Schossig: Allan Hollinghurst ist ja kein Unbekannter. Er lebt in London, war Kulturjournalist bei der Times - also quasi Kollege von Ihnen. "The Line Of Beauty" ist auch nicht sein erstes Buch.
Meinhardt: Eigentlich hat er als Poet angefangen. Das erste Buch, was er geschrieben hat war die Gedichtsammlung "Confidential Chat With Boys", 1982, es wurde aber bald klar, dass die Romanform seine Form ist. Er hat dann 1988 seinen ersten Roman herausgebracht, "The Swimming Pool Library" - in Deutsch "die Schwimmbadbibliothek". Das hat ihn in England zumindest mit einem Schlag berühmt gemacht, es ist eigentlich das erste Buch, das offen über die Identität des männlichen Schwulen redet und sich gleichzeitig mit hoher Literatur befasst. Es ist keine Schwulenliteratur in dem Sinn, überhaupt nicht, es hat auch genau so ein großes Interesse an sozialen, kulturellen Fragestellungen.
Schossig: The Line Of Beauty ist, wie man jetzt hört, auch ein Buch über die Ära Thatcher, über AIDS, Drogen und Selbstfindung. Wie geht all das zusammen, wie ist das entstanden?
Meinhardt: Die ersten beiden Bücher haben mehr Interesse an Sexualität und der persönlichen Erfahrung davon dargestellt. Die nächsten beiden Bücher "The Spell" ("Die Verzauberten") und eben "The Line Of Beauty" sind eher seine reiferen Bücher, wo er an größeren Fragestellungen interessiert ist, auch an Sozialkritik. Er ist ein sehr intelligenter, kultivierter Mann, der sein ganzes Leben damit zubringt, zu lesen, zu schreiben, auch sehr langweilig zu überlegen, wie auch ein anderer Journalist gesagt hat, der oft auch mal tagelang nichts schreibt, einfach, weil er über irgendetwas nachdenkt.
Schossig: Die Achtzigerjahre mögen ja für ihn durchaus dann auch traumatische Jahre selbst gewesen sein, diese berühmt-berüchtigte Thatcher-Ära, der Beginn des Thatcherismus in Großbritannien. Könnte man sagen, es ist eine Art Sittenroman dieser Zeit, wie würden sie in einordnen, in welches Genre?
Meinhardt: Ich bin immer noch geneigt, ihn als sehr literarischen Roman zu verstehen, eben dass die Romanform ihm auch erlaubt, Sozialkritik mit hineinzubringen, eben was eigentlich ursprünglich ein tiefes persönliches Erlebnis und seine eigene Erfahrung, groß zu werden in dieser Zeit vielleicht zuerst missverstanden zu sein, eben durch seine Sexualität und dann aber Erfolg zu finden, dass die explizite Sexualität eher in den Hintergrund getreten ist zugunsten eben von sozialen politischen Themenstellungen, was Sie schon sagten, die Jahre unter Thatcher, Sachen wie Klassenunterschiede, AIDS, auch Älterwerden, der Ton generell ist etwas resignierter und Schwermut ist eines Themen. Aber in beiden Büchern ist der Stil immer sehr elegant und kultiviert, erinnert ein bisschen an Henry James, hat aber gleichzeitig mehr Sinn für (Selbst-) Parodie, kann oft sehr lustig sein und eben halt auch diese weitertragende Interesse an sozialen Fragestellungen, was bei Henry James weniger der Fall ist. Aber ich würde nie unterschätzen in seinen Romanen, dass er ein sehr großes Interesse an Erziehung, Bildung, Literatur, Kunst, Oper hat, dieser hohen Kunst.
Schossig: Immer wieder macht der Booker-Preis ja aus einem Buch einen Bestseller. Hat Hollinghursts Buch "The Line Of Beauty" Ihrer Ansicht nach jetzt auch diese Chance?
Meinhardt: Absolut. Schon die "Swimming Pool Library" hat sich ausgesprochen gut verkauft, ich bin sicher, dass es sich ausgesprochen gut verkaufen kann, er ist wirklich einer unserer besten Schriftsteller und der beste schwule Schriftsteller bei weitem. Dieses ganze Publikum hat er sowieso und das weitergefaßte generelle Publikum auch mit Leichtigkeit, den ich kann mir keinen Schriftsteller vorstellen, der den Booker-Preis mehr verdient hätte.