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Testphase beginnt

Eigentlich sollte schon zum 1.Januar 2006 jeder Deutsche eine elektronische Gesundheitskarte bekommen. So hat es vor Jahren der Gesetzgeber beschlossen. Die technischen Probleme - vom Datenschutz ganz zu schweigen - waren jedoch zu gewaltig. Trotzdem ist der 1.Januar ein wichtiges Datum: Kurz vor Weihnachten hat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt offiziell alle Regionen benannt, in denen ab April die Gesundheitskarte getestet wird.

Von Mirko Smiljanic | 03.01.2006
    "Schönen guten Tag, was führt Sie zu mir? "

    "Ja, ich habe seit einiger Zeit Probleme mit dem Knie, ich bin vor ein paar Monaten gefallen auf beide Knie und das rechte tut immer noch weh und mein Hausarzt kriegt das einfach nicht in den Griff und hat mir jetzt eine Überweisung geschrieben."

    "Sind denn schon Untersuchungen gelaufen? Sind Sie schon mal behandelt worden oder hat der Kollege einfach nur gesagt, wir warten mal ab, was passiert?"

    "Ja, ich bin irgend wann mal geröntgt worden, das ist aber kurz nach dem Unfall gewesen, ich bin umgezogen, ich weiß einfach nicht mehr wo die Röntgenbilder sind und die anderen Unterlagen sind einfach verschwunden, dummerweise."

    "Ja, das ist ja schade, das läuft sicherlich darauf hinaus, dass wir einige dieser Untersuchungen noch einmal machen müssen, damit wir auf den aktuellsten Stand sind und genau sagen können, was jetzt los ist mit Ihrem Knie…"

    Dr. Jörn Heidemann, Facharzt für Chirurgie und Handchirurgie, im Gespräch mit einer Patientin. Seine Praxis ist relativ weit digitalisiert, Patientendaten und Untersuchungsergebnisse schreibt seine Assistentin direkt in den Computer und die Abrechnung mit den Krankenkassen läuft seit langem schon papierlos. Im Vergleich zu den Möglichkeiten mit der Gesundheitskarte, ist dies aber nur ein müdes Vorspiel.

    "Selbstverständlich würde das helfen! Ich kann Vergleichaufnahmen hervorziehen, ich kann Blutwerte mir anschauen, kann es vielleicht eine rheumatische Erkrankung sein, die in diesem Fall bei dieser Patientin die Probleme macht? "

    Und so soll das Verfahren funktionieren: Der Arzt bekommt einen Heilberufeausweis, der Patient eine Gesundheitskarte. Beide Karten haben einen Mikroprozessor, auf dem persönliche Informationen des Arztes beziehungsweise des Patienten gespeichert sind. Die wirklich wichtigen Daten – Röntgenbilder, Arztbriefe, Untersuchungsergebnisse und so weiter – sind in externen Rechenzentren abgelegt. Mit beiden Karten und einer Geheimzahl, die nur der Patient kennt, kann der Arzt nun die elektronische Krankenakte auf seinen Computer zaubern. Was aber noch Zukunftsmusik ist, zunächst testet ein Berliner Computerlabor die Technik bis Ende März auf Herz und Nieren. Anschließend startet dann die eigentliche Testphase in acht Regionen an jeweils 10.000 Patienten: Flensburg, Bremen und Wolfsburg sind dabei, aber auch Bochum/Essen, Zittau, Trier, Heilbronn und Ingolstadt. Wobei jede Region unterschiedliche Details der Gesundheitskarte unter die Lupe nimmt,...

    "…weil es macht ja keinen Sinn aufgrund der Ressourcen, dass in allen acht Regionen das gleiche getestet wird, also man wird das E-Rezept schwerpunktmäßig testen, man wird andere Komponenten in anderen Bereich schwerpunktmäßig testen,…"

    …sagt Jürgen Sembritzki, Geschäftsführer des Zentrums für Telematik im Gesundheitswesen, Krefeld. Getestet werden unter anderem die Kommunikation zwischen Arzt und Rechenzentrum und natürlich die Datensicherheit. Die Teilnahme ist freiwillig – trotzdem suchen sich die Organisatoren ihre Patienten gezielt aus.

    "Man kann die ja nicht nach dem Zufallsprinzip auswählen, weil man dann ja nicht weiß beispielsweise beim E-Rezept, in welche Apotheke die gehen. Deshalb haben wir in der Modellregion Bochum/Essen zunächst mal Ärzte gefragt, ob sie bereit sind mitzumachen, wir haben uns die Patienten dieser Ärzte dann angeguckt, haben ausgewertet welche Rezepte sie in welche Apotheken bringen und haben jetzt auch 29 Apotheken die dort mitmachen, das sind Versicherte bestimmter Krankenkassen und die werden jetzt gezielt angesprochen. "

    Besondere technische Begabungen muss niemand mitbringen – sagen die Organisatoren. Trotzdem werden Hürden und Probleme auftauchen: Was passiert, wenn die Karte verloren geht? Was, wenn ich die Geheimzahl vergessen habe? Kann sich ein Fremder mit meiner Karte behandeln lassen? Abgesehen von diesen eher technisch-organisatorischen Fragen, sollen die Testpatienten aber auch ihre persönlichen Erfahrungen schildern.

    "Das wird über wissenschaftliche Befragungen gehen, aber das ist ja nur eine Möglichkeit. Beispielsweise in der Modellregion Bochum/Essen haben wir ein spezielles Projektbüro, wo man anrufen kann, wir arbeiten sehr eng zusammen mit den Verbraucherverbänden, wo sich auch Versicherte sich melden werden und das wird alles gesammelt und ausgewertet. "

    Ende 2006 wird die Phase abgeschlossen, dann beginnt in mindestens zwei Regionen ein Massentest: Statt 10.000, werden 100.000 Karten ausgegeben. Geht auch dieser Test glatt über die Bühne, verschicken die Krankenkassen ab Mitte 2007 nach und nach 82 Millionen Gesundheitskarten. Ein logistischer Kraftakt sondergleichen, aber einer, der immerhin dafür sorgt,…

    "…dass ich meine Daten bei mir tragen kann und ich sie im Fall der Fälle dann auch zur Hand habe und ich denke, dass ist für jeden persönlich, wenn er von einer Krankheit betroffen ist, ein nicht zu vernachlässigender Vorteil. "

    Auf zumindest geteilte Zustimmung wird allerdings dieser Aspekt stoßen. Der Blick in die elektronische Krankenakte ist immer auch ein Blick in die Arbeit anderer Kollegen – und der Profi erkennt rasch, ob und wo geschludert wurde. Für Patienten kann das nur von Vorteil sein, zumal demnächst weit mehr Menschen die persönliche Krankgeschichte lesen werden als bisher. Ein seltsames Gefühl?

    " Seltsam ist vielleicht die Unsicherheit, wer noch Rückgriff auf diese Daten haben kann, das ist sicherlich so, und da muss gewährleistet sein, finde ich als Patientin, dass nur autorisierte Personen, sprich, die Ärzte, die auch der Schweigepflicht unterliegen, dass nur diese auf diese Daten zurückgreifen können. "