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Tanzend den Horizont erweitern

Auf der Bühne der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen ist er nur selten zu sehen, der Tanz. Das Symposium "Wissenskulturen des Tanzes" an der FU Berlin wollte dies ändern. Gleichzeitig hat am Institut für Theaterwissenschaft die Schweizer Tänzerin Anna Huber die Valeska Gerd-Gastprofessur aufgenommen. Ihr Ziel ist es, die Theorie mit praktischen Studien zu verbinden.

Von Eva-Maria Götz | 07.02.2008
    "Ich arbeite stark jetzt hier in diesem Bezug Körper-Architektur, Körper und Raum, möchte aber in erster Linie die eigenen körperlichen Möglichkeiten bewusst machen, den eigenen Körper als Instrument vermitteln, auch Architekturen des Körpers oder Gelenkarchitekturen, und eben den Bezug zum realen Raum, also auch da die Aufmerksamkeit zu stärken, das Bewusstsein für den Raum zu stärken, und da diese Öffnung hoffentlich auch zu finden, dass man mit offenen Sinnen aus dem Studio rausgeht und in seinem Studium sich bewegt."

    Die Tänzerin Anna Huber interessiert sich für Schnittstellen und Widersprüche. Nicht nur, dass sie selbst im ständigen Spagat zwischen Bern und Berlin lebt, auch in ihrer Arbeit sucht sie an der Grenze zwischen darstellender und bildender Kunst nach neuen Ausdrucksformen. Und nun wagt sie den Sprung in ein Institut, in dem, meistens zumindest, die graue Theorie vorherrscht.

    "Das ist auch etwas, was ich hier so ermutigen möchte, dass wir auf ganz vielen Ebenen gleichzeitig manchmal arbeiten, also sei es ganz konkret physisch- körperlich, sinnlich ist auch was Wichtiges, mit allen Sinnen, also durchaus auch mit dem Hörsinn, mit dem Tastsinn und auch auf der emotionalen und der intellektuellen Ebene, die dann eher reflektiert, von außen sich das wieder anguckt. Das eine kann ohne das andere irgendwie nicht lebendig sein."

    In ihren eigenen Choreografien verlässt Huber oft die Bühne und sucht sich ausgefallene, architektonisch interessante Räume, für die sie spezifische Projekte entwickelt. Dieser sehr persönliche Blick nach außen, genreübergreifend und das reale Leben in ihre Arbeiten miteinbeziehend, ist es, was Anna Huber mit der Namenspatronin der Valeska Gert-Gastprofessur verbindet.

    "Sie war jemand extrem Eigenwilliges und das find ich auch schön, so wie ich das hier begreife, dass ich eigentlich diese persönliche Herangehensweise stärken möchte und da auch motivieren. Also das ist für mich nicht nur im künstlerischen Sinne, sondern auch im wissenschaftlichen, also auch da eine persönliche Haltung zu haben und zu entwickeln und nicht einfach etwas wiederzugeben, was man gelernt hat."

    Die Gastprofessur am Institut für Theaterwissenschaften der Freien Universität Berlin ist gedacht für Künstler aus Performance und Tanz, die aus dem Ausland kommen und die hier mit Studierenden im Sinn eines forschenden Lernens arbeiten. Die Idee dazu hatte Professorin Gabriele Brandstätter, eine der Pionierinnen der Tanzwissenschaften und die Begründerin des Zentrums für Bewegungsforschung:

    "Sie ist extrem wichtig für uns, weil sie nach innen im Institut wie auch nach außen zeigt, was wir machen wollen, nämlich Theorie, wissenschaftliches Arbeiten einerseits mit praktischer Arbeit verbinden."

    Valeska Gert war Berlinerin und eine Künstlerin, die sich in den 20er, 30er Jahren für eine Art von Tanz und Performance interessiert hat, die die politischen und die sozialen Seiten ihrer Zeit berücksichtigte. Und dieses Programm hat man sich auch im Berliner Zentrum für Bewegungsforschung auf die Fahnen geschrieben.

