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Terror und Rechtsextremismus

Nach dem Erstarken der NPD in Dresden, den Ausfällen im sächsischen Landtag und der Ankündigung von NPD und DVU, bei künftigen Wahlen zusammenzuarbeiten, scheint sich eine Koalition der Entschlossenen gefunden zu haben. Diese ist bereit, verschärfte Gesetze im Schnelldurchgang durchzusetzen. Doch Kritiker betrachten diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen.

Von Frank Capellan |
    "Der Bombenholocaust von Dresden steht ursächlich weder im Zusammenhang mit dem 1. September 1939 noch mit dem 30. Januar 1933."

    21. Januar 2005 - mit Entsetzen blickt die Nation in den sächsischen Landtag. Abgeordnete der NPD relativieren die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft, rechnen die Zahl der ermordeten Juden gegen die Toten der Bombennacht von Dresden auf. NPD-Fraktionschef Holger Apfel und seine rechten Gefolgsleute weigern sich, der Opfer des Holocaust zu gedenken, verlassen den Saal. Die Demokraten im Parlament sind überfordert, allein Alterspräsident Cornelius Weiss ergreift das Wort, fordert dazu auf, sich mit der Demagogie der Rechtsextremisten auseinanderzusetzen – aus Verantwortung gegenüber den Opfern:

    "Deshalb gilt es mit aller Entschiedenheit, jenen in den Arm zu fallen, die schon wieder nach der Brandfackel greifen – ausgerechnet hier in Dresden!"

    Von Hilflosigkeit zeugen dagegen auch die Reaktionen in Berlin. Als der erste Schock überwunden ist, kommt vor allem ein Vorschlag in die Diskussion: Ein zweiter Anlauf, die NPD zu verbieten, um sich auf diese Weise der braunen Krawallmacher zu entledigen:

    "Wenn wir noch einigermaßen demokratisches Selbstbewusstsein haben, dann müssen wir dem Treiben dieser Herren ein Ende machen!"

    Doch auch die Redefreiheit von Abgeordneten stellt Innenminister Otto Schily zur Diskussion, denn während draußen auf der Straße volksverhetzende Äußerungen unter Strafe stehen, darf in den Volksvertretungen fast alles ausgesprochen werden. Mittlerweile gibt es von Grün bis Schwarz allerdings erhebliche Bedenken, die Freiheit der Rede als Reaktion auf die Vorfälle im sächsischen Landtag zu beschneiden. Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Hans-Christian Ströbele:

    "Alle diese Bestimmungen – ob im Versammlungsrecht oder auch im Strafrecht, die die freie Meinungsäußerung einschränken oder gar die freie Meinungsäußerung von Abgeordneten im Parlament einschränken, bringen die Gefahr mit sich, dass in Zukunft andere Regierungen, andere Mehrheiten im Parlament auf die Idee kommen, Äußerungen, die das Pol Pot- Regime betreffen oder die den Stalinismus betreffen, dann auch unter Strafe zu stellen oder Versammlungen dazu zu verbieten."

    Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach hält die Äußerungen der NPD-Abgeordneten in Dresden zwar für so skandalös, dass eine Verfassungsänderung angebracht wäre, zweifelt aber an der politischen Durchsetzbarkeit. Mindestens genauso beunruhigend wie die Angst vor braunen Tönen in deutschen Parlamenten ist die Aussicht, dass Neonazis demnächst am neuen Holocaust-Mahnmal aufmarschieren könnten. Dass dies gesetzlich verboten wird und auch andere Orte, die an die Schrecken der NS-Diktatur erinnern, zu demonstrationsfreien Zonen erklärt werden, gilt deshalb als beschlossene Sache. Weitergehende Regelungen allerdings treffen auf Widerspruch. Gestritten wird um einen besonders geschichtsträchtigen Platz: Zum 60. Jahrestag des Kriegsendes wollen Rechtsextremisten das Erinnern an deutsche Opfer in den Mittelpunkt stellen, geplant ist ein Marsch durch das mit Blick auf die NS-Vergangenheit so symbolträchtige Brandenburger Tor:

    "Wir sollten alle Möglichkeiten ausschöpfen, um das zu verhindern, und deshalb bin ich ganz entschieden für eine Verschärfung des Versammlungsrechtes."

