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Teurer Irak-Konflikt

Joseph Stiglitz, Wirtschaftsnobelpreisträger und ehemaliger Chefökonom der Weltbank, hat zusammen mit der Harvard-Professorin Linda Bilmes die Kosten des Irak-Kriegs errechnet: "Der Drei-Billionen-Dollar-Krieg" lautet der Originaltitel ihres Buches, das in diesen Tagen auf Deutsch erscheinen wird. In der Übersetzung "Die wahren Kosten des Krieges" klingt politischer Streit an. Warum die Rechnung der Autoren soviel höher ausfällt als die offiziellen Schätzungen, hat unser Washington-Korrespondent Klaus Remme gelesen.

26.05.2008
    Drei Billionen, das ist eine Drei mit eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf Nullen. Für die allermeisten eine unvorstellbar hohe Summe. Drei Billionen Dollar, das ist der finanzielle Preis, den die Amerikaner für den Irak-Krieg zahlen müssen, argumentieren Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und seine Co-Autorin Linda Bilmes, und so lautet übersetzt auch der Originaltitel: Der Drei Billionen Dollar Krieg.

    Ein Krieg, der nun schon über fünf Jahre dauert, länger als die Amerikaner im Ersten und Zweiten Weltkrieg gekämpft haben, teurer als alle amerikanischen Kriege bis auf den Zweiten Weltkrieg. In Deutsch erscheint das Buch unter dem Titel: Die wahren Kosten des Krieges, und schon in dieser Formulierung klingt politischer Streit an. Aus ihrer subjektiven Sichtweise machen die Autoren keinen Hehl. Der erste Satz des Vorworts lautet:

    "Mittlerweile steht fest, dass der Irakkrieg der USA ein schrecklicher Fehler war."

    Sicher ein Befund, der vor allem außerhalb der USA von den allermeisten geteilt wird, der aber ebenso energisch von der amerikanischen Regierung bestritten wird. Jenseits der politischen Debatte gehören die Autoren zu den führenden Wissenschaftlern ihres Fachs.

    Joseph Stiglitz lehrt an der Columbia Universität in New York, war zuvor Chefökonom der Weltbank und hat 2001 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekommen. Linda Bilmes lehrt an der Harvard Universität, ihr Spezialgebiet: Öffentliche Finanzen und Haushaltspolitik. Warum ihre Rechnung soviel höher ausfällt als die offiziellen Schätzungen, erklärt Linda Bilmes so:

    "Die zuständige Kongressbehörde nimmt die bereits entstandenen Kosten und prognostiziert den Verlauf über die kommenden zehn Jahre. Doch das sind nicht mehr als die laufenden Kosten für die Kampfeinsätze."

    Der damalige Wirtschaftsberater Larry Lindsey schätzte die möglichen Gesamtkosten für die USA vor Beginn des Krieges auf 200 Milliarden Dollar. Donald Rumsfeld, seinerzeit US-Verteidigungsminister, sprach von inflationsbereinigt 60 bis 70 Milliarden. Allein die laufenden monatlichen Kriegskosten verdeutlichen die Fehlkalkulation. Diese sind in den letzten fünf Jahren von viereinhalb auf zwölfeinhalb Milliarden gestiegen.

    Addiert man die laufenden Kosten für Afghanistan, zahlen die Vereinigten Staaten momentan Monat für Monat 16 Milliarden Dollar – das entspricht dem Jahreshaushalt der Vereinten Nationen. Das sind allein für den Irak 400 Millionen Dollar täglich. Und doch ist diese Summe ein Bruchteil der wahren Kosten, so die Autoren. Kapitel für Kapitel addieren sie Milliarden und Abermilliarden.

    Zum Beispiel für die Wiederherstellung der Kampfkraft der Streitkräfte auf Vorkriegsniveau, die Ersatzbeschaffung verbrauchter Rüstungsgüter oder die Kosten für Kriegsveteranen. Mit Blick darauf Kosten gehen die Autoren von zwei Szenarien aus, einem günstigsten Fall, dem eher schnellen Truppenabzug, und einer in ihren Augen eher realistischen Entwicklung über die kommenden zehn Jahre. Im günstigsten Fall werden dann 1,8 Millionen US-Soldaten im Irak gewesen sein, im realistischen Szenario 2,1 Millionen.

    Zahlen, die vor allem für eine Schätzung der immensen Kosten für die Veteranen entscheidend sind, für die Verletzten und oftmals lebenslang Behinderten. Hier erläutert Stiglitz, wie langlebig diese Kosten sind: Die Kosten für Veteranen des Zweiten Weltkriegs haben erst 1993 ihren Höhepunkt erreicht, im Falle des Vietnamkriegs steigen sie noch immer. Es geht hier mindestens um Kosten für die kommenden sechzig Jahre, so Stiglitz.