    "Das ist auch unser Anliegen, auch des Zentrums für Bewegungsforschung, Tanz und Choreografie nicht eng auf Definitionen, die wir immer schon haben und von denen wir immer schon glauben, dass sie Tanz beschreiben, zu beziehen, sondern zu schauen: Wie kann man Konzepte und Formen des Denkens, das ein mobiles ist, eines, das Flexibilität braucht, auch beziehen auf Dynamiken, die soziale sind, die vielleicht auch politische sind, die aber ganz bestimmt auch immer ihr ästhetisches Pendant haben."

    Es geht nicht nur darum, Balletthistorie zu erforschen, sondern immer auch zu überlegen: Wie hat man sich in welcher Epoche bewegt und welche Auswirkungen hat diese Art der Bewegung auf das Denken und Erleben der Menschen gehabt.
    Im 18. Jahrhundert zum Beispiel entwickelte sich der klassische Tanz vom repräsentativen höfischen hin zum individuelleren Handlungsballett. Das Bewegungs- und Körperkonzept wurde insgesamt dynamischer und freier.
    Das findet sich dann auch in zeitgenössischen Texten wieder. Damit beschäftigt sich auch Dr. Sabine Huschka vom Berliner Zentrum für Bewegungsforschung, die am vergangenen Wochenende an der FU ein interdisziplinäres Symposium über die "Wissenskulturen des Tanzes" inszenierte. Doch wie erforscht man etwas so Flüchtiges wie eine Bewegung?

    "Das heißt über choreografische Verfahren, über kompositorische Entscheidungen, über Adaptionen von mechanischem Wissen, von Wissen über anatomische Vorgänge, wie funktioniert der Körper und über Repräsentationsformen, also wie zeigt sich Tanz auf der Bühne.
    Und dieses haben wir versucht, auf dem Symposium zu verbinden durch wissenschaftliche Vorträge, durch tanzwissenschaftliche Vorträge, durch Vorträge der Musikwissenschaft, der Sportpädagogik, der Sportphilosophie, aber auch den Kulturwissenschaften und der Spieltheorie und dieses zu verbinden durch Demonstrationen, also "lecture demonstrations" von Künstlern, die im Tanz selber arbeiten und das reflektieren, was sie tun, teilweise im Dialog, teilweise, dass es vorgetanzt wurde, um so miteinander in einen Kontext zu kommen."

    Die Tanzwissenschaft ist eine noch junge Disziplin, die - zumeist angesiedelt im Bereich Theater- oder Kulturwissenschaft - den anderen Forschungszweigen dennoch viel geben kann, meint Sabine Huschka:

    "Ich denke, dass die Tanzwissenschaft, wenn es eine Wissenschaft ist, die eine Aufmerksamkeit auf körperliche Prozesse und auf Wahrnehmungsprozesse des Körpers hat, den Blick darauf lenken kann, dass aufbewahrtes Wissen in Texten, in Bildern auch immer ne Reflexionsebene über wirklich stattgefundene körperliche Praktiken sind. Das ist ne besondere Kunst der Tanzwissenschaft, dieser besondere Blick auf das geschaffene Moment und körperliche Moment von kulturellen Zusammenhängen."

    Ab Herbst dieses Jahres beginnt am Institut für Tanz- und Theaterwissenschaften die Arbeit des internationalen geisteswissenschaftlichen Forschungskollegs, das den Fokus über Europa hinaus auf Asien, Afrika und Amerika richten wird. Kulturelle Bewegungszusammenhänge sollen dann nicht nur im europäischen historischen Rahmen, sondern auch zwischen den Kontinenten untersucht werden. Gabriele Brandstätter:

    "Tanzen heißt, die Position verändern. Und das ist vielleicht so ne ganz einfache Definition, ich verändere meinen Standpunkt, das muss ich nämlich, zum Beispiel, wenn ich das Gewicht verlagere und das sind so elementare Dinge, denn die bedeuten ja auch: Ich verändere meinen Blickwinkel."