    Als Kahlgeschorene in Springerstiefeln im Jahr 2000 mit ihren Fahnen durch das Tor marschierten, da gingen die Bilder um die Welt. Damals war es dem Berliner Senat nicht gelungen, diese Demonstration zu verbieten, und seitdem entbrannte die Diskussion über eine Verschärfung des Versammlungsrechtes immer wieder aufs Neue. CDU-Innenexperte Bosbach fordert nun eine Handhabe des Gesetzgebers, Kundgebungen an diesem Ort ein für allemal zu unterbinden:

    "Wir möchten gerne dauerhaften Schutz haben bei Orten, die von herausragender nationaler und historischer Bedeutung sind, weil es die Neonazis ja gerade darauf anlegen, ihren Demonstrationen ein Gepräge zu geben, das an die Nazi-Diktatur erinnert."

    Aktionismus des Gesetzgebers, Ausdruck von Hilflosigkeit oder zwingende Notwendigkeit, gesetzliche Lücken zu schließen und Rechtsextremisten mit der – wie es immer wieder stereotyp heißt – "ganzen Härte des Gesetzes" entgegenzutreten? Jedenfalls scheint sich nach dem Erstarken der NPD zu einer Fast-10-Prozent-Partei in Dresden, nach den Ausfällen im sächsischen Landtag und der Ankündigung von NPD und DVU, bei künftigen Wahlen zusammenzuarbeiten, längst eine Koalition der Entschlossenen gefunden zu haben, die bereit ist, verschärfte Gesetze im Schnelldurchgang durchzupauken. Ernst Gottfried Mahrenholz, ehemaliger Verfassungsrichter, betrachtet dies durchaus mit gemischten Gefühlen:

    "Man muss sich klarmachen, dass die Demonstrationsfreiheit eine Grundfreiheit ist und dass Beschränkungen im Grunde etwas Grundrechtswidriges sind, und deswegen glaube ich nicht, dass man von vornherein das Brandenburger Tor in die Bannmeile des Reichstages einbeziehen kann, das ist ja offenbar geplant. Man muss sich auch darüber im klaren sein, was daraus an Konsequenzen folgt: Irgendwann fängt dann die NPD an, andere bestimmte und wichtige Orte wie die Siegessäule zum Aufmarschgebiet zu machen, dann müssten wir das dann vielleicht auch noch wieder einbeziehen. Also da muss man sich hüten davor, dass man plötzlich in die Rolle von jemandem gerät, mit dem Katz und Maus gespielt wird!"

    Die Politik steckt in der Zwickmühle, meint CDU-Fraktionsvize Bosbach, einerseits wächst der Druck zu handeln, andererseits mehren sich Warnungen vor Überreaktionen des Staates:

    "Es gibt Situationen, in denen kann ein Politiker machen, was er will, kritisiert wird er auf jeden Fall, also man kann nur Fehler machen, ganz egal, wie man sich verhält. Wenn Neonazis durch das Brandenburger Tor marschieren, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wir sagen, das muss eine Demokratie hinnehmen, dann bekommen wir allerdings sofort den Vorwurf, wir seien blauäugig, und wir würden die wachsende Gefahr des Rechtsradikalismus nicht sehen. Wenn wir gesetzliche Änderungen vorschlagen wie hier im Versammlungsrecht oder im Strafgesetzbuch, bekommen wir sofort den Vorwurf des gesetzgeberischen Aktionismus, und man wird uns die Frage stellen, warum wir Sondergesetze verabschieden würden. "

    Auch Sozialdemokraten wie der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz räumen ein, dass sie dem ständigen Ruf nach härteren Gesetzen etwa im Zusammenhang mit der Terrorabwehr durchaus kritisch gegenüber stehen:

    "Wir glauben alle miteinander, wir machen ein Gesetz, und schon verändert sich die gesellschaftliche Wirklichkeit. Ich glaube, das ist ein Trugschluss: Ein Gesetz ist zunächst einmal ein Angebot, aber was daraus wird, das weiß man erst einige Jahre später."

    Doch ist die Sicherheit der Bürger tatsächlich nur um den Preis reduzierter bürgerlicher Freiheiten zu gewährleisten? Diese Frage bestimmte die politische Diskussion in der Geschichte der Bundesrepublik immer wieder. Ob beim Streit um die Notstandsgesetze in den 60er Jahren, bei der Verschärfung der Strafprozessordnung infolge des RAF-Terrors in den 70ern oder vor wenigen Jahren bei der Reaktion auf den 11. September: Immer wieder steht zur Debatte, ob und inwieweit der Rechtsstaat seine eigenen Grundsätze preisgeben darf.

    "Wir sind voller Entsetzen über die terroristischen Anschläge in den Vereinigten Staaten."

