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Teufelskreis der US-Waldbrände
Dürre, Schlammlawinen, verseuchtes Trinkwasser

Nach wie vor wüten in den USA Waldbrände, immer wieder zerstören sie Häuser. Unterschätzt werden zudem häufig die Folgen der Feuer. Für die betroffenen Regionen entstehen zahlreiche weitere Schäden und manchmal werden sie zum Bestandteil eines sich selbst verstärkenden Teufelskreises.

Von Heike Wipperfürth | 30.11.2020
USA, Vacaville: Bäume brennen an einem Hang bei einem Waldbrand.
Das Feuer beschädigt auch Hydranten, Wasseraufbereitungsanlagen, Wasserspeicher und unterirdische Wasserleitungen aus Kunststoff. So können Chemikalien ins Trinkwasser gelangen. (AP/Noah Berger)
Häuser, Autos, Wasserleitungen – alles verbrannt. Und dann erhielten die Einwohner des Städtchens Boulder Creek in Kalifornien noch eine Schreckensnachricht: In ihrem Trinkwasser wurde giftiges Benzol entdeckt. Ein Beiprodukt der verheerenden Flächenbrände im Westen der USA, die bis jetzt 3,2 Millionen Hektar Wald- und Wohnfläche in Schutt und Asche legten, sagt Andrew Whelton, Professor für Umwelt- und Bauingenieurwesen an der Purdue Universität in Indiana.
"Wenn die Waldfeuer auf Wohngegenden übergreifen, beschädigen sie die Infrastruktur. Hydranten, Wasseraufbereitungsanlagen, Wasserspeicher und unterirdische Wasserleitungen aus Kunststoff, die besonders anfällig für Brandschäden sind. Selbst wenn die Flammen noch mehrere Meter entfernt sind, kann die Hitze den Kunststoff zersetzen. So hat die Wasserverseuchung durch Waldfeuer in einigen Gegenden schwerwiegende Folgen. "
Benzol kann viele Schäden hervorrufen
Das Problem wurde ignoriert – bis 2017. Nach einer unvorstellbaren Feuerwalze wurde das
Trinkwasser des Städtchens Santa Rosa im Weingebiet Sonoma zum ersten Mal auf Benzol untersucht – aber nur, weil sich ein Einwohner über seinen stechenden Geruch beschwert hatte. Das Ergebnis: Viel zu hohe Werte von Benzol und anderen toxischen Schadstoffen wie Naphthalin und Methylchlorid. Ein Jahr später wurde die Chemikalie auch im Wasser der kalifornischen Kleinstadt Paradise entdeckt, nachdem dort 19.000 Gebäude in einem Feuersturm verbrannten.
Feuerwehrmänner in Santa Clarita blicken auf ein Tal hinab, in dem die Brände noch wüten.
Kalifornien - Vermeidbare Feuerkatastrophen
In Kalifornien wüten verheerende Feuer. Neben steigenden Temperaturen und zunehmenden Dürren gibt es auch eine weitere Ursache: die veraltete Infrastruktur der regionalen, privaten Energieanbieter. Denn wenn marode Strommasten umstürzen, lösen sie häufig Feuer aus.
Benzol kann viele Schäden hervorrufen, im schlimmsten Fall Atemlähmung oder Leukämie auslösen. Bewohner der betroffenen Orte wurden zwar aufgefordert, kein Leitungswasser zu trinken oder damit zu kochen – ein Schutz sei das aber nicht, warnt Andrew Whelton und erklärt die Wirkung dieser Kohlenwasserstoffe.
"Es handelt sich um sogenannte flüchtige Chemikalien. Sie verdunsten, wenn man warm duscht. Und wenn man sie dann einatmet, können sie zum Gesundheitsrisiko werden".
Noch rätseln Wissenschaftler über die Ursachen, vertreten aber zwei Thesen: Entweder saugten drucklose Wassersysteme benzolhaltigen Rauch und andere Schadstoffe aus der Luft in die Trinkwasserrohre. Oder die Schadstoffe werden beim Schmelzen beziehungsweise Verbrennen der Kunststoffrohre freigesetzt - eine Behauptung, welcher die US-Hersteller von Kunststoffleitungen heftig widersprechen. Doch für Fernando Rosario Ortiz, Professor für Umwelt- und Bauingenieurwesen an der Universität von Colorado in Boulder, ist die Sache klar.
"Die verbrannten Plastikrohre in Paradise sind doch Anzeichen dafür, dass das Material möglicherweise das Wasser verseucht hat".
Es gibt weniger Wasser in den Stauseen
Während Andrew Whelton auf standardisierte Wassertests nach jedem Feuer pocht, um alle Schadstoffe zu entdecken, sorgen sich seine Kollegen noch um etwas ganz anderes: Weniger Wasser in Stauseen aufgrund der Feuerinfernos. So verlor der Gibraltar-Stausee in der Nähe von Santa Barbara nach der Ablagerung von Geröll und Asche aufgrund von Waldfeuern in den letzten 20 Jahren 50 Prozent seines Fassungsvermögens. Hinzu kommt: Waldbrände können Wasserscheiden in versteckte Bomben umwandeln. Joel Sankey, ein Geologe bei der US Bundesbehörde Geological Survey in Arizona:
"Nach einem Grossfeuer kann es zu einem Erdrutsch kommen. Große Massen von Brandrückständen, Gestein und Wasser stürzen ins Tal und zerstören Häuser und Gemeinden".
So geschehen im kalifornischen Montecito. Dort kam es während eines Feuers in dem Grenzverlauf zwischen zwei benachbarten Flusssystemen zu einem Regenguss: 23 Menschen und 40 Gebäude wurden von einer riesigen Schlammlawine begraben.
Wie soll das alles weitergehen? Die Aufräum- und Reparaturarbeiten sind so teuer, dass betroffene Gemeinden sie sich kaum leisten können. So lehnte das Städtchen Paradise den Bau eines nagelneuen Wasserversorgungssystems aus Kostengründen ab, aber die Stadt ließ im alten System die kontaminierten Wasserrohre ersetzen. Kostenpunkt für den fast zwei Jahre langen Arbeitsaufwand: 150 Millionen Dollar.
Immer mehr Waldbrände als Folge der Klimaerwärmung
Während Boulder Creek zehn Millionen Dollar zur Seite gelegt hat, um verseuchte Wasserzähler und Speicher auszutauschen, fließt im Ferienort Detroit im US-Bundesstaat Oregon nach einem Flächenfeuer seit zwei Monaten überhaupt kein Wasser mehr aus dem Hahn, sagt Andrew Whelton.
"Im September hat ein Feuer die städtische Wasseraufbereitungsanlage und die gesamte Infrastruktur völlig zerstört. Wasser aus dem See kann nicht mehr in die Anlage transportiert werden. Das ganze Wasserversorgungssystem steht ohne Wasser da."
Waldbrände werden als Folge der Klimaerwärmung immer häufiger und heftiger auftreten. Dennoch wird in den Wildfeuer-gefährdeten Gebieten fleißig weiter gebaut. In Kalifornien könnte sich die Zahl der potenziell von Bränden bedrohten neuen Häuser laut dem Nachrichtenportal CalMatters bis zum Jahr 2050 um 1,2 Millionen erhöhen. Die Feuerkrise bewirkt eine Wasserkrise und die Wasser- eine Feuerkrise. Ein Teufelskreis.