Der amerikanische Lyriker Robert Kelly hat die Lust am Experiment nie verloren. Wenn ein Gedicht sich gegen seine semantische Übersetzung sperrt, so wie hier Hölderlins "Am Quell der Donau", dann kann man es auf der Ebene der Laute übersetzen. Die Laute werden dann zum Material des Gedichts, sie ergeben eine lyrische Ursprache.
"Für mich ist Lyrik ein Akt der Offenbarung. Die Sprache offenbart uns etwas, aber wir wissen nicht, wer es ist, der uns diese Offenbarung macht. Wir wissen nicht, ob Gott spricht oder der Teufel oder ein Mensch oder dessen Freundin, seine Mutter, sein Vater, oder ob derjenige sich einfach etwas ausgedacht hat. Die Sprache ist nicht eindeutig, sie hat keine DNA, die wir in unsere Computer einspeisen könnten um zu beweisen, wer genau diese Beobachtung gemacht hat."
Jedes Gedicht enthält für Kelly eine Botschaft, die sich während der Lektüre oder dem Zuhören entschlüsselt. Das Ziel ist Erkenntnis oder, in Kellys Worten, Offenbarung. Einen seiner frühen Lyrikbände hat er "Flesh Dream Book" genannt, ein Titel, der deutlich macht, dass die Lyrik für Kelly nur eine von drei möglichen Quellen der Erkenntnis ist, daneben gibt es noch den Körper und den Traum. Die Sprache kommt danach: Sie ist in Robert Kellys Worten das reinste Medium, um sich über Gottes Wille zu verständigen.
Seinen ersten Gedichtband veröffentlichte Kelly 1961, damals war er 26 Jahre alt. Seither sind von ihm rund 40 Lyrikbände erschienen und die, sagt Kelly, stellten gerade mal zehn Prozent seines Schaffens dar. Ein "Vielschreiber" – der Germanist Kelly benutzt das deutsche Wort – will er trotzdem nicht sein. Kelly sagt, dass er jeden Tag nur wenige Minuten schreibt, und dass er lange braucht, um einem Gedicht den letzten Schliff zu geben. Er experimentiert mit den lyrischen Formen, er hat Balladen geschrieben und Stanzen, lange Gedichte und Dreizeiler, Blankverse und Reime. Fast immer spricht in seinen Gedichten ein lyrisches Ich, das sich auf eine Erfahrung, eine überraschende Wendung vorbereitet, die oft im Bereich des Absurden oder Übersinnlichen liegt – da kann es vorkommen, dass ein Riese sein Herz an die Welt verloren hat oder dass eine Eiche in einem roten Kleid einen Brief überbringt. Der Einfluss der französischen Surrealisten um Breton und Apollinaire ist unverkennbar. Kelly selbst verwendet für diese Lyrik den Ausdruck der "Image Poetry".
Da Kellys Werk so vielgestalt ist, hat man ihn im Laufe der Jahre mit verschiedenen Schulen in Verbindung gebracht, mit der Black Mountain und New York School of Poetry, mit den Impressionisten und den Surrealisten. Kelly selbst zählt lieber Lyriker als Schulen zu seinen Vorbildern. Viele von ihnen sind um die letzte Jahrhundertwende geboren und zeichnen sich wie Kelly durch ihre Liebe sowohl zur Tradition als auch zum Experiment aus: Louis Zukowsky, Charles Olson, Robert Duncan, Ezra Pound. Prägend waren für Kelly auch die sechziger Jahre, in denen er sich dazu entschloss, Lyrik zu schreiben. Zu den damaligen Weggefährten pflegt er eine wohlwollende Distanz. Robert Kelly hat nie unter Drogen geschrieben und keine Gedichte zertrümmert. Ihn interessiert an dem Jahrzehnt vor allem das Bekenntnis zur Freiheit.
"Die formale Freiheit, jedesmal wenn ich mich hinsetze, schaffe ich eine neue Form. In dieser Hinsicht experimentiere ich noch im Geist der 60er Jahre. Was mir an den sechziger Jahren aber nie gefallen hat, war der Versuch, die Pop-Kultur einzubeziehen, um Lyrik für jedermann zugänglich zu machen. Leute, die die Pop-Kultur mögen, mögen keine Lyrik, auch wenn diese sich mit der Pop-Kultur beschäftigt."
