Die Entwicklung der Welt seit 2012 sei ungewöhnlich. Die terroristischen Anschläge seien immer näher gekommen. "Darauf muss die Politik auch reagieren können." Bei entsprechenden Lagen sei ein Bundeswehrseinsatz im Inneren richtig. Caffier betonte, die Soldaten hätten ähnliche Qualifikationen wie Polizisten und zusätzliches technisches Gerät. Er mahnte aber eine Grundgesetzänderung an, um Diskussionen über die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes im Inneren zu beenden.
Zu möglichen Erwägungen, eine Reservisten-Armee aufzubauen, sagte der Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns, von dieser Idee halte er nicht viel. Die dafür notwendigen Fertigkeiten seien nicht vorhanden.
Das Interview in voller Länge:
Peter Kapern: Am Freitagabend, als Angst und Chaos in München herrschten und noch niemand wusste, ob das, was dort ablief, ein Amoklauf oder ein Terrorangriff war, da versetzte Generalinspekteur Volker Wieker im Auftrag der Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine in München stationierte Feldjägereinheit in Bereitschaft. Was genau die Militärpolizisten hätten tun sollen, wenn aus der Bereitschaft ein Einsatz geworden wäre, wir wissen es nicht. Und weil die Militärpolizei nicht zum Einsatz kam, hat auch niemand davon erfahren, dass sie sich in Bereitschaft hielt, bis Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Kollegen von der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" darüber unterrichtete, und jetzt steht das Thema Bundeswehreinsatz im Inneren wieder auf der Agenda ganz oben. Bei uns am Telefon ist nun Lorenz Caffier von der CDU, der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern. Guten Morgen, Herr Caffier.
Lorenz Caffier: Schönen guten Morgen.
Kapern: Herr Caffier, ich will den Teufel ja nicht an die Wand malen, aber doch mal ein Gedankenspiel anstellen. Terroranschlag in Schwerin: Die Panik ist groß, das Ausmaß noch unübersichtlich, und dann ruft Sie die Verteidigungsministerin an, um Ihnen ein Bataillon Bundeswehrsoldaten anzubieten. Greifen Sie zu, nehmen Sie das Angebot an?
Caffier: Aber selbstverständlich! In der Situation wie in München, wo die Lage noch vollkommen unklar ist, war es auch vollkommen richtig, was die Verteidigungsministerin getan hat, was die Bereitschaft von Feldjägern beziehungsweise von Sanitätern betrifft. Denn Sie werden keinem Menschen in Deutschland erklären können, wieso wir in einer Notlage nicht in der Lage sind, auch Bundeswehr im Inneren zum Einsatz zu bringen, zur Unterstützung, zur Hilfeleistung. Das ist eine Selbstverständlichkeit für mich. Insofern bin ich über die Diskussion sehr erstaunt, zumal gerade erst im Weißbuch die SPD und die CDU sich vereinbart haben auf den Kompromiss, dass Bundeswehr bei größeren Anschlägen auch ohne Grundgesetzänderung im Inneren eingesetzt werden kann.
Kapern: Aber man könnte den Nichteinsatz der Bundeswehr den Menschen im Lande vielleicht erläutern anhand eines Blicks in das Grundgesetz, wo ja doch extrem enge Grenzen gezogen werden, auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Und ob die in München erfüllt waren, oder in Schwerin erfüllt sein würden in unserem theoretischen Fall, ist ja zunächst einmal noch gar nicht absehbar.
Caffier: Das ist eine juristische Betrachtung. Ich kann Ihnen nur ganz deutlich sagen, dass wenn man in die Notlage kommt, von denen hoffentlich alle Länder verschont bleiben, dann wird man auch diese Möglichkeit nutzen. Denn es heißt ja auch, dass in bestimmten Situationen die Unterstützung angefordert werden kann. Und schauen Sie: Feldjäger zum Beispiel, die haben eine Grundlagenausbildung der Polizei. Die haben nur nicht die einzelnen SUGs der Länder als Ausbildungsinhalte, aber sie haben ganz viele Fähigkeiten und Fertigkeiten, die auch die Polizisten der Länder in ihrer Ausbildung haben. Wieso sollen wir so ein Personal nicht mit zur Unterstützung zum Einsatz bringen? Das werden Sie den Menschen nicht nahebringen können.
"Wenn es eine solche Notsituation gibt, muss Politik entscheiden"
Kapern: Vielleicht, weil das Bundesverfassungsgericht 2012 entschieden hat, dass "eine ungewöhnliche Ausnahmesituation herrschen müsse katastrophischen Ausmaßes."
Caffier: Ja. Wir haben auch eine ungewöhnliche Entwicklung seit 2012 in der Welt, in Europa und auch in Deutschland. Die terroristischen Anschläge sind immer näher gekommen. Deutschland ist mit im Fokus dieser Gesamtentwicklung und darauf muss Politik auch reagieren können und kann nicht grundsätzlich nur diskutieren. Wenn es eine solche Notsituation gibt, muss Politik entscheiden, und ich halte die Entscheidung in der Form so für richtig.
