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Tag Drei des Irak-Krieges:

Im September vergangenen Jahres hat die US-Regierung ihre Nationale Sicherheitsstrategie neu gefasst und den parlamentarischen Gremien in Wasgington übergeben. Seit 1986 ist jede Administration verpflichtet, diese Sicherheitsstrategie vorzulegen. Der Irak-Krieg folgt nach Auffassung vieler dieser neuen Strategie.

Thomas Spang |
    Im September vergangenen Jahres hat die US-Regierung ihre Nationale Sicherheitsstrategie neu gefasst und den parlamentarischen Gremien in Wasgington übergeben. Seit 1986 ist jede Administration verpflichtet, diese Sicherheitsstrategie vorzulegen. Der Irak-Krieg folgt nach Auffassung vieler dieser neuen Strategie.

    Zwei Entwicklungslinien aus den letzten Jahren treffen sich in diesem Papier: Zunächst:

    Seit Ende des Kalten Krieges stehen die USA als alleinige Supermacht an der Spitze einer zunehmend unipolaren Weltordnung. Die westliche Welt kann militärisch nicht ohne die Mitwirkung Washingtons handeln. Die USA geben im laufenden Haushaltsjahr 379 Milliarden US-Dollar für ihre Streitkräfte aus. Experten prognostizieren, dass die USA im Jahre 2005 so viel für ihre Verteidigung ausgeben werden wie alle anderen Staaten auf der Welt zusammengenommen.

    Wirtschaftlich haben die USA mit der Europäischen Union und Japan noch starke Konkurrenten, aber auf den Finanzmärkten geben sie eindeutig den Ton an. Dominant ist auch ihre Position in der Alltagskultur, die durch US-amerikanische Marken und Gewohnheiten bestimmt wird. Es dürfte schwer sein, auf der Welt einen Ort zu finden, an dem nicht die goldenen Bögen McDonalds leuchten, Jugendliche keine Turnschuhe mit dem "Nike"-Pfeil tragen oder amerikanische Musik verbannt ist. Die USA, so der frühere französische Außenminister Hubert Vedrine, sei mehr als die letzte Supermacht: es ist die unangefochtene Hypermacht, das Rom am Potomac.

    Die zweite Entwicklungslinie, der die neue Sicherheitsstrategie Rechnung tragen soll, ist die neue Bedrohung durch den internationalen Terrorimus und das damit verbundene Risiko, asymetrischen Agriffen ausgesetzt zu sein. Modell dafür sind die Anschläge auf New York und Washington am 11. September 2001. Die Bewältigung dieses Risikos ist mit herkömmlichen Mustern kaum noch zu gewährleisten.

    Während des Präsidentschaftswahlkampfes 2000 argumentierte der texanische Gouverneur George Bush leidenschaftlich gegen die Überbeschäftigung der USA in der Welt. Er warf seinem Gegenkandidaten AI Gore vor, eine Außenpolitik unterstützt zu haben, in der Washington "Alles für Alle" sein wollte. Im Gegensatz dazu plädierte der Republikaner für mehr Zurückhaltung. In der zweiten Präsidentschaftsdebatte sagte Bush:

    Unsere Nation steht unter Machtgesichtspunkten im Moment unangefochten an der Spitze der Welt. Deshalb sollten wir bescheiden sein und unsere Stärke dazu nutzen, Freiheit zu fördern. Ich glaube, niemand wird uns für etwas anderes halten als das, was wir sind: eine freiheitsliebende Nation. Wenn wir wie eine arrogante Nation auftreten, werden wir auch so gesehen. Wenn wir aber bescheiden bleiben, dann werden wir respektiert.

