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Tellerwäscherträume

Dreizehn Siedlungen, fünftausend Dächer, dreißigtausend Außenwände und ein steinhartes Paar Hände. Das habe ich gebaut. Ich habe Eisen verlegt, ich habe Moniereisen verlegt, ich habe mehr Eisenspäne eingeatmet als die Männer, die die Eisenbahn gebaut haben. Und ich habe gegipst. Mein Vater war Gipser. Sein Vater war Gipser. Der Vater seines Vaters war Gipser. Ich, mein Freund, bin Gipser....Männern wie mir müssen Sie dafür danken, dass die Siedlungen hier fest und solide geworden sind. Damals war viel von dieser Erde dafür bestimmt, bebaut zu werden.

Von Gisa Funck |
    Jerry McGuinty, eine der zwei Hauptfiguren in Colin McAdams Debütroman Ein großes Ding ist ein richtiger Angeber. Ein Aufsteiger. Einer, der es als Gipser und Bau-Unternehmer im wahrsten Sinne des Wortes mit den eigenen Händen nach oben geschafft hat. Nun ist Jerry McGuinty 57 Jahre alt, reich und stolz auf sein Lebenswerk. So stolz, dass er den Leser im chwadronierenden Kumpeltonfall direkt anspricht und ihn auf den nachfolgenden 370 Seiten des Romans durch jene Stadt führt, von der Jerry glaubt, dass er ihr unlöschbar seinen Stempel aufgedrückt hat. Diese Stadt ist Ottawa, die Hauptstadt Kanadas.

    McAdam hat sie für seinen ersten Roman geschickt gewählt, der - das deutet der Titel Ein großes Ding bereits an - vom nordamerikanischen Lieblingsmythos per se handelt: vom Mythos des Selfmademans, der es bekanntlich selbst noch als Tellerwäscher zum Millionär bringen kann, sofern er nur fest genug an sich selbst glaubt. Dieser Glaube treibt auch Jerry an. Er, ein Sohn irischer Einwanderer, der kaum die Schule besucht hat und mit 15 Jahren schon als Lehrling auf der Baustelle anfing, hat mit Anfang 20 eine Vision: Jerry träumt davon, bessere und stabilere Häuser zu bauen als jene "Pappzelte" voller Gipskartonplatten, die sein Lehrmeister für schnelles Geld hochziehen lässt - und durch die dann nachher regelmäßig der Wind pfeift. Man schreibt das Jahr 1968.

    Die Zeit für Jerrys Karrieretraum vom Bauen im großen Stil ist in Ottawa tatsächlich günstig. Schließlich gilt die Stadt - wenngleich Regierungssitz des Landes - zu dieser Zeit immer noch als jenes hinterwäldlerische, raubauzige Holzfällerkaff, als das es auch schon bei seiner Wahl zur Hauptstadt im 19.Jahrhundert verschrien war. Bis Mitte der 1970er Jahre gibt es in Ottawa gerade einmal ein einziges Kunstzentrum, in dem Theaterstücke aufgeführt werden - und schicke Restaurants schon gar nicht. Dafür allerdings findet man hier jede Menge freier Grünflächen vor und immer mehr Regierungsbeamte, die mit der anwachsenden Bürokratie in die Stadt strömen und Häuser bauen wollen. Bis Anfang der 80er Jahre bricht ein wahrer Bauboom aus. Das vorher verschlafene Ottawa wird plötzlich zu einer Art "leeren Leinwand, die von nichts als Chancen kündete", wie McAdam schreibt.

    Einer der vielen, neuen Regierungsbeamten, die Mitte der 1970er Jahre nach Ottawa ziehen, ist Simon, die zweite Hauptfigur des Romans, die schon auf den ersten Blick wie das exakte Gegenteil von Jerry wirkt. Nicht genug, dass Simon der reichen Oberschicht entstammt, gebildet und stets vornehm gekleidet ist. Simon steht darüber hinaus auch noch ebenjener Behörde vor,
    die Jerrys Bauanträge prüft. Im Roman entspinnt sich daraus ein symbolträchtiges Duell: auf der einen Seite Jerry, der Proletarier, ein Mann der Tat - auf der anderen Seite Simon, der bourgeoise Snob und ein Mann des geschliffenen Wortes:

    Simon war der Typ Mann, der Misstrauen einflößte...Die Frauen beobachteten ihn, wenn er einen Raum betrat. Auf Cocktailpartys war er reizend. Wenn er Publikum hatte, wusste er stets witzige Dinge zu sagen. Die anderen Männer nannten ihn einen Poseur. Für die Frauen machte ihn dieser Ruch, nicht vertrauenswürdig zu sein, sexy. Die Männer stellten gegen ihren Willen seinen Aufstieg sicher, weil er so viele Frauen anziehen konnte. Die Leute misstrauten Simon derart, dass sie fanden, er müsse, solle mächtig sein.