Kapern: Im Zweifel würden Sie sich über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinwegsetzen?
Caffier: Im Zweifel würde ich die Amtshilfeleistung nutzen, die auch grundgesetzlich erst mal verbrieft ist, und dementsprechend dann auch die Unterstützungsleistung, die mir zur Verfügung gestellt wird, nutzen.
Kapern: Aber das sind ja erst mal unterschiedliche Dinge. Die Amtshilfeleistung, da geht es ja wirklich nur um Handreichungen wie Zelte, Sanitätsdienste und dergleichen. Mehr ja nicht. Da geht es noch nicht um den Einsatz der Bundeswehr als bewaffnete Kraft im Inland.
Caffier: Ja. Wenn Sie aber Unterstützungskräfte bei solchen Großlagen im Zweifelsfall brauchen, dann werden Sie auch auf diese Möglichkeit zurückgreifen.
Kapern: Auf welche? Auf die bewaffnete?
Caffier: Es bleibt ja im Unterstellungsverhältnis immer in der Länderhoheit. Deswegen halte ich es auch für ganz wichtig im Übrigen, dass Polizei und Bundeswehr auch zusammen Übungen durchführen, um solche Möglichkeiten überhaupt auch geübt zu haben, wenn denn der hoffentlich nie eintretende Ernstfall eintreten würde.
Kapern: Noch mal nachgefragt. Sie glauben, dass der Begriff der Amtshilfe auch den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr in solchen Situationen erlaubt?
Caffier: Im Zweifelsfall müssen wir bei Großlagen - und das steht ja ganz klar auch in dem Grundgesetzurteil von 2012, dass es bei einer solchen Großlage auch die Möglichkeit der Unterstützungsleistung durch die Bundeswehr gibt beim Einsatz im Inneren.
Kapern: Aber was ist denn jetzt, noch mal nachgefragt, eine Großlage? Wie viele Tote, wie viele Attentäter muss es dafür geben, dass sozusagen Sie von einer Großlage sprechen und dann das Angebot eines Bundeswehreinsatzes annehmen würden?
Caffier: Wenn ich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk betrachte am Wochenende in München, dann ist eine Großlage eingetreten, denn der hat ununterbrochen live die gesamte Situation berichtet, obwohl es gar keine Änderung der Situation gegeben hat. Dann wäre in dem Fall zum Beispiel eine Großlage eingetreten.
Kapern: Sie sagen, wenn viel im Fernsehen zu sehen ist, dann rufe ich die Bundeswehr?
Caffier: Nein, das sage ich natürlich nicht. Aber die Bewertung einer Großlage ist nicht nur abhängig von dem, wie viele Tote es bereits gibt, sondern von der Gesamtsituation. Deswegen glaube ich zum Beispiel, in München hätte, wenn es nicht die Aufklärung in der Form gegeben hätte, durchaus die Möglichkeit auch aufgrund der Unsicherheit bestanden, die Situation als Großlage zu betrachten.
"Eine Großlage ist ganz klar die Situation in München aus meiner Sicht"
Kapern: Aber, Herr Caffier, bitte sehen Sie es mir nach. Ich habe einfach noch nicht so recht verstanden, was genau eine Großlage ist. Vielleicht können wir das noch mal etwas genauer herausarbeiten.
Caffier: Eine Großlage ist ganz klar die Situation in München aus meiner Sicht, aus meiner Betrachtung nach derzeitigem Kenntnisstand - wir sind ja auch durchaus bei der Aufarbeitung der Gesamtsituation -, in München in dem Fall eingetreten. Sie ist aber grundsätzlich aufgeklärt worden dadurch, dass die Situation durch die Feststellung des Täters auch dementsprechend dann eingetreten ist.
Kapern: Die Großlage war ja nach meiner Erinnerung in München so, dass eigentlich viele, viele Stunden lang überhaupt niemand wusste, was wirklich los war. Das ist dann schon die Großlage, bei der die Bundeswehr dann im Inland losmarschieren soll?
Caffier: Es gab ja dementsprechend eine Situation, wo es eine riesige Unsicherheit innerhalb der Bevölkerung gegeben hat, wo es auch einen riesigen Personaleinsatz von Polizei gegeben hat, und dementsprechend kann man hier durchaus von einer Großlage sprechen, ja.
Caffier befürwortet eine Grundgesetzänderung
Kapern: Aber der Bundesinnenminister hat ja nun sich massiv darüber beschwert, dass diese Unsicherheit, die Sie gerade angesprochen haben, vor allem befeuert war durch Gerüchte und Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken. So was würde dann ausreichen, um die Bundeswehr aktiv werden zu lassen?
