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Teilchenbeschleuniger
Mit Kanonen auf Fliegen geschaut

Schmeißfliegen schlagen mehr als 100-mal pro Sekunde mit ihren Flügeln - zu schnell nicht nur für unsere Augen, auch für die meisten technischen Geräte und Kameras. Erst mit einer tausendfach größeren Ausrüstung kann man der Fliege auf die Flügel schauen, um zu sehen, wie sie fliegt: Mit dem Teilchenbeschleuniger des Paul Scherrer Institutes im schweizerischen Villigen.

Von Sabine Goldhahn | 26.03.2014
    Das Innere des Brustkorbs der Fliegen. Sichtbar sind die fünf untersuchten Steuermuskeln (grün bis blau) und die Kraftmuskeln (gelb bis rot). (Abbildung aus der Veröffentlichung: PLOS Biology (Walker, SM, Schwyn, DA, Mokso, R, Wicklein, M, Müller, T, Doube, M, Stampanoni, M, Krapp, HG, Taylor, GK - In vivo time-resolved microtomography reveals the mechanics of the blowfly flight motor. PLoS Biol 12(3): e1001823 (2014). doi:
    Im Brustkorb der untersuchten Fliegen sind fünf Steuermuskeln (grün bis blau) und die Kraftmuskeln (gelb bis rot) sichtbar. (Abbildung aus der Veröffentlichung) (PLOS Biology, doi:10.1371/journal.pbio.1001823)
    Die Redensart "mit Kanonen auf Spatzen schießen" haben Schweizer Forscher ziemlich wörtlich genommen: Für ihre Studie haben sie daumennagelgroße Schmeißfliegen mithilfe von Röntgenlicht aus einem Synchrotron-Teilchenbeschleuniger untersucht. Ihr Motiv: ergründen, wie es die Fliege schafft, so schnell ihre Flugrichtung zu ändern und zu reagieren, wenn vor ihr ein Hindernis auftaucht oder wir hinter ihr her sind. Marco Stampanoni, Physiker am PSI in Villigen:
    "Man hat auch nie wirklich verstanden, wie das entsteht. Sind es die ganzen Flügel, die einen anderen Winkel übernehmen und sozusagen eine Flugänderung verursachen oder passiert da was anderes."
    Fliegen unter Beschuss
    Um dem Rätsel auf die Spur zu kommen, haben die Forscher eine Schmeißfliege quasi an einen Mini-Marterpfahl geklebt, damit sie nicht wegfliegt. Nur so konnten sie einen Röntgenstrahl aus der 25 Meter entfernten Synchrotronquelle gezielt auf das Insekt lenken, um Röntgenaufnahmen zu machen, die eine Auflösung von einem Mikrometer haben. Um die Fliege dazu zu bringen, ihre Flügel einzusetzen, griffen die Forscher zu einem Trick und stellten den Pfahl samt Fliege auf einen Sockel, der sich genau einmal pro Sekunde vollständig um die eigene Achse dreht. Dadurch wurde dem Tier vorgegaukelt, dass es um die Kurve fliegt. Damit das Ganze möglichst echt wirkte, hing über dem Insekt noch ein Lüfter, der den nötigen Flugwind erzeugte. Lüfter an, Drehung los - und tatsächlich fing die Fliege an, ihre zwei Flügel zu bewegen und entgegen der Drehrichtung zu steuern. Direkt im Röntgenstrahl des Synchrotrons und verfolgt von zwei Hochgeschwindigkeitskameras, die 4000 Bilder pro Sekunde liefern. Stampanoni:
    "Und am Anfang hat man einige Versuche gebraucht, um die richtige Konfiguration zu finden, aber wenn man die richtige Konfiguration gefunden hat, dann ging es 2 Sekunden, also man hat die Fliege da zweimal drehen lassen und daraus vier Tomogramme gemacht, und das war alles. Also, die Strahlzeit hat mehrere Tage gedauert, aber die richtige Datenaufnahme dauert zwei Sekunden."
    Zwei Sekunden Bestrahlung, und alles ist vorbei. Zwölf tote Fliegen insgesamt und ein immenser Aufwand. Und wofür? Auf dem Tisch des Physikers liegt die Antwort: ungewöhnliche dreidimensionale Röntgenbilder, am Computer flimmern sie in 3D als Video. Sie könnten auch ein außerirdisches Flugobjekt zeigen, so seltsam sind die Form und die vielen Details - wären da nicht die winzigen Haare an dem dicken, gewölbten Rumpf und die eingeknickten Beine. Durch die dreidimensionale Darstellung wirkt der Brustkorb wie ein Schildkrötenpanzer, an dem senkrecht dicke, mehrfach gegliederte bunt gefärbte Stränge nach unten ziehen. Vergleichsweise zart sehen die grüngefärbten dreieckigen Platten aus, die hinten an der Seite liegen. Doch sie sind das Geheimnis für die Flugkünste der Schmeißfliege, sagt Stampanoni:
    "Es gibt Muskeln, welche diese Flügel bewegen, das sind diese sogenannten Powermuskeln, und dann gibt es eine andere Art von Muskeln, die sind viel kleiner, und das sind diese Steuerungsmuskeln. Und man hat angefangen zu verstehen, dass diese Steuermuskeln verantwortlich sind, die Leistung dieser Powermuskeln zu ändern, das heißt, mit diesen Steuermuskeln kann man zum Beispiel den Winkel von diesem Flügel ändern, und auch eine Änderung der Flugrichtung verursachen."
    Genauer Blick auf den Flügelschlag der Fliege
    Auf dem 3D-Film sieht man genau, wie die Fliege durch diese Änderung des Anstellwinkels der Flügel und der Amplitude des Flügelschlags um die Kurve steuert. Dabei leisten ihre Steuermuskeln durch gleichzeitiges Anspannen entgegen den Powermuskeln sogar negative Arbeit, um die Bewegung auf der einen Seite abzubremsen. Fast wie bei der Motorbremse im Auto. Daneben sieht man auf den Filmaufnahmen genau, wie sich die Muskeln zusammenziehen und sich der Brustkorb der Fliege verformt. Doch ist dieses Wissen den Aufwand wert? Nach Ansicht der Forscher ja. Denn nie zuvor konnte man das Innenleben eines so schnellen Tieres in der Bewegung dreidimensional filmen - und das mit einer Genauigkeit von einem Mikrometer.
    Deshalb denken die Forscher schon an die nächsten Versuche mit der neuen Technik und hoffen, dass man sich von den kleinen blauschwarzen Fliegen mit ihren komplizierten Gelenken auch etwas für die Praxis abschauen kann. Für neue Fluggeräte oder um komplexe dreidimensionale Bewegungen zu steuern.