    Simon gehört zu jener Sorte Mann, die zwar stets wechselnde Freundinnen hat, aber keinen einzigen Freund besitzt. Jerry hingegen ist der Typ, der vor Kumpels gern den harten Mann markiert, aber vor Frauen aus Schüchternheit kein Wort herausbringt. Als jeweils prototypische Vertreter ihrer Schicht tragen beide Figuren bei McAdam stellenweise fast klischeehafte Züge. Doch so ungleich der Autor den Underdog Jerry und den Dandy Simon auch konstruiert hat: so ähnlich sind sich beide Gegenspieler doch gleichzeitig in ihrer männlichen Sucht nach dem großen Ding. Wie Jerry ist nämlich auch Simon vom beruflichen Ehrgeiz zerfressen. Wie Jerry möchte auch Simon in Ottawas Stadtbild sichtbare Spuren seines Wirkens hinterlassen. Und wie Jerry verliebt sich schließlich auch Simon rettungslos in eine launische, rätselhafte Frau, die zum großen Unglück für ihn wird.

    Der große Ruhm oder die große Liebe: das ist der Grundkonflikt, vor dem in McAdams Debütroman sowohl Jerry als auch Simon stehen. Ihr Traum vom Selfmademan hat seinen hohen Preis. Nicht gerade eine neue Erkenntnis. Doch eine, die in Form einer parallel verschalteten Konkurrenzgeschichte durchaus ihren Reiz böte. Leider aber zeigt sich der kanadische Debütautor
    viel zu stark vom rotzigen Bauarbeiter-Charme Jerrys beeindruckt, als dass man Ein großes Ding tatsächlich als Geschichte eines Zweikampfes wahrnehmen würde.

    Während Jerry nämlich schon bald seitenlang und ungestört vor sich hinplappern darf, erfährt man von Simons Sicht der Dinge nur allzu zu wenig. Das liegt auch an den unterschiedlichen Erzählperspektiven des Romans. Während Jerry den Leser im Ich-Monolog stets anspricht, wird Simon distanziert, aus auktorialer Perspektive geschildert. Von daher nimmt man als Leser schnell viel mehr Anteil an Jerrys Lebensbericht, zumal der deutlich länger und detaillierter ausfällt als Simons Chronik. Schon bald erzählt Jerry einem da etwa ausufernd von Kathleen, jener Trinkerin, die seine Kolonne einst mit Schinken-Broten versorgte und zur großen Schicksalsliebe für ihn wurde. McAdams Geschichte eines Männerduells wandelt sich auf diese Weise schnell zur Alkoholgetränkten Beziehungstragödie - und von dort aus später noch einmal weiter zu einem
    Vater-Sohn-Konfliktdrama.

    Und, als ob das inhaltlich nicht schon eine genügend wilde Mischung wäre, springt McAdam dann auch noch zusätzlich formal quer durch die Genres. Setzt inneren Monolog neben auktoriale Erzählung und umgangssprachlich-derbe Theaterdialoge neben poetische Song- und Gedichtzeilen. Das mag stilistisch als Ausdruck für einen postmodern aufgebrochenen Blick auf die Vergangenheit beabsichtigt sein. Auch lesen sich manche Passagen - wie etwa Jerrys erste Verabredung mit Kathleen und vor allem seine spätere Suche nach dem entlaufenen Sohn - durchaus anrührend. Dennoch zerfranst diese Parabel vom american dream in kanadischer Variante dann doch zwangsläufig vor lauter Stimmen und verschiedenen Handlungssträngen. Nach einer Weile weiß man als Leser nicht mehr so recht, von was für einem großen Ding McAdam nun eigentlich genau erzählen wollte: Vom großen Karrierestreben? Oder vom Unglück einer großen Liebe? Oder vielleicht doch lieber vom Konflikt, den ein Vater mit seinem eigenen Sohn haben kann - und der einen in Jerrys Fall am Ende wirklich mitnimmt und gleichzeitig versöhnt mit diesem etwas weitschweifigen Debütroman.

    Colin McAdam
    Ein großes Ding
    Wagenbach-Verlag, 375 S., EUR 22,50