Archiv

The Avener
"Ich muss mich in einen Song verlieben"

Es war nicht der größte Sommerhit des letzten Jahres, aber sicher der coolste, und immerhin Platz eins der Single-Charts: "Fade Out Lines" von The Avener, der im normalen Leben Tristan Casara heißt. Auf seinem ersten Album "The Wanderings Of The Avener" kümmert er sich durchaus feinfühlig um Songs, die ihm gefallen, und versorgt sie mit mehr Beat.

Von Bernd Lechler |
    Ein nachtblauer, bluesiger Song; das Video eine Kamerafahrt durch halbdunkles Rotlichtmilieu; ein Verbrechen wird angedeutet, der Text spricht von Untergang. Man muss erst mal darauf kommen, so was für den Dancefloor umzubauen.
    Dem kleinen Label, bei dem Tristan Casara veröffentlichte, leuchtete die Idee auch nicht ein. Bis er verblüfft von seinen Tests berichtete. "Ich war Resident DJ in einer kleinen After-Work-Bar in Nizza, immer Donnerstag bis Sonntag. Und als ich 'Fade Out Lines' da auflegte - als ich es grade zwei Tage zuvor produziert hatte -, da gingen nach 20 Sekunden die ganzen Smartphones, weil die Leute mit der Shazam-App rausfinden wollten, was das ist, oder sie kamen und fragten. Ich musste sagen: 'Das gibt’s noch gar nicht, da müsst ihr warten!'"
    Nach der obligatorischen Rechteklärung wurde "Fade Out Lines" Ende 2013 veröffentlicht, ein halbes Jahr später dann noch mal von einer großen Plattenfirma: der Durchbruch für den Jungen, der mit 14 im Internet ein angesagtes Popvideo gesucht hat - und sich stattdessen einen (falsch betitelten) Film über einen DJ-Wettkampf herunterlud. Er war fasziniert. "Ich hatte mir von meiner Mutter einen Motorroller gewünscht, aber das fand sie zu gefährlich. Also fragte ich: 'Krieg ich dann zwei Plattenspieler?' Als ich sie hatte, wusste ich erst nichts damit anzufangen. Ich besorgte mir drei, vier Vinylplatten, und mit denen hab ich das erste halbe Jahr geübt."
    Viel Training, erste DJ-Jobs in Bars. Gleichzeitig: Konservatorium, acht Jahre lang Bach, Beethoven, Chopin. Aber an der elektronischen Musik blieb er hängen, und das erste Album ist nun voller "Reworkings", wie er es nennt, mit Rohmaterial unter anderem von John Lee Hooker, von Rodriguez, dem amerikanischen 70er-Jahre-Songwriter, den Tristan schon vor dessen Revival durch den Film "Searching For Sugarman" entdeckt hatte - oder von der elegischen Schwedin Ane Brun. Deren Originalsong "To Let Myself Go" war sicher auch nie zum Tanzen bestimmt.
    Die Ruhe, die Nuancen, die Emotionen - wird so was mit Beat nicht schnell mal banal? "Ich muss mich in einen Song verlieben, das ist das Wichtigste. Das Gefühl des Sängers muss auch mich berühren. Dazu noch eine Stimme, die man so noch nicht gehört hat - und dann versuche ich, die Stimmung, die ich beim ersten Hören hatte, zu verstärken. Und dazu such ich mir die passendsten Stellen raus. Ich will keinen effekthascherischen Dance-Remix machen - der ursprüngliche Song darf nicht kaputtgehen."
    Hier singt Adam Cohen, der Sohn von Leonard Cohen. Es sind warme Klänge, die The Avener verarbeitet. Gitarrenschnipsel mit Patina, Blues-Elemente - dazu ein neuer Beat, eine neue Struktur für die Clubs der Gegenwart. Umso schöner, wenn das gerade hierzulande so viel Erfolg erntet: "Als Teenager haben mich deutsche DJs wie Paul Kalkbrenner sehr inspiriert. In meiner DJ-Community träumten wir alle davon, mal in Deutschland aufzulegen, und nicht mal nur in Berlin, im Berghain, sondern überhaupt - weil viel House aus Deutschland kam, weil ihr Techno mögt. Nie hätte ich gedacht, dass ich unbekannter Franzose da Erfolg haben könnte!"
    Hilfreich war möglicherweise, dass die Charts seit einer Weile voll sind mit verwandten Stilkombinationen: Vom Osnabrücker Produzenten Robin Schulz - oder vom Berliner Frans Zimmer alias Alle Farben.
    Folk-affine Songs mit dem Flair des Handgemachten, dazu gemäßigte Deep-House-Beats - das geht gerade immer. Auch auf "The Wanderings Of The Avener" gibt es Momente, die ein bisschen nach Baukasten in diesem Sinne klingen. Trotzdem haben seine Tracks mehr Atmosphäre, mehr Geheimnis als die der Konkurrenz. Seine Quellen sind tiefer, er nimmt sie auch ernst. Und Dancefloor hin oder her, er hört in "Fade Out Lines", diesem Lied vom Verflachen und Verblassen und Verschwinden, durchaus einen Zeitbezug.
    "Philosophisch gesehen geht es da um das Erlebnis, dass von allem reichlich da war, aber dann wird es immer weniger. Das passt perfekt auf die momentane Situation in Europa, da fürchten viele ausgeblendet zu werden, und die Furcht wächst, weil das Leben gerade nicht leicht ist."