sich in Istanbul heute besser wehren kann als früher:

    "Manchmal schlagen die Polizisten immer noch auf Transsexuelle ein, und auch auf Schwule. Aber bei mir trauen sie sich nicht mehr, weil ich zu Demonstrationen gehe. Sie wissen: Wenn sie mich schlagen, verklage ich sie. Die Polizisten würden zwar kaum verurteilt werden. Aber sie müssten befürchten, dass der Vorfall in ihre Personalakte eingetragen wird."

    Vom Bürofenster fällt der erste Blick auf die Prachtstraße Istiklal, wo Demet arbeitet. Hier fallen die wenigen Frauen auf, die ein Kopftuch tragen. Doch weiter hinten, am Goldenen Horn, ist der konservative Stadtteil Sultanahmet zu erkennen: Dort tragen noch fast alle Frauen Kopftücher. Istanbul ist im Übergang, meint Demet:

    "Es gibt gewisse Veränderungen in der türkischen Gesellschaft. Aber für mich ist es zu spät, diese Veränderungen zu genießen. Ich musste immer kämpfen und habe Polizisten vor Gericht gebracht. Deshalb konnte ich eine Zeit lang nicht mal auf die Straße gehen, aus Furcht vor denen, die mir etwas hätten antun können. Ich habe viel Gewalt erfahren. Mit diesem Trauma muss ich leben."