    Zwei Jahre und einen Terroranschlag später sieht die Welt fürden 43. Präsidenten der USA ganz anders aus. Tief getroffen von der Erfahrung, dass die USA selbst nicht mehr unverwundbar sind, ist Präsident Bush nun bereit, die militärische Stärke der USA einzusetzen - notfalls auch präventiv. Bush in einer Grundsatzrede in Cincinnati:

    Wir haben den Horror des 11.September erlebt. Wir haben gesehen, dass die Feinde Amerikas bereit waren, Flugzeuge in Gebäude zu fliegen, in denen sich lauter Unschuldige aufhielten. Unsere Feinde werden nicht davor zurückschrecken - im Gegenteil sogar ehrgeizig danach streben - uns mit biologischen, chemischen oder nuklearen Waffen anzugreifen. Angesichts dieser Gefahren dürfen wir die Bedrohung nicht ignorieren, die sich gegen uns zusammenbraut. Wir können nicht auf den letzten Beweis - den rauchenden Colt - warten, der die Form eines Atompilzes annehmen könnte.

    Die USA finden sich in einer Situation wieder, die Joseph S. Nye, Präsident der Kennedy-School of Government in Harvard, als "mächtig, aber verwundbar" beschreibt. Nye meint, Amerika brauche einerseits die militärisch-wirtschaftliche "Hard Power", andererseits die politisch-kulturelle "Soft Power", um die Auseinandersetzung gegen den Terrorismus zu gewinnen. Je mehr Washington einseitig auf seine militärische Stärke setzte, desto unbeliebter mache es sich bei anderen.

    Die neue Nationale Sicherheitsstrategie trägt diesem sehr breiten sicherheitspolitischen Ansatz durchaus Rechnung. So werden darin auch entwicklungspolitische Bemühungen angeküdnigt, die auf die Schaffung einer prosperierenden Welt setzen, wodurch dem Terrorismus der Nährboden entzogen werden soll. Es wird gefordert, dass die Staaten der Welt sich auf marktwirtschaftliche Ordnungen ausrichten. Auch der Aufbau einer demokratischen Infrastruktur wird angemahnt. Die USA setzen sich für die Entschärfung nationaler Konflikte ein. Es ist ein breites Spektrum an Zielen, das über die rein militärische Machtprojektion weit hinausgeht. Die militärische Komponente erregte aber das größte öffentliche Interesse.

    US-Präsident George Bush und seine Ratgeber sehen sich zu einem "entschiedenen amerikanischen Internationalismus" berufen, der die Welt in eine bessere Zukunft führt. Im Begleitschreiben des Präsidenten zur neuen Sicherheitsstrategie heißt es unter anderem:

    Die großen Kämpfe des 20. Jahrhunderts zwischen Freiheit und Totalitarismus endeten mit einem klaren Sieg der Kräfte der Freiheit und einem einzigen Modell für nationalen Erfolg: Freiheit, Demokratie und Freies Unternehmertum. (...) Die Vereinigten Staaten erfreuen sich heute unvergleichbarer militärischer Stärke und großen wirtschaftlichen und politischen Einflusses. Die größte Gefahr für unsere Nation liegt an der Kreuzung von Radikalismus und Technologie. (...) Um diese Bedrohung zu bekämpfen, müssen wir jedes Werkzeug nutzen, das uns zur Verfügung steht: militärische Macht, bessere Heimatverteidigung, Innere Sicherheit, Strafverfolgung, nachrichtendienstliche Tätigkeit und unnachgiebige Bemühungen, die Finanzierung des Terrors zu beenden. Amerika wird Staaten zur Rechenschaft ziehen, die dem Terrorismus Vorschub leisten und solche, die Terroristen Zuflucht gewähren.

    In diesem Sinne teilt die Strategie die Welt in Gut und Böse. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 dienen Präsident Bush als moralische Legitimation, Terroristen und Tyrannen überall auf der Welt die Stirn zu bieten. Vor Kadetten der renommierten Militärakademie in West Point formulierte der Präsident am 1. Juni vergangenen Jahres die Grundzüge seiner Überzeugungen:

    Es kann keine Neutralität geben zwischen den Unschuldigen und den Schuldigen, zwischen Gut und Böse. Amerika wird das Böse beim Namen nennen. Indem wir schlechte und gesetzlose Regime konfrontieren, schaffen wir keine Probleme, sondern machen auf welche aufmerksam. Wir werden die Welt im Kampf dagegen anführen.

