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Tagung "Genetik, Determinismus und menschliche Freiheit"

Die Entschlüsselung des kompletten menschlichen Genoms und die Entwicklung von Genbanken haben der Medizin völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Die neuen Informationen haben aber weit über die Medizin hinaus Bedeutung. Aus diesem Grund trafen sich in Heidelberg Wissenschaftler zu einer Tagung mit dem Titel: "Genetik, Determinismus und menschliche Freiheit". Besprochen wurden Fragen wie: Was kann die heutige Gendiagnostik leisten, was folgt nach der Diagnose und wem nützen Gentests?

Von Klaus Herbst |
    Manche Erbkrankheiten brechen in einem bestimmten Lebensalter aus - zum Beispiel Chorea Huntingdon, der Veitstanz, eine nicht reversible, geistige Behinderung, die ab dreißig beginnt. Es gibt dafür noch keine Behandlung. Wer das Gen hat, erkrankt. Wir kennen aber auch andere genetisch bedingte Krankheiten, die man sehr gut beeinflussen kann, wenn man nur die Umwelt- beziehungsweise Ernährungsbedingungen verändert. An Phenylketonurie erkrankt immerhin eines auf fünftausend Kinder. Sie wird durch ein einziges Gen ausgelöst. Wenn man aber bei der Diät eine Aminosäure weglässt, dann wächst das Kind normal auf. Bei Alzheimer wiederum sind Gene Risikofaktoren. Das Ausbrechen der Erkrankung ist wahrscheinlicher, aber determiniert wird man von Genen nicht...

    ... meint Professor Steven Rose Institut für Biologie von der britischen Open University. Die Genomforschung hat völlig neue Chancen in Diagnose und Therapie eröffnet. Professor Ludger Honnefelder vom Institut für Wissenschaft und Ethik an der Universität Bonn nennt ein Beispiel:

    Es gibt ja eine erbliche Darmkrebserkrankung, die man durch frühzeitige Intervention nach der Geburt heilen und beseitigen kann. Und hier ist die genetische Untersuchung in Familien, in denen solche Krebserkrankungen auftreten, sinnvoll, um zu wissen, ob das Kind diese Disposition von seinen Eltern auch hat. Und im Falle, in dem es diese Disposition hat, kann man dann rechtzeitig Vorsorgemaßnahmen treffen und durch Beseitigung der polypenartigen Darmwucherungen die Krankheit heilen.

    Die häufigste vererbbare Krankheit bei Kindern ist Diabetes mellitus. Auch bei Epilepsie, Mukoviszidose, Laktoseintoleranz, die Bluterkrankheit und einigen anderen Krankheiten ist eine erbliche Komponente wirksam. Aber oft können Ärzte und Eltern helfen – zum Teil durch recht einfache Umstellungen der Diät. Kinder auf derzeit noch unheilbare Erkrankungen zu testen, hält der Bonner Experte für sinnlos und für gefährlich:

    Ergo muss man die Regel treffen, dass für Minderjährige Tests auf erbliche Krankheiten, die nicht behandelt werden können, nicht zugelassen werden. Auch die Eltern dürfen sie nicht veranlassen, bis der Minderjährige das Alter erreicht hat, wo er nach entsprechender Aufklärung selbst entscheiden kann, ob er dieses gegebenenfalls existenziell außerordentlich belastende Wissen haben will oder nicht.

    Viele wollen das Wissen haben, so schnell wie möglich. Schon jetzt kursieren im Internet fragwürdige genetische Tests. In ein paar Jahren könnte man neue Diagnose-Software und Computerschnittstellen im Verbrauchermarkt erwerben – genetische Test-Kits für jedermann. Ein bisschen Speichel auf den Sensor, und der Computer rechnet Risiken aus.

    Eine vernünftige Antwort wäre, dass man die Zulassung solcher Chips für prädiktive genetische Test handhabt wie den Umgang mit gefährlichen Medikamenten. Dass man sie verschreibungspflichtig macht, dass der Arzt darüber entscheiden muss, ob sie sinnvoll eingesetzt werden sollen und der Patient dann nach entsprechender Aufklärung seine freie Entscheidung trifft.

    Das innovative Wissen führt also zu neuen gesellschaftlichen Diskussionen. Versicherungen sollten ihren Kunden keine Gentests aufzwingen dürfen – da sind sich die Experten einig. Extrem hohe Versicherungssummen gelten jedoch als Ausnahme, um das System im Interesse aller Versicherungsnehmer finanziell stabil zu halten. Professor Hans Lehrach vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik Berlin kennt eines der wenigen Beispiele, in dem ein Arbeitgeber einen Gentest verlangen darf. Wenn abzusehen ist, dass Dritte gefährdet werden, sind Gentests rechtlich zulässig. Es gibt beispielsweise vererbbare, zwanghafte Schlafanfälle.

    Wenn ein Flugzeugpilot zu Narkolepsie neigt, dann würde ich das vielleicht auch ganz gerne wissen wollen, wenn ich im Flugzeug sitze. Aber ob jetzt ein Kassierer in einer Supermarktkette irgendwelche genetischen Anlagen hat, das ist nicht unbedingt notwendig, diese Information dem Arbeitgeber zu geben. Auch da kann man mit etwas Augenmaß ganz gut eine Diskriminierung vermeiden und trotzdem vermeidbare Risiken für andere Menschen ausschließen.

    Scharf hat der Berliner Forscher auf der Heidelberger Tagung die finanzielle Förderungspraxis der Genomforschung kritisiert. Es werde in Deutschland viel zu wenig für die Erforschung beispielsweise der genetischen Bedingtheit von Krebserkrankungen ausgegeben. Dabei habe die Genomforschung gegenüber anderen biologischen Forschungsrichtungen einen Vorteil: Sie ist planbar. Jeder Euro mehr führt berechenbar zu neuen Fortschritten. Hans Lehrach betont, ...

    ... dass selbst eine minimale Verbesserung der Krebsheilungsraten oder der Überlebenszeit der gezielten Behandlung, die dann vielleicht nicht Chemotherapie ausgesetzt sind, die ohnehin nicht bei ihnen funktionieren würde, enorm wichtig ist für die Menschen. Also die Menschen, die Krebs haben, wären auch schon mit kleinen Fortschritten glaube ich sehr zufrieden.