    Schnell und entschlossen wie jetzt im Umgang mit Rechtsextremisten geht die Bundesregierung auch nach dem Angriff auf das World Trade Center vor. Mit zwei Anti-Terror-Paketen reagiert Bundesinnenminister Otto Schily im Herbst 2001 auf die Anschläge von New York und Washington – die Einschränkung bürgerlicher Rechte scheint angesichts der Bedrohung durch den Terrorismus ohne Alternative:

    "Es geht um den sehr deutlichen, harten, entschlossenen Einsatz repressiver Mittel!"

    Innerhalb weniger Wochen bringt Schily seine Gesetze durch den Bundestag: Mehr Möglichkeiten für die Experten des Bundeskriminalamtes, neue Befugnisse für Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz. Fahnder etwa erhalten ein umfassendes Auskunftsrecht gegenüber Banken, die Rasterfahndung wird erweitert: Jetzt können auch Sozialdaten abgefragt werden – Informationen von Sozial- und Jugendämtern, von Renten- und Krankenkassen. Im Zuge der Terrorbekämpfung wird auch darüber gestritten, welche biometrischen Daten künftig in den Pässen der Deutschen zu erscheinen haben – zumindest der Fingerabdruck soll bald dazugehören, bis heute hält Schily daran fest, weitere wie Iriserkennung oder Augenabstandsmessung folgen zu lassen:

    "Was ist denn gegen Biometrie einzuwenden? Wenn wir dafür sorgen wollen, dass niemand mit falschen Papieren reist und wir uns gegen den Terrorismus zur Wehr setzen wollen, dann müssen wir eine verlässliche Identifizierung haben. Heute haben wir moderne technische Methoden. Ich wüsste gar nicht, was dagegen einzuwenden ist."

    Kritiker warnen dagegen vor einer umfangreichen biometrischen Erfassung der Bevölkerung, Spuren an einem Tatort etwa könnten mit solchen Daten abgeglichen werden, mit der Folge, dass völlig Unbeteiligte ins Fadenkreuz der Ermittler geraten und sich plötzlich gezwungen sähen, ihre Unschuld zu beweisen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die wegen ihrer Kritik am Großen Lauschangriff zurückgetretene ehemalige FDP-Justizministerin im Kabinett Kohl, spricht bis heute von einer unzulässigen Beschränkung von Bürgerrechten:

    "Es gibt leider bis heute keinerlei Zwischenbilanz, wie diese Bestimmungen denn Anwendung gefunden haben, zum Beispiel den ganzen Bereich über biometrische Merkmale, die sind ja nie weiter in die Praxis umgesetzt worden, da führen wir ja heute erst die Diskussion. Ich halte insgesamt dieses Riesen-Gesetzespaket für wirklich eine Weichenstellung hin zu einer anderen Rechts- und Innenpolitik, die wirklich massiv in die Grundrecht sehr, sehr vieler Bürger eingreift."

    Als nicht zielführender "Otto-Katalog" wird Schilys Anti-Terror-Paket deshalb häufig verspottet. Im Zusammenhang mit der Visa-Affaire wird ihm gerade erst wieder vorgehalten, bei großzügigen Einwanderungsregelungen beide Augen zugedrückt, die Freiheit der eigenen Bürger aber unzulässig eingeschränkt zu haben. Der FDP-Abgeordnete Dirk Niebel:

    "Die rot-grüne Bundesregierung schränkt die Bürgerrechte der Bevölkerung im Inland ein, und der Außenminister geht frei, fromm und fröhlich dahin und öffnet die Grenzen. Während der Innenminister Law-and-Order betreibt, macht der Außenminister nach innen Multi-Kulti, und das funktioniert einfach nicht in dieser Gesellschaft."

    Der Innenminister selbst, der heute vielen als kompromissloser Hardliner in der rot-grünen Koalition erscheint, war keineswegs immer von der Richtigkeit gesetzlicher Regelungen überzeugt. 1968 war es Otto Schily, der gegen die von der Großen Koalition formulierten Notstandsgesetze kämpfte. Vor allem der mögliche Einsatz der Bundeswehr bei inneren Unruhen sorgte für Protest, besonders umstritten waren zudem Einschränkungen von Grundrechten. So ermöglicht die Notstandsgesetzgebung im Extremfall eine Aufhebung des in Artikel 10 Grundgesetz garantierten Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses – immer dann, wenn dies – so die Formulierung des Gesetzes – "zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes" erforderlich sein sollte.

    "SPD und CDU: Lasst das Grundgesetz in Ruh!"

    Die Studentenbewegung hatte die Notstandsparagraphen vehement bekämpft, seit der christdemokratische Innenminister Gerhard Schröder Ende der 50er Jahre einen ersten Anlauf machte.

