Montag, 06. Mai 2024

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Tel Avivs Carmel-Markt
Wo Profiköche und Hausfrauen einkaufen

Der Carmel-Markt ist Tel Avivs größter und fast 100 Jahre alt. Neben Bäckereien, Gemüse- und Obstläden sowie Käsegeschäften gibt es zahlreiche Imbisse und Cafés. Bei einem kulinarischen Streifzug über den Markt kann man viele Köstlichkeit entdecken - von "gefilltem Fisch" bis zu "Knaffeeh".

Von Peter Kaiser | 19.07.2015
    Stände auf dem Carmel-Markt in Tel Aviv
    Auf dem Carmel-Markt werden aufgrund der Nähe zum Mittelmeer auch viele Fische angeboten (dpa - picture alliance / Robert B. Fishman)
    Als "weiße Stadt" werden die 3.500 weiß getünchten Häuser in Tel Aviv bezeichnet, die in den 1930er-Jahren von meist deutschen, vor den Nazis geflohenen Architekten gebaut wurden. Die Häuser sind im Bauhaus-Stil erbaut, seit 2003 Unesco-Weltkulturerbe, und die schönsten von ihnen scheinen im gleißenden Mittelmeer-licht rechts und links des "Rothschild-Boulevards" wie zu schweben. Fest aber steht inmitten des Boulevards Avi, der junge israelische Guide.
    Kann ein Tag besser beginnen als hier, am "Rothschild-Boulevard", in dessen Mitte Palmen, Kaffeehäuschen und Denkmäler stehen? Es ist 9:00 Uhr, Ortszeit Tel Aviv, und hier sowie rund um den Dizengoff-Platz sind die Coffee-Shops geöffnet.
    Doch zum zweiten Frühstück ist keine Zeit. Avi drängt. Auf dem Weg zum Carmel-Market, wo wir Tom Franz treffen, halten wir an. Wir müssen uns für den Weg stärken, einen Imbiss zu uns nehmen. Und wissen nicht, wie deftig der hier morgens schon sein kann. Etwa mit "Kibbeh", den eiförmigen heißen Klößen aus Bulgur.
    "Das kommt aus der kurdischen und irakischen Küche. Fleisch und Zwiebeln mit Peanuts frittiert. Kostet mal."
    Die "Kibbeh" sind köstlich frisch, knacken noch hörbar vom heißen Fett, und sind scharf gewürzt. Und weil niemand auf einem Bein steht, kann man auch nicht trocken frühstücken. Also: "Das ist Morgenschnaps, Arrak, Anis."
    Sehr beschwingt beginnt ein solcher Tag dann, und die Eindrücke sind noch intensiver. So nun auch auf dem Carmel Market.
    Also der Carmel-Market, Tel Avivs größter Obst- und Gemüsemarkt, fast 100 Jahre alt. Viele der dicht an dicht stehenden Bäckereien, Gemüse-, Obstläden, Käsegeschäfte und Imbisse werden inzwischen in der dritten Generation geführt. Israel zeigt sich am "Shuk Ha'Carmel" von seiner orientalischen Seite. Am Markteingang steht ein Hüne, fast zwei Meter groß, mit breitem Lächeln und offenen Armen: der aus Erftstadt bei Köln stammende Tom Franz.
    Tom, von Beruf her Jurist, wanderte 2004 nach Israel aus, und konvertierte zum Judentum. Der Juristenberuf war nicht so seine Sache, darum wurde aus seiner Leidenschaft, dem Essen, hier nicht nur der zweite Beruf, sondern eine Passion.
    "Als ich hergekommen bin, war ich noch Anwalt, aber bin ich bekannt als Masterchef und mache seit zwei Jahren alles, was mit Kulinarik zu tun hat, und der kulinarischen Brücke zwischen Deutschland und Israel."
    Weil Kochshows, wie überall weltweit, im israelischen Fernsehen ebenfalls boomen, bewarb sich Tom 2013 beim "Masterchef"-Wettbewerb, eine Art "Israel sucht den Superkoch-Show". Das Finale hatte eine Einschaltquote von 52,3 Prozent, das ist mehr als in Deutschland bei der Fußballweltmeisterschaft.
    "Ja, und dann bin ich Masterchef von Israel geworden."
    Die daraus entstandene Bekanntheit macht es schwer, mit Tom Franz inkognito durch die Gassen zu laufen. Doch Tom lächelt sich frei, und zeigt, erklärt:
    "Wir sind hier auf dem Carmel-Market, und man kann alles kaufen, was man gebrauchen kann, Fleisch, Obst und Gemüse. Zum Abend hin wechselt das, dann ist das eine Ausgehmeile, dann öffnen die Restaurants, Bars und es wird immer lokaler, immer saisonaler, und Israel ist klein genug, um immer regional zu sein, und die Leute gehen zum Markt, gucken nach, was bietet Israel und dann wird danach gekocht. Alles kommt hier zum zusammen. Beispiel: Hier ist ein Süßwarenladen, hier gibt's Obst, und daneben gibt es Strumpfhosen und dahinter ist eine Bar."