Seit mehr als drei Jahrzehnten unterrichtet Kelly die Englische Sprache und Literatur am Bard College. Das College liegt gute anderthalb Stunden nördlich von New York, eine spektakuläre Zugfahrt entlang dem Hudson River. Der Campus befindet sich auf einem idyllischen, parkähnlichen Grundstück – wer hier studiert, genießt beides, die Nähe zur Metropole und die Abgeschiedenheit der Akademischen Welt. Der Dozent Kelly schätzt vor allem die Ruhe. Für ihn sind Universitäten die Förderer und Bewahrer des Wissens, eine Aufgabe, die in vergangenen Jahrhunderten die Klöster übernommen hätten.
Die modernen Universtitäten haben in Amerika, in Europa und in Asien die Aufgabe des Klosters übernommen. Man findet nicht mehr viel von Gott, aber die Hallen sind die gleichen geblieben, die Abgeschiedenheit und Konzentration auf das Geistesleben. Und die Universitäten unterstützen immer noch den Dichter.
Am Bard College werden nur 300 Studenten pro Jahr aufgenommen, und die müssen vor allem eines sein: kreativ. Ob sie Botanik studieren, den Job des Ausstellungskurators erlernen oder sich an der Lyrik versuchen, es kommt auf ihre eigene Leistung an. Als Professor für Englisch unterrichtet Robert Kelly seine Studenten auch im Schreiben, an Stelle einer Diplomarbeit müssen sie dann einen Roman oder eine Sammlung von Gedichten vorlegen. Die europäischen Debatte, ob man das Schreiben überhaupt an unterrichten kann, überrundet Kelly mit einem neuen Argument: Bei ihm steht immer noch die Literatur im Vordergrund, und diese könne man eben am besten verstehen, wenn man selbst schreibt:
"Man kann natürlich niemanden darin unterrichten, ein Genie zu sein. Aber man kann Literatur unterrichten, indem man das Schreiben unterrichtet, und nicht nur das Lesen. Durch die Aufmerksamkeit, die man braucht, um 100 Zeilen zu schreiben, erfährt man mehr über ein Gedicht als wenn man alle Fußnoten liest, alle philologischen und kritischen Details. Ich unterrichte niemanden im Dichten, ich unterrichte, wie man sein Schreiben benutzen kann, um die Literatur zu verstehen. Das ist eine neue Methode des Unterrichts."
Robert Kelly unterrichtet schon so lange, wie er selbst Gedichte schreibt, seine erste Stelle am Bard College trat er 1961 an, weitere Lehraufträge führten ihn nach Massachusetts, Kalifornien, Kansas, und Pennsylvania. Robert Kelly hat er mehrere Literaturzeitschriften gegründet oder als Herausgeber begleitet, und er wurde für seine Verdienste von der American Academy of Arts and Letters ausgezeichnet. Trotz seiner langjährigen Präsenz in der amerikanischen Literaturszene wird Kelly im Ausland viel weniger wahrgenommen als etwa sein Weggefährte John Ashberry – der Ruhm, sagt Kelly, sei eben wankelmütig und in jedem Fall relativ:
"Der Ruhm ist in Amerika ein merkwürdiges Ding. (...) Wenn Sie mich fragten, wer ein guter amerikanischer Dichter ist, würde ich Namen nennen, die Sie kennen, aber auch solche, von denen Sie noch nie etwas gehört haben, (...) zum Beispiel Garreton Hansing und Kenneth Urby, sie stehen ganz am Rand des Geschehens. Ich glaube, die halten mich im Vergleich für einen Pop-Star (...) Sie sind vollkommen unbekannt, und doch gibt es Lyriker, die sie ungeheuer bewundern. Manche Leute bleiben eben im Schatten, andere stehen im Rampenlicht."
