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Technolution

Ach wie war vordem die Welt von morgen so bequem" könnte man - frei nach den Kölner Heinzelmännchen - den Blick zurück titulieren, mit dem uns Matthias Horx in seinem Buch "Technolution" empfängt. Es geht zurück in ein Jahrzehnt, in dem Klimawandel oder Artensterben noch kein Thema war - in die 60er.

Von Dagmar Röhrlich | 22.03.2009
    Problemlos erschien die Zukunft damals, jedenfalls dem Stapel "Birkel Zukunftsbilder" zufolge, den der Autor auf seinem Dachboden fand: Das ferne Alaska wurde bequem mit Atomloks erobert, die Hausfrau steuerte vom Tisch aus ihre vollautomatischen Küche, das Wetter ließ sich nach Wunsch bestellen und mit dem Raketenflugzeug ging es zum Mittagessen von London nach New York. Sogar ein Flugticket zum Mond fand der Autor zwischen den Papieren: mit der Pan Am, einzulösen am 1.1.2000.

    Da war die Pan Am fast schon ein Jahrzehnt lang pleite, und auch sonst sehen wir heute einiges anders. Deshalb analysiert Zukunftsforscher Horx zunächst, warum technischen Ideen scheitern. Etwa der Zeppelin. Der war, so erläutert er, zwar eine wunderbare Reisemöglichkeit für Adel und Geldadel - aber nicht massentauglich. Die klassische Innovationsabfolge versagte: elitäre Nutzung, Individualisierung, Verbilligung und Vermassung. Also verschwand er. Die Stunde der Überschallflieger schlug, als er dank Laptop überflüssig wurde und für die Manager der Zeitgewinn als Vorteil entfiel: Sie konnten auch in der Business- oder First Class arbeiten wie am Schreibtisch.

    Andere Erfindungen sind zwar immer wieder im Gespräch, werden sich aber nach Ansicht des Autors niemals durchsetzen, etwa weil sie archaischen Bedürfnissen der Menschen widersprechen: das vollautomatischen Auto fällt in diese Kategorie, denn es würde den Menschen "entmachten". Und der "intelligente" Kühlschrank widerspricht dem Genießer in uns, der spontan Moden nachgeben will, Heißhungerattacken, dem unvorhersehbaren Appetit oder irgendwelchen anderen Eskapaden. Auch geht der Jäger und Sammler in uns viel zu gerne auf den Markt, als dass er den Kühlschrank die Besorgungen machen lassen würde. Technik scheitert, erklärt Horx, wenn sie am Menschen vorbeiplant, seine Bedürfnisse oder Ängste nicht mit einbezieht. Deshalb glaubt er auch nicht an die große Zukunft von Human-Robotern, ferngesteuerter Chirurgie, Megacities unter Wasser oder die eBooks.

    Mit diesem Wissen gerüstet geht der Leser dann auf eine Reise durch die Technikgeschichte. Wir erfahren, dass die Urahnen der Menschheit das Erfinden erfanden, lange bevor homo sapiens auf der Bildfläche erschien. Die Freude an der Technik steckt tief in uns drin, und dank unserer Zivilisation treiben wir sie voran. Horx beschreibt den Krieg sozusagen als Vater aller Dinge, aber auch den Wunsch nach Status, nach Mobilität, Rationalisierung oder Kontrolle. Sie alle machen den Menschen erfinderisch. Aber Horx wäre nicht Horx, wenn er uns nicht seine Vision von Welt von morgen vorführen würde. Einfacher wird es werden, mit mehr Rücksicht auf die Natur. Allerdings bleibt Horx da ganz dem Technikglauben verhaftet. Wenn er einfacher sagt, meint er meist einfachere Geräte, nicht eine Hinwendung zu einem vollkommen anderen Lebensstil. Es ist vielmehr ein "Weiter-so" mit anderem Gepräge, umweltfreundlicher, energiesparender, aber nicht wirklich anders. Das wird an einer Stelle im Buch deutlich, an der er von den Plänen einer niederländischen Architektengruppe schwärmt, die die Landwirtschaft revolutionieren will: Auf alten Industriebrachen sollen 15 Etagen hohe Agrarfabriken entstehen, in denen auf dem Dach Getreide wächst, das direkt an die Schweine eine Etage tiefer verfüttert wird, deren Kot wieder eine Etage tiefer die Gemüsefelder düngt, deren Reste als Kaninchen- oder Kuhfutter dienen oder zu Biogas vergoren werden. Lebendige Tiere sind in dieser Vision Produktionsmittel wie Schrauben.

    Diese Entwicklung, die heute schon in der industrialisierten Landwirtschaft in vollem Gang ist, wird in solchen Gedankenspielen zur höchsten Blüte gebracht. Es geht nicht um nachhaltiges Wirtschaften im Einklang mit der Natur, um Verhaltensänderungen der Menschen. Hier bleibt das Buch konventionell. Trotzdem ist es amüsant zu lesen und voll interessanter Geschichten, auch wenn man die Sicht des Autors nicht unbedingt und immer teilen muss.

    Matthias Horx: Technolution. Wie unsere Zukunft sich entwickelt
    ISBN 978-3-593-38555-6
    Campus Verlag, 278 Seiten, 24,90 Euro