    "Israel ist eine Fundgrube an Aromen und Produkten, wir sind hier in Vorderasien und wir sind hier im östlichen Mittelmeer, und hier gibt es eigentlich alles, was die Weltküche zu bieten hat. Man kann anders als in Deutschland die Sachen tatsächlich lose kaufen, nicht abgefüllt und abgepackt in kleinen Tütchen oder kleinen Döschen, sondern man geht wirklich hier hin und nimmt sich Mengen aus dem offenen Berg von den Gewürzen, die in allen Farben da stehen, und die Sachen sind frisch, von hoher Qualität und die Preise sind, im Vergleich zu Deutschland, enorm günstig."
    Auf dem Carmel-Market kaufen Köche namhafter Restaurants ebenso ein wie Hausfrauen. Neben den Einkäufen werden Bourekas genascht, Backwaren mit Käse, Tomaten oder Spinat gefüllt, und natürlich Falafel und Shawarma. Überall gibt es Nüsse und Trockengemüse, oft mit orientalischen Gewürzen wie Kardamon, Kreuzkümmel, Paprika, Rosmarin, Zimt und Anis durchmischt.
    "Hier sind gesalzene geröstete Mandeln, aber in der Schale geröstet und gesalzen, ganz wunderbar. Ich habe kandierte Pekannüsse geholt, die in Honig geröstet sind, ich habe Medjool Datteln geholt, die sind ganz frisch von den Palmen gepflückt worden, und wenn ich mich nicht irre, sind die aus dem Negev, aus der Wüste, eine unglaubliche Süße, die haben den Sommer der ganzen Wüste in sich, und ich habe getrocknete Tomaten geholt. Ordentlich zugreifen, nicht nur eines nehmen."
    Fisch aus dem Mittelmeer und dem See Genezareth
    Die köstlichen Tomaten und Nüsse kauend geht es weiter. Vor Tel Aviv ist das Mittelmeer fußläufig nah, darum verwundern die vielen Fische hier nicht.
    "Oh, wir haben ganz ganz tollen Fisch hier. Einerseits, wir haben das Mittelmeer vor der Tür, woher tolle Fische kommen. Wir haben den See Genezareth, woher tolle Fische kommen. Heute werden sogar in der Wüste Fische gezüchtet, unglaublich, und zwei Mal die Woche kommen Fischlieferungen aus dem Atlantik hier her. Es gibt nichts, was man nicht bekommt, alles ist da und in höchster Qualität. Der typische Fisch Israels ist, ich kenne leider die deutschen Namen nicht, das ist Bushseijam, das ist Buri, und sehr beliebt, das ist Lokus, das ist Zackenbarsch, das sind Fische, die sehr geliebt werden. Es gibt Denise, Amnun, Moussa, Labrak, das sind Fischsorten, die täglich angeboten werden und die gut gehen. Wenn man was Besseres haben will, dann wird Lachs gegessen und Thunfisch."
    Die Fische für den berühmten "Gefillten Fisch" - für viele die jüdische Speise schlechthin – kommen in Tel Aviv von hier. "Gefillte Fisch", eine Art gekochte Fischfrikadelle, wird an Schabbat und an Feiertagen wie Rosh Hashanah - dem jüdischen Neujahrsfest - oft als Vorspeise gegessen. Und vielleicht hier, am Beispiel des "Gefillten Fisch" wird deutlich, dass Religion in diesem Land wohl mehr als anderswo vor allem durch den Magen geht.
    Es gibt eine religiöse Vorschrift, die am Schabbat einzuhalten ist, und die heißt, eine Ausformung davon, dass man aus einem Stück Fisch keine Gräten entfernen darf. Das hat zur Folge, dass man einerseits gerne Fisch isst, der wenig Gräten hat, und die meisten haben Gräten, und auf der anderen Seite haben sich daraus Gerichte entwickelt, wie zum Beispiel der "gefillte Fisch", der überhaupt keine Gräten mehr hat und der durch den Fleischwolf gedreht worden ist, sodass man also dieses Problem der Gräten nicht hat. Also das ist ganz interessant, religiöse Vorschriften haben unglaublichen Einfluss gehabt auf eine bestimmte Ausformung und nicht nur, was man überhaupt essen darf und was nicht, sondern auf die Gerichte selber.
    Jetzt biegt Tom rechts ab in eine kleine Gasse. Wenige Schritte, dann bleibt er vor einem fast unscheinbaren Restaurant stehen. Und lächelt.