    Dazu kommt: Die Zahl der überlebenden, aber verletzten Soldaten ist aufgrund der modernen Medizin in den letzten Jahrzehnten drastisch gestiegen. Auf jeden Todesfall kamen im Zweiten Weltkrieg 1,6 Verletzte, in Vietnam 2,6 und im laufenden Krieg etwa sieben Verletzte. Das größte Problem liegt nach Ansicht der Autoren aber im Bereich psychischer Erkrankungen:

    "Die Strapazen verlängerter Einsatzzeiten im Ausland, die Praxis des Pentagons, sich auf die 'Truppen-Notstandsklausel' zu berufen und Soldaten über ihre reguläre Verpflichtungszeit hinaus einzusetzen, der extrem nervenaufreibende Bodenkrieg und die Ungewissheit in Bezug auf Entlassung und Abschied haben ihren Tribut gefordert. Bei etwa 38 Prozent der bislang behandelten Veteranen – einer historisch beispiellosen Zahl – wurde eine psychische Störung diagnostiziert."
    Anfallende Kosten für die Veteranen setzen sich aus der medizinischen Versorgung, der Invalidenversorgung und aus Erwerbsunfähigkeitsrenten zusammen. Je nach Szenario kalkulieren die Autoren dafür zwischen 420 und 720 Milliarden Dollar. Jenseits der Haushaltskosten widmen sich die Autoren den sozialen Kosten des Krieges, etwa der Verlust der Leistungsfähigkeit junger Amerikaner, die im Irak getötet oder schwer verwundet wurden. Die Auszahlung des Militärs für einen gefallenen Soldaten beläuft sich auf 500.000 Dollar, ein Bruchteil des ökonomischen Wertes, den Gerichte oder Versicherungsunternehmen als Entschädigungssumme bei einem Unfall ansetzen.

    In einem weiteren Kapitel befassen sich Stiglitz und Bilmes mit den gesamtwirtschaftlichen Kosten. Hier geht es unter anderem um die Folgen der Ölpreisexplosion, von 25 Dollar je Barrel bei Kriegsbeginn auf knapp unter 100 Dollar - einem Stand, von dem die Autoren zur Drucklegung der Originalausgabe ausgegangen sind und der längst überholt ist. In unterschiedlichen Berechnungen legen sie lediglich fünf bis zehn Dollar Preisanstieg als unmittelbare Kriegsfolge zugrunde. Stiglitz sieht hier jedoch einen direkten Bezug zur aktuellen Wirtschaftskrise in den USA:

    "Der Krieg löste den Preisanstieg aus, wir zahlen für Ölimporte, die Notenbank sorgte für größere Liquidität, die Immobilienblase wuchs, der Konsums wuchs, die Sparrate ging auf Null. All das hat die negativen Effekte verborgen. Doch das konnte nicht ewig gut gehen. Und jetzt bekommen wir die Rechnung."

    Eine weitere problematische Entwicklung sei ebenfalls unmittelbar mit dem Krieg verbunden.

    "Die letzte Rezession im Jahr 2001 konnten wir effektiv bekämpfen, dadurch, dass wir durch einen Haushaltsüberschuss Mittel in der Hand hatten. Diesen Krieg finanzieren wir völlig über die Kreditkarte. Alles ist geliehen, und das entstandene Defizit raubt uns jeden Spielraum."

    Auch wenn gegen Ende des Buches globale Auswirkungen untersucht werden, das Buch erläutert in erster Linie die Kosten für die Vereinigten Staaten. Die Autoren unterbreiten Reformvorschläge, in deren Mittelpunkt eine bessere Informationspolitik im Vorfeld steht:

    "Im Falle des Irakkriegs glauben wir, dass Falschinformationen nicht nur über die vermeintliche Bedrohung, die vom Regime Saddam Husseins ausging, sondern auch über die realistischen Kosten einer Invasion maßgeblich dazu beitrugen, dass der Kongress die Invasion unterstützte."

    Stiglitz und Bilmes geht nach eigenem Bekunden nicht darum, ob sich die USA drei Billionen Dollar leisten können. Sie können es. Entscheidend sind für sie die Opportunitätskosten, die Frage, wie das Geld anders hätte wirken können. Allein die jährliche Unterstützung der USA für Afrika liege unter den Kosten von zehn Kampftagen im Irak und in Afghanistan.

    Joseph E. Stiglitz/Linda Bilmes: Die wahren Kosten des Krieges. Wirtschaftliche und politische Folgen des Irak-Konflikts
    Pantheon Verlag, 244 Seiten, 14,95 Euro