    "Unser Grundgesetz hat für den Notstandsfall keine ausreichenden Bestimmungen getroffen: Vorsorge tut Not!"

    Intellektuelle schließen sich den Protesten an, erinnern warnend an den Notstandsartikel der Weimarer Verfassung, der zum Sargnagel der Demokratie wurde: Tatsächlich konnte Hitler mit der Notverordnung vom 28. Februar 1933 sämtliche Grundrechte außer Kraft setzen und damit die totale Machtergreifung erst möglich machen. "Das darf sich niemals wiederholen können!" fordert der Schriftsteller Heinrich Böll:

    "Das Bösartige an dieser Gesetzesvorlage ist außerdem, dass die Öffentlichkeit fast gar nicht informiert wurde."

    Weil seit dem Gang in die Große Koalition auch die Sozialdemokraten erkennen ließen, dass sie eine – wenn auch entschärfte – Notstandsgesetzgebung mittragen würden, zeigen auch die Gewerkschaften deutlichen Widerstand:

    "Die Notstandsgesetzgebung bedeutet eine Gefahr für unsere demokratische Ordnung und damit für die Weiterentwicklung unserer Demokratie!"

    So der damalige IG-Metall-Vorsitzende Otto Brenner am 11. Mai 1968 auf einer Kundgebung des DGB gegen die Notstandsgesetze. Die Gewerkschaften sorgten sich dabei vor allem um Rechte der Arbeitnehmer. Bereits zwei Jahre zuvor hatte der DGB-Bundeskongress alles abgelehnt, was – so der Beschluss – "die demokratischen Grundrechte einschränkt und besonders das Versammlungs-, das Koalitions- und das Streikrecht der Arbeitnehmer und ihrer gewerkschaftlichen Organisationen bedroht". Willy Brandt, Außenminister im Kabinett Kiesinger, müht sich am 30. Mai 1968 anlässlich der Verabschiedung der Gesetze im Bundestag, solche Bedenken zu zerstreuen:

    "Wer einmal mit dem Notstand spielen sollte, um die Freiheit einzuschränken, wird meine Freunde und mich auf den Barrikaden zur Verteidigung der Demokratie finden, und dies ist ganz wörtlich gemeint!"

    Zu den energischen Befürwortern der Notstandsgesetze gehört damals auch Christdemokrat Ernst Benda, Innenminister im Kabinett Kiesinger. Später erlebt er im Zusammenhang mit dem RAF-Terror eine andere Form des staatlichen Notstandes: Als Präsident des Bundesverfassungsgerichtes muss Benda während der Schleyer-Entführung darüber urteilen, mit welchen Mitteln der Rechtsstaat terroristischer Erpressung begegnen darf. Benda entscheidet für die Erstürmung der entführten Lufthansa-Maschine in Mogadischu und gegen das Leben des verschleppten Arbeitgeberpräsidenten. Otto Schily ist später einer der Verteidiger der Terroristen, und als solcher hat er auch mit den 1975/76 beschlossenen Änderungen von Strafprozessordnung und Strafrecht zu tun: Kontaktsperre für inhaftierte Terroristen, Überwachung des Schriftverkehrs zwischen Anwälten und mutmaßlichen Terroristen, Bestrafung extremistischer Meinungsäußerungen.

    Als Wahlverteidiger des RAF-Terroristen Baader bekommt der heutige Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele die Möglichkeiten des Gesetzes seinerzeit am eigenen Leib zu spüren: Ströbele wird vom Baader-Meinhof-Prozess ausgeschlossen, 1975 kurzzeitig verhaftet, schließlich 1982 wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt - der Vorwurf: Als Verteidiger soll er sich am Informationsaustausch der angeklagten Terroristen beteiligt haben. Heute gehört der grüne Fraktionsvize zu denjenigen, die besonders laut vor Schnellschüssen bei Gesetzesänderungen warnen:

    "Ich fühle mich vor allen Dingen erinnert an die 70er Jahre, als unter der Losung "Wir müssen den Terrorismus bekämpfen" eine ganze Reihe von wichtigen strafprozessualen Bürgerrechten eingeschränkt worden sind, und deshalb bin ich einer von denen, die bei allem Verständnis dafür, dass es einen Kampf gegen den Terrorismus geben muss, dass wir dieses Neonazi-Unwesen nicht einfach agieren lassen können, aber, dass ich sehr zu Vorsicht mahne und ganz genau zu gucken, ist das wirklich erforderlich, oder ist es ein Gesetz, was zur Beruhigung der Gemüter dienen soll, und davon halte ich gar nichts!"