    Diese Position hat Bush vor allem den Beifall der einflussreichen christlichen Rechten eingetragen, die den Präsidenten wegen seiner "moralischen Klarheit" loben. Diese Klarheit verlangte der Präsident auch von den Verfassern der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie. Seine Vorgabe: der Leitfaden für das außen- und sicherheitspolitische Handeln seiner Administration müsste auch von "den Jungens daheim in Lubbock, Texas" verstanden werden. Das Dokument entstand unter maßgeblicher Einflussnahme des Triumvirats aus Vize-Präsident Dick Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Sicherheitsberaterin Condolezza Rice. Dem Vernehmen nach legte Bush vor der Veröffentlichung des Papiers selber noch einmal Hand an. Fast wörtlich fügte er Passagen aus seiner "West-Point-Rede" ein. So zum Beispiel bei der Zieldefinition seiner Außen- und Sicherheitspolitik:

    Wir kämpfen, wofür wir immer gekämpft haben: einen gerechten Frieden, einen Frieden, der menschliche Freiheit begünstigt. Wir werden den Frieden gegen Terroristen und Tyrannen verteidigen. Wir werden den Frieden bewahren, indem wir gute Beziehungen zu den großen Mächten unterhalten. Und wir werden den Frieden ausweiten, indem wir jedem Kontinent freie und offene Gesellschaften bringen.

    "Frieden verteidigen", "Frieden bewahren" und "Frieden ausweiten" sind die drei Säulen, auf denen die neue Nationale Sicherheitsstrategie ruht. Bedroht wird der Frieden aus Sicht der Bush-Administration nicht mehr von konkurrierenden Staaten wie Russland oder China, sondern von Terroristen und Schurkenstaaten, die sich moderne Technologie zu Nutze machen, um die USA herauszufordern. Im ungünstigsten Fall treffen alle drei Übel aufeinander: Tyrannen versorgen Terroristen heimlich mit Massenvernichtungswaffen. In einem solchen Szenario erweist sich die Abschreckungsdoktrin der vergangenen 50 Jahre als wenig wirkungsvoll. Bush in seiner West Point-Rede:

    Für lange Zeit im vergangenen Jahrhundert beruhte die amerikanische Strategie auf dem Konzept von Abschreckung und Eindämmung. In einigen Fällen ist diese Strategie noch brauchbar. Aber neue Bedrohungen verlangen auch neues Denken. Abschreckung durch die Androhung massiver Vergeltung gegen Nationen bedeutet nichts gegen terroristische Netzwerke im Dunkeln, die keine Nationen oder Bürger zu verteidigen haben. Eindämmung ist nicht möglich, wenn unberechenbare Diktatoren über Massenvernichtungswaffen verfügen, die sie mit Raketen verschießen oder heimlich an verbündete Terroristen weitergeben können. Wir können Amerika und seine Freunde nicht verteidigen, indem wir einfach auf das Beste hoffen.

    Was Bush hier anklingen lässt, fasst die Essenz des neuen Sicherheitsdenkens im Weißen Haus gut zusammen. Die USA behalten sich angesichts einer asymmetrischen Bedrohung, gegen die ein Schutz schwer zu erreichen ist, das Recht vor, auch präventiv tätig zu werden. Einer der intellektuellen Vorarbeiter Bushs, der Verteidigungsexperte Richard Perle von der Denkfabrik "American Enterprise Institute", erklärt warum:

    Wir haben zugeschaut, wie Osama bin Laden in Afghanistan ein Terrornetzwerk kommandierte. Wir wussten: er hat unsere Botschaften angegriffen, eines unserer Schiffe, und dass er mehr vorhatte. Hätten wir vor dem 11. September das getan, was wir nachher gemacht haben, würden die Türme des World Trade Centers noch stehen und das Pentagon wäre nicht angegriffen worden.