    "Hier am Carmel-Market gibt es im jemenitischen Viertel einige Hummus-Restaurants, wo ich mit am liebsten Hummus in Israel esse. Das ist ein Restaurant, da wird jeden Tag, außer am Schabbat, Hummus gemacht, nichts anderes. Wenn ich mich nicht täusche, seit über 70 Jahren. Kein Mensch, und sei er auch noch so reich, kann einen besseren Hummus bekommen als da. Und der einfache Straßenarbeiter geht da hin und isst seinen Hummus, und neben ihm sitzt ein Diamantenhändler oder ein reicher Anwalt, und der bekommt kein bisschen anderen, leckeren Hummus oder irgendwie anders serviert im gleichen Plastikgeschirr, und ja, alle sind zufrieden. Und das finde ich so toll an Hummus oder Falafel. Es ist so das Gleiche wie Coca Cola. Selbst der Penner auf der Straße trinkt die gleiche Coca Cola wie Bill Gates."
    In Israel, sagt Tom, gibt es etliche Hummusarten. Und man isst hier Hummus nicht nur mit dem Brot, der Pita oder dem jemenitischen Brot, Sallup, man wischt damit den Teller ab.
    Man sagt auch so in der Umgangssprache: "soll man Hummus aufwischen gehen". Und das ist das größte Kompliment an den Chef hier, wenn Du am Schluss mit dem Brot den Hummus aufwischt und den Teller sauber machst. Sagt mehr als ein Stern.
    "Also ich sag mal so, den Hummus kann man einerseits so essen mit Zitrone, die kann man so darüber auspressen. Zwiebeln, es gibt Leute, die essen den Hummus gern mit Zwiebeln, wer härter drauf ist, die bekommen ja auch die großen Chilischoten. Die essen die so weg, so wie Du vielleicht ne Gurke essen würdest. Das hier ist einmal Hummus mit Fuul, gekochtes Ei und einmal Hummus mit Trina, Trina ist angemachtes Tahini, Tahini ist der Rohstoff, hier heißt es Trina, also gemahlenes Sesam. Und hier ist Massalachwa, das ist Hummus zusätzlich mit gekochten Kichererbsen."
    "Ich kann nicht behaupten, dass Hummus hier anders gemacht wird als woanders. Die Zutaten sind alle gleich. Es ist Kichererbsen, es ist Tahini, Wasser, Knoblauch, Salz und vielleicht hier noch einen Zitronensaft und ein paar Gewürze. Es ist die Erfahrung, es ist ein Gericht, was man oft machen muss, und es verstehen muss, um es richtig zu machen. Und die Leute hier haben es drauf. Es ist die richtige Location für Hummus, man kann hingehen wohin man will, jeder kann Hummus, und man kann ihn so gut machen, dass man ihn jeden Tag essen möchte."
    Alles zusammen essen
    Klar wird: Die "Kashrut", die jüdischen Essens-Reinheitsgebote, bestimmen heute wie seit Jahrtausenden das tägliche Mahl. Daher wird man kaum Schweinefleisch auf dem Carmel-Market finden. Dafür aber viel Geflügel. Und fragt man nach dem typischen israelischen Gericht, so hört man oft: Alles zusammen, Fisch, Fleisch, Gewürze, Gemüse, Obst und Kräuter in den unendlichen Kochvariationen der vielen Einwanderer ergibt das israelische Essen. Dafür gibt es ein schönes jüdisches Wort: "Mischmasch".
    Für die Leute - es soll sie geben - die Hummus als Imbiss nicht mögen, für die sind die polnischen Imbisse in Tel Aviv ein heißer Tipp. Dort gibt man sich die "Kugl", sagt Avi, der Guide.
    "Kugl wurde von armen Leuten gemacht. Darum sind die einfachsten Zutaten drin. Eiernudeln, karamellisiert, also Zucker und Öl. Später wird alles in Pfeffer gewälzt, noch mal gebacken, eine einfache Sache, du siehst, wie es satt macht, ok?"
    Die "Kugl" für den Heißhungrigen, heiß und fettig, den "Hummus" für die genießenden "Aufwischer", die Frage nach dem Dessert darf man in jedem Fall stellen.
    "Malabi ist ein orientalischer Pudding mit Rosenwasser. Eine ganz tolle Sache. Ist in der Reinform ein Pudding, der nicht auf Milch, sondern auf Wasserbasis gemacht wird. Unglaublich haltbar, unglaublich lecker, einfach in der Herstellung, und auch mit den Farben, hier wird roter Sirup verwendet, auch für das Auge eine tolle Sache. Muss man einfach probieren, bitte."
    "Doch das ist nicht alles. Avi führt uns noch zum Nachdessert zum Levinsky-Market, dem zweiten Markt in Tel-Aviv, auf diesen hier schwört der Guide. Und auf sein Dessert, Knaffeeh zum Kaffee."
    "Das wird aus Ziegenkäse gemacht mit Zucker. Manche machen es so, und andere machen es so. Einer gibt Geranienblätter hinein, ein anderer Karottenraspeln mit Rosenwasser oder Rosenöl, jeder macht es anders. Und wieder andere streuen Pistazienraspel darüber. Klar ist, man kann überall in Israel ein gutes Knaffeh bekommen. Eigentlich stammt es aus der Türkei, und ist ursprünglich eine muslimische Speise."
    Und als nach der Kuchengabel gesucht wird:
    "With Fingers of course, Guys, eat with your fingers, hands, this is Israel."