    Anders als Ströbele bekennt der Ex-Grüne Schily heute, seine frühe Sorge um die Bürgerrechte sei unbegründet gewesen. 1968 habe er das Ende der Demokratie befürchtet, doch sein Kampf gegen die Notstandsgesetze sei von "übertriebenen Angstphantasien" begleitet gewesen.

    "Ich bekenne offen, unsere Opposition gegen die Notstandsgesetze war Unsinn. Das habe ich damals völlig falsch eingeschätzt – ich habe mich geirrt, kann ja passieren!"

    Auch Ströbele räumt inzwischen einen gewissen Sinneswandel ein, nimmt aber für sich in Anspruch, den alten Grundsätzen weitgehend treu geblieben zu sein:

    "Ich sehe ganz kritisch bei mir auch, dass ich heute Sachen mittrage, die ich mir vor fünf oder zehn oder zwanzig Jahren nicht vorstellen konnte, aber ich sehe natürlich auch eine veränderte Situation durch den Terrorismus, und ich sehe auch dieses Neonazi-Unwesen als besonders gefährlich an. Trotzdem habe ich es bisher erreicht, dass wir bei allen verschärfenden Maßnahmen soviel rechtsstaatliche Sicherheiten eingezogen haben, dass das, was manche befürchtet haben, dass dadurch der Überwachungsstaat gefördert werden kann, dass das nicht eingetreten ist und auch nicht eintreten wird."

    Mit gemischten Gefühlen begleitet Ströbele deshalb auch den aktuellen Versuch, mit dem Gesetz auf rechtsextreme Umtriebe zu reagieren. Im Grunde hält er eine Verschärfung für unnötig, ein NPD-Aufmarsch am Brandenburger Tor zum 8.Mai lässt sich auch nach geltendem Recht schon verbieten, davon ist er überzeugt und steht damit in seltener Eintracht zu den Liberalen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

    "Man kann auch eine Versammlung vom Tag her verbieten, wenn ganz offenkundig ist, dass ein gewisser Gedenktag genutzt wird, um letztendlich doch das Ansehen von einer großen Anzahl von Opfern herabzuwürdigen."

    Dass die Verschärfung des Versammlungsrechtes dennoch beschlossen wird, daran besteht kein Zweifel: Rot-Grün und Union sind in diesem Punkt einig. Strittig ist allerdings weiterhin, inwieweit es auch zu einer entsprechenden Verschärfung des Strafrechtes kommen wird. Nach einem ersten Entwurf von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries sollte generell mit Freiheitsentzug bis zu drei Jahren bestraft werden, wer künftig die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft verherrlicht oder verharmlost:

    "Wir sind der Auffassung, dass wir es den Opfern des verbrecherischen NS-Regimes schuldig sind, dass wir die Möglichkeiten, die das Strafrecht lässt, auch ausschöpfen!"

    Dieses Vorhaben ging jedoch den Fraktionen von SPD und Grünen zu weit. Ende Februar entschärften sie den Zypries-Entwurf, Volksverhetzung soll nun bestraft werden, wenn Menschenrechtsverletzungen unter der NS-Herrschaft gebilligt oder verherrlicht werden:

    "Also, wenn man etwa sagt, "die Tötung, die Verfolgung von Homosexuellen durch die Nazis war doch vielleicht gar nicht so falsch", dann soll das in Zukunft strafbar sein."

    Ex-Verfassungsrichter Mahrenholz glaubt allerdings nicht, dass eine solche Regelung praktikabel wäre:

    "Es ist erst einmal gesetzlich schon problematisch, der Richter muss aus bestimmten Äußerungen wertend folgern, dies ist eine Verherrlichung, oder dies ist eine Verharmlosung. Ich habe eher Bedenken, das klingt sehr gut, aber das Gegenteil von gut ist gut gemeint."

    Christdemokrat Bosbach deshalb nun will dem Vorwurf entgegentreten, ein mit heißer Nadel gestricktes Gesetz im Schnelldurchgang durch den Bundestag pauken zu wollen. Läuft alles wie geplant, wird der Bundesrat am 18. März einem verschärften Versammlungsrecht zustimmen. Dann hätte der Gesetzgeber in weniger als zwei Monaten eine seit Jahren diskutierte Änderung durchgebracht – eine schnelle Reaktion auf die Ausfälle von Neonazis im sächsischen Landtag. Ob sie übereilt war, darüber dürfte weiter diskutiert werden.