Caffier: Nein, das reicht natürlich nicht aus. Wissen Sie, Sie arbeiten jetzt mit Unterstellungen. Sie müssen die Gesamtsituation betrachten und in der Gesamtsituation spielt natürlich auch gerade diese schreckliche Fehlinformation innerhalb des Netzes, dass es überhaupt Menschen gibt, die so was tun, auch eine Rolle und muss in Gesamtheit mit berücksichtigt werden.
Kapern: Aber gleichwohl bleibt ja festzuhalten, dass bei aller Unsicherheit, die aufgrund von Falschmeldungen zustande gekommen ist, es am Ende sich als Einzeltäter herausgestellt hat, der einen Amoklauf verübt hat. Was wäre denn gewesen, wenn dann die Bundeswehr schon zum Einsatz gekommen wäre?
Caffier: Gleichwohl bleibt auch, dass die Bundeswehr im Inneren nicht zum Einsatz gekommen ist. Unterm Strich halte ich, um die Situation, um die Diskussion, die wir führen, auch klarzustellen, eine Grundgesetzänderung für grundsätzlich die richtigste Situation. Aber da ist die Aussicht auf eine Mehrheit wohl nicht groß.
Kapern: Aber Sie haben doch eben gesagt, dass die Rechtsgrundlage schon ausreichen würde, um die Bundeswehr im Inneren einzusetzen.
Caffier: Ja, natürlich! Aber Sie führen ja gerade eine Diskussion darüber, wann wie wo was, und deswegen, um nicht in so einer Situation nachher nur aus der Rechtfertigung heraus zu stehen, glaube ich, ist es zum Schluss am günstigsten für alle Beteiligten, auch für die, die so eine Entscheidung treffen, dass eine Grundgesetzänderung stattfindet.
Kapern: Wie würde das dann eigentlich praktisch aussehen? Könnten dann ein Verteidigungsminister oder eine Verteidigungsministerin und ein Landesinnenminister den Einsatz der Bundeswehr so untereinander am Telefon abmachen?
Caffier: Solche Fragen, wissen Sie, das muss ich jetzt, glaube ich, nicht beantworten.
Kapern: Warum? Sie sind doch der Innenminister, der im Zweifelsfalle den Anruf annehmen würde.
Caffier: Sie tun die Unterstützungsleistung anfordern und dementsprechend wird der Einsatz in dem jeweiligen Land durch die entsprechenden Kräfte, durch die Polizeiführung geleitet. Es wird ja nicht durch den Minister oder nicht durch die Verteidigungsministerin geleitet.
"Es gibt in der Bundeswehr Ausbildungseinheiten, auch Fähigkeiten und Fertigkeiten, die denen entsprechen, die wir in der Polizei haben"
Kapern: Nun haben wir ja eben gehört, wie entschieden Politiker der SPD gegen den Einsatz der Bundeswehr im Inland sind und wie auch Polizeigewerkschafter dagegen argumentieren. Sind das Argumente, die Sie nicht für stichhaltig halten, beispielsweise, dass Bundeswehrsoldaten auf einen ganz anderen Einsatz von Schusswaffen geeicht und ausgebildet sind als Polizisten?
Caffier: Das sind Argumente, die man natürlich berücksichtigt, und es sind auch Argumente, die richtig sind. Es gibt aber in der Bundeswehr auch Ausbildungseinheiten, auch Fähigkeiten und Fertigkeiten, die denen entsprechen, die wir in der Polizei haben, beziehungsweise besitzt die Bundeswehr auch technisches Gerät, was in den Polizeien nicht vorhanden ist und was dementsprechend dann mit zum Einsatz kommen kann. Das sind alles Fragen, die sind einfach je nach Situation zu betrachten. Und natürlich muss man sich mit den Argumenten auseinandersetzen. Das tue ich auch. Und wir reden ja nicht darüber, wie Herr Kahrs gerade ausführte, was den Einsatz von Bundeswehr bei Kampfeinsätzen betrifft.
Kapern: Nun macht heute Morgen, Herr Caffier, die Meldung die Runde, die Bundesregierung überlege, eine sogenannte Reservistenarmee einzurichten, die dann in solchen Fällen ausrücken und helfen kann. Was halten Sie von der Idee?
Caffier: Von der Idee halte ich nicht viel.
Kapern: Warum nicht?
Caffier: Weil ich grundsätzlich der Auffassung bin, dass eine Reservistenarmee, so wie das derzeit ja als angedachtes Gerücht durch die Gegend geistert, bestimmte Voraussetzungen, Ausbildungsinhalte und auch Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbringen muss, die in so einer Reservistentruppe ober Reservisten-Polizeieinheit überhaupt nicht vorhanden wären.
Kapern: Lorenz Caffier von der CDU, der Innenminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern, heute Morgen im Deutschlandfunk zum Thema, soll die Bundeswehr auch im Inland eingesetzt werden. Herr Caffier, danke, dass Sie Zeit für uns hatten. Danke für das Gespräch.
Caffier: Alles klar! Ebenfalls!
Kapern: Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.