    Zu Diskussionen führen nicht die Analysen der neuen Bedrohungslage nach dem 11. September, sondern die Rezepte dagegen. Während ausländische Analysten der Bush-Administration Schwarz-Weiß-Malerei vorwerfen, sind viele außenpolitische Experten in den USA irritiert, wie sich das Weiße Haus von der bisher erfolgreichen Abschreckungs- und Eindämmungspolitik des letzten halben Jahrhunderts verabschiedet. John Wolfstohl von der "Carnegie Stiftung":

    Beunruhigend ist vor allem der fast schon missionierende Ton, der anderen Ländern die Sicht der USA aufdrängt statt die Zusammenarbeit zu suchen. Einmalig ist die Strategie auch darin, wie sie der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und der Gefährdung der Vereinigten Staaten begegnen will. Für ein sehr gefährliches Argument der Bush-Strategie halte ich die Rechtfertigung eines Präventivkriegs.

    Die Idee vom Präventivkrieg findet sich als wichtiges Element zur Bekämpfung der asymmetrischen Bedrohung in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie wieder und füllte in den Tagen nach ihrer Veröffentlichung die Schlagzeilen. Dabei stellt kaum jemand präventive Maßnahmen gegen einzelne Terroristen oder terroristische Organisationen in Frage. Kritisch diskutiert wird aber die Anwendung dieser Idee auf Staaten. Die Bereitschaft der Bush-Administration, vorsorglich so genannte Schurkenregime anzugreifen, bricht nämlich mit einem Prinzip des Internationalen Rechts, das seit dem Westfälischen Frieden von 1648 Gültigkeit hat: die Unantastbarkeit der Souveränität von Staaten. Henry Kissinger war einer der ersten, die eindringlich davor warnten, dass es

    weder im nationalen Interesse der Amerikaner noch im Interesse der Welt sein kann, jeder Nation das uneingeschränkte Recht zu gewähren, nach ihrer eigenen Bedrohungsanalyse präventiv gegen andere Staaten vorzugehen.

    Mit der gleichen Begründung könnte Indien in Kaschmir, China in Taiwan und Russland in Georgien tätig werden.

    An diesem Punkt hakt auch der mögliche Herausforderer George Bushs bei den Präsidentschaftswahlen 2004 ein, der demokratische Senator John Edwards. Er meinte vor dem Washingtoner "Center for Strategie and International Studies":

    Wenn wir glauben, die USA stünden kurz davor angegriffen zu werden oder wir uns einer unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt sehen, dann haben wir das absolute Recht, uns dagegen zu wehren. Das heißt: Selbstverteidigung. Das ist nicht neu, das ist nicht kontrovers und wir brauchen dafür auch keinen klingenden Namen. Doch der Regierung geht es nicht um die Bekräftigung unseres Rechts auf Selbstverteidigung. Das wäre ja in Ordnung. Stattdessen behauptet sie eine neue Doktrin, die für Amerika das einmalige Recht in Anspruch nimmt, Gewalt anzuwenden, wo immer und wann immer wir es für angemessen halten. Einige in der Regierung scheinen zu glauben, dass Gewalt als erstes Mittel eingesetzt werden kann, um unsere legitimen außenpolitischen Ziele durchzusetzen.

    Trotz der massiven Kritik an dem Präventivschlag-Konzept halten neokonservative Vordenker der Bush-Administration wie Richard Perle daran fest. Im Umgang mit der vom Präsidenten im vergangenen Jahr ausgemachten "Achse des Bösen", bestehend aus Irak, Iran und Nordkorea, bliebe den USA mitunter gar nichts anderes übrig. Perle:

    Diejenigen, die wieder, wieder und wieder sagen, dass Gewalt nur das letzte Mittel sein darf, sollten einmal folgende Frage beantworten: Macht es nicht manchmal Sinn, Gewalt effizient und schnell, lieber früher als später einzusetzen? Denn wenn man damit wartet, ist es am Ende mitunter gefährlicher und viel kostspieliger.

