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Taktieren und Paktieren

Während Nicolas Sarkozy die Talsohle bei den Meinungs-Umfragen längst durchschritten hat, dümpeln Frankreichs Sozialisten in der Opposition mehr denn je vor sich hin. Innerlich ist die Partei zerrissen und zerstritten. Ségolène Royal, die letztes Jahr gegen Nicolas Sarkozy antrat, will nun, umringt von zwei starken Konkurrenten, eventuell für den Parteivorsitz kandidieren - so ganz legt sie sich da aus strategischen Gründen noch nicht fest. Über die Machtkämpfe bei Frankreichs Sozialisten berichtet Burkhard Birke.

    Frankreichs Sozialistische Partei erinnert an einen lahmenden Patienten. Diesem empfiehlt die eine sinngemäß ein Eispack, die andere heiße Umschläge. Auch sprachlich hat der Wettstreit der Sozialisten um das Amt des ersten Sekretärs, sprich des Parteichefs, bizarre Formen angenommen. Die eine ist Ségolène Royal. Eher abgeschlagen in Meinungsumfragen und in der Gunst des Parteivolks wollte die unterlegene Präsidentschaftskandidatin die aufgewühlten Wogen glätten und signalisierte: Sie könne auf eine Kandidatur für den Parteivorsitz verzichten.

    "Was mich bewegt ist die Kluft zwischen den Nöten der Bürger und dem, was sich in der sozialistischen Partei abspielt. Deshalb empfehle ich: Jeder möge die Frage nach einer Kandidatur für den Parteivorsitz oder schlimmer noch für die Präsidentschaftswahl auf Eis legen!"

    Replik der anderen, die noch nicht erklärte Kandidatin ist, aber gute Aussichten hat, es zu werden: Man müsse den Menschen gerade jetzt Wärme geben, meinte Martine Aubry, Bürgermeisterin von Lille und Tochter des legendären EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors.

    Die frühere Arbeitsministerin und Erfinderin der umstrittenen 35-Stunden-Woche verkörpert die Parteilinke, Ségolène Royal die Erneuerung und in der Mitte tummelt sich der zurzeit lachende Dritte, Bertrand Delanoe!

    Der Bürgermeister von Paris hat vor einigen Wochen bereits seine Ambitionen offenbart: Er will im November Parteichef und Nachfolger von Francois Hollande werden. Der Ex-Lebensgefährte der Ex-Präsidentschaftskandidatin Royal verzichtet nach elf Jahren und zwei verlorenen Präsidentschaftswahlen notgedrungen auf das Amt, nicht aber auf seine Ambitionen:

    "Ich kann doch nicht gleichgültig zuschauen, ob diese Kandidatin oder jener Kandidat, dieser oder jener Leitantrag zur Debatte stehen! Nein - ich will mich engagieren, Verantwortung übernehmen - das ist mein Job,"

    rechtfertigte Francois Hollande auf einer Kundgebung in Cergy Pointoise seine Entscheidung zugunsten des Pariser Bürgermeisters Betrand Delanoe - natürlich nicht zur Freude seiner früheren Lebensgefährtin und Mutter seiner vier Kinder, Ségolène Royal:

    "Mir wäre es lieber gewesen, der erste Sekretär hätte sich herausgehalten, nicht Partei ergriffen und lediglich dafür gesorgt, dass der Parteitag vernünftig abläuft."

    Der findet im November statt, mit dem Ziel, die sozialistische Partei inhaltlich zu erneuern. Denn die Sozialisten wissen, dass sie ihre Kommunalwahlerfolge im Frühjahr lediglich dem Popularitätsverlust Sarkozys zuzuschreiben hatten.

    Soziale Gerechtigkeit in einer globalisierten Welt, schwindende Kaufkraft, Umweltschutz, Beschäftigungsförderung sind die Themen, über die Linke und Rechte streiten, einen Kompromiss und ein regierungsfähiges Programm finden müssen. Bis zum 23. dieses Monats können Anträge eingereicht werden.

    Ganz bewusst ist die Wahl des Parteichefs, und damit die personelle Erneuerung ans Ende der Programmdebatte gestellt worden. Wer bestimmt? Die Person das Programm - oder sollte umgekehrt das Programm die Person designieren? Letzteres wünscht sich urplötzlich Royal. Der Grund: Laut Meinungsumfrage des Nachrichtenmagazins Express heute setzen nur noch zwölf Prozent der Franzosen auf sie als geeignetste Kandidatin der Sozialisten für die Präsidentschaftswahl 2012! Wird jetzt schon mit dem Parteichef den Kandidaten für 2012 gekürt? Eine Vorentscheidung fällt alle Mal, und laut Meinungsumfrage liegt Bertrand Delanoe mit an der Spitze, obwohl oder gerade weil er eher als traditioneller Sozialist gilt.

    "Im Grunde sind wir uns einig. Wenn wir hier vereint ist, heißt das wir ziehen an einem Strang: Die Reformer stellen sich in den Dienst einer effizienteren Linken, mit echter sozialer Gerechtigkeit, "

    appellierte Delanoe auf einer Parteiversammlung an den Reformflügel. Der fühlt sich - zumindest teilweise wohler bei Royal. Die versammelt ihre Anhänger demnächst ohne den Segen der Partei. Das Kalkül ist dabei sehr durchsichtig: Mit einer starken populären Basis und dem möglichen Verzicht auf den Parteivorsitz will Royal ihre Chance auf eine erneute Präsidentschaftskandidatur 2012 wahren.