    Eng mit der Gewaltfrage verbunden ist das neue Rollenverständnis der USA als letzte Supermacht. Bush setzt dabei nicht mehr in erster Linie auf das Netzwerk der multilateralen Institutionen, die es ohne die USA nicht gäbe und die seine Vorgänger als unverzichtbare Transportmittel amerikanischer Machtpolitik ansahen, sondern kehrt stattdessen zur klassischen Realpolitik des 19. Jahrhunderts zurück, in der große Mächte die Geschicke der Welt bestimmen. Multilaterale Organisationen spielen im Licht der neuen Sicherheits-Doktrin nur dann eine Rolle, wenn sie die Ziele der USA unterstützen, wenngleich es im Begleitschreiben des Präsidenten heißt:

    Wir werden auch von der Überzeugung geleitet, dass kein Land alleine eine sichere und bessere Welt bauen kann. Bündnisse und multilaterale Institutionen können die Stärke freiheitsliebender Nationen vervielfältigen. Die Vereinigten Staaten haben sich dauerhaften Institutionen verpflichtet. Bündnisse der Willigen können diese beständigen Institutionen bestärken.

    Verteidigungsminister Rumsfeld brachte das im Januar vergangenen Jahres in einer Grundsatzrede vor der National Defense University in Washington so auf den Punkt:

    Kriege können sicher von , Koalitionen der Willigen' profitieren, aber sie sollten nicht von Komitees geführt werden. Der Auftrag muss die Koalition bestimmen, nicht die Koalition den Auftrag. Wenn das passiert, wird die Mission auf den kleinsten gemeinsame, Nenner eingedampft. Das können wir uns nicht leisten.

    Erstes Anschauungsbeispiel für den neuen Zugang der amerikanischen Regierung zu ihren Verbündeten lieferte die Afghanistan-Kampagne. Die NATO stellte einen Tag nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 den Bündnisfall fest. Die Amerikaner nahmen dankend an, hielten ihre Partner bei Planung und Durchführung der militärischen Aktionen aber auf Distanz.

    Da der Krieg gegen die Taliban-Regierung und Al-Qaeda-Terroristen völkerrechtlich ein Akt der Selbstverteidigung war, stellt der Irak-Krieg den eigentlichen Testfall für die neue Strategie dar.

    Folgte man der Logik der Sicherheitsstrategie, müsste sich die Aufmerksamkeit der US-Regierung nach der Enthüllung des geheimen Nuklearprogramms Nordkoreas - einem anderen Mitglied der "Achse des Bösen" - eigentlich auf Pjöngjang richten. Das dortige Regime verfügt nach CIA-Erkenntnissen heute schon darüber, wonach der Diktator in Bagdad erst noch streben könnte: Nuklearwaffen. Der angesehene Kolumnist Anthony Lewis spekulierte in der Monatsschrift "New York Review" deshalb über die eigentliche Motivation der Nationalen Sicherheitsstrategie:

    Ich glaube, dieser Präsident will die Regeln über Bord werfen, die das internationale Leben über die vergangenen 50 Jahre bestimmt haben. Vor zehn Jahren begannen der damalige Verteidigungsminister Dick Cheney und sein Unterstaatssekretär Paul Wolfowitz damit, eine Doktrin zu entwerfen, nach der die Welt künftig von Washington aus regiert wird.

    Diesen Gedanken hatte als erster der sicherheitspolitische Experte David Armstrong in einer viel beachteten Analyse für "Harpers"-Magazin in die US-Debatte über die neue Nationale Sicherheitsstrategie eingeführt. Unter dem Titel "Dick Cheneys Song of America" zeigt Armstrong akribisch auf, wie der Vizepräsident schon nach Ende des Kalten Krieges versucht hatte, ein, Konzept für die globale Vorherrschaft Amerikas durchzusetzen. Die Elemente dafür finden sich in der "Defense Strategy for the 1990's" wieder, die Cheney damals als Verteidigungsminister erarbeitet hatte. Im Hintergrund wirkten der heutige stellvertretende Verteidigungsminister Wolfowitz und Cheneys damaliger Stellvertreter Richard Perle mit. Durch eine undichte Stelle gelangte im März 1992 eine Rohfassung an die New York Times und sorgte für öffentliche Empörung. Mit der Abwahl der ersten Bush-Administration verschwand das Papier in der Versenkung. Laut Armstrong feiert es nun Widerauferstehung:

    Viele der Elemente dieses Plans kamen wieder auf den Tisch: der Focus auf Weltraumwaffen, auf Raketenabwehr, neue nukleare Waffen gegen tief liegende Ziele. Nach dem 11.September schlichen sich dann auch Elemente der Dominanz-Theorie in die Rhetorik ein; in der Rede des Präsidenten zur Lage der Nation oder in der West Point Rede. Am weitesten ausformuliert ist sie jetzt in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie, die eine aufgewärmte und leicht überarbeitete Version des Plans ist, den Powell, Wolfowitz und Cheney 1992 vorgelegt hatten.

    Neu sei der Begründungszusammenhang. Während es damals um das Vakuum nach dem Zusammenbruch des Kommunismus gegangen sei, argumentierten die neokonservativen Denker nun mit dem Krieg gegen den Terrorismus, um eine US-Hegemonie zu erreichen.

    Die Betonung liegt jetzt auf Präventivschlägen, was in der Welt nach dem 11.September gut angenommen wird. Dagegen ist das Thema Dominanz, das sich wie ein Roter Faden durch das Dokument zieht, in der Berichterstattung ein wenig aus dem Blick geraten. Dabei ist hier die eigentliche Motivation für die verschiedenen Aspekte des Plans zu sehen.

    Dass diese Vermutungen nicht aus der Luft gegriffen sind, lässt sich an den konkreten Entscheidungen der Bush-Administration ablesen. Wie keine US-Regierung vor ihr hat sie der Weltgemeinschaft den Rücken gekehrt, hat internationale Abkommen gekündigt und neue Vereinbarungen nicht mehr geschlossen. Beredtes Beispiel ist die Weigerung, das Abkommen über den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu unterzeichnen. Nun hat US-Präsident Bush die Vereinten Nationen in eine Krise gestürzt, weil, so die US-Begründung, die UNO nicht robuster gegen den Irak vorging.

    Am deutlichsten wird der Dominanzanspruch in der Behauptung eigener "unantastbarer Stärke" - ein Gedanke, der sich sowohl in der Nationalen Sicherheitsstrategie als auch in der viel zitierten "West Point"-Rede des Präsidenten findet:

    Amerika verfügt über unantastbare militärische Stärke und beabsichtigt, daran festzuhalten. Dadurch machen wir destabilisierende Rüstungswettläufe anderer uninteressant und beschränken Rivalitäten auf Handel und andere friedliche Aktivitäten.

    Der demokratische Senator John Edwards spricht von einer Pax Americana, die Bush, Cheney, Wolfowitz, Rice, Perle und Rumsfeld in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie formuliert haben. Er wirft der Administration vor, durch solche Kraftmeierei Chancen zu verspielen und dem Ansehen Amerikas in der Welt zu schaden:

    Statt unsere Ziele ohne Arroganz zu verfolgen,... plant die Außenpolitik der Administration jetzt das genaue Gegenteil: Arroganz ohne Ziel. Wir scheinen entschlossen zu sein, alleine zu handeln, um alleine zu handeln. ... Unsere größten Herausforderungen können wir nur dann bestehen, wenn wir unsere Freunde, Verbündeten, Partner, tatsächlich die ganze Welt zum aktiven Mittun gewinnen. Unilaterale Aktionen werden den Krieg gegen den Terror nicht entscheiden und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen nicht verhindern.