Ein Grund dafür, dass Kelly in Deutschland nur wenig bekannt ist, könnte darin liegen, dass seine Lyrik wegen ihres Klangcharakters nicht leicht zu übersetzen ist . Wie Kelly bei Hölderlin, so muss sich auch der Übersetzer von Kellys Gedichten zwischen Sinn und Klang, zwischen Semantik und Phonetik entscheiden. Kellys deutscher Übersetzer, der Hamburger Künstler Schuldt, gibt im Zweifel dem Klang den Vorzug. Vor einiger Zeit haben Schuldt und Kelly mit einem gemeinsamen Projekt auf diese Probleme des Übersetzens aufmerksam gemacht. Schuldt hat Kellys onomatopoetische Hölderlin-Übersetzung wieder ins deutsche Übertragen, Kelly übersetzte noch einmal den Klang, Schuldt noch einmal die Worte. Der Bayrische Rundfunk produzierte aus diesem Klang- und Sinngebilde ein Hörspiel, das Leporello dazu ist im Götttinger Steidl-Verlag erschienen.
"Für mich ist Lyrik ein Akt der Offenbarung. Die Sprache offenbart uns etwas, aber wir wissen nicht, wer es ist, der uns diese Offenbarung macht. Wir wissen nicht, ob Gott spricht oder der Teufel oder ein Mensch oder dessen Freundin, seine Mutter, sein Vater, oder ob derjenige sich einfach etwas ausgedacht hat. Die Sprache ist nicht eindeutig, sie hat keine DNA, die wir in unsere Computer einspeisen könnten um zu beweisen, wer genau diese Beobachtung gemacht hat."
Jedes Gedicht enthält für Kelly eine Botschaft, die sich während der Lektüre oder dem Zuhören entschlüsselt. Das Ziel ist Erkenntnis oder, in Kellys Worten, Offenbarung. Einen seiner frühen Lyrikbände hat er "Flesh Dream Book" genannt, ein Titel, der deutlich macht, dass die Lyrik für Kelly nur eine von drei möglichen Quellen der Erkenntnis ist, daneben gibt es noch den Körper und den Traum. Die Sprache kommt danach: Sie ist in Robert Kellys Worten das reinste Medium, um sich über Gottes Wille zu verständigen.
Seinen ersten Gedichtband veröffentlichte Kelly 1961, damals war er 26 Jahre alt. Seither sind von ihm rund 40 Lyrikbände erschienen und die, sagt Kelly, stellten gerade mal zehn Prozent seines Schaffens dar. Ein "Vielschreiber" – der Germanist Kelly benutzt das deutsche Wort – will er trotzdem nicht sein. Kelly sagt, dass er jeden Tag nur wenige Minuten schreibt, und dass er lange braucht, um einem Gedicht den letzten Schliff zu geben. Er experimentiert mit den lyrischen Formen, er hat Balladen geschrieben und Stanzen, lange Gedichte und Dreizeiler, Blankverse und Reime. Fast immer spricht in seinen Gedichten ein lyrisches Ich, das sich auf eine Erfahrung, eine überraschende Wendung vorbereitet, die oft im Bereich des Absurden oder Übersinnlichen liegt – da kann es vorkommen, dass ein Riese sein Herz an die Welt verloren hat oder dass eine Eiche in einem roten Kleid einen Brief überbringt. Der Einfluss der französischen Surrealisten um Breton und Apollinaire ist unverkennbar. Kelly selbst verwendet für diese Lyrik den Ausdruck der "Image Poetry".
Da Kellys Werk so vielgestalt ist, hat man ihn im Laufe der Jahre mit verschiedenen Schulen in Verbindung gebracht, mit der Black Mountain und New York School of Poetry, mit den Impressionisten und den Surrealisten. Kelly selbst zählt lieber Lyriker als Schulen zu seinen Vorbildern. Viele von ihnen sind um die letzte Jahrhundertwende geboren und zeichnen sich wie Kelly durch ihre Liebe sowohl zur Tradition als auch zum Experiment aus: Louis Zukowsky, Charles Olson, Robert Duncan, Ezra Pound. Prägend waren für Kelly auch die sechziger Jahre, in denen er sich dazu entschloss, Lyrik zu schreiben. Zu den damaligen Weggefährten pflegt er eine wohlwollende Distanz. Robert Kelly hat nie unter Drogen geschrieben und keine Gedichte zertrümmert. Ihn interessiert an dem Jahrzehnt vor allem das Bekenntnis zur Freiheit.
"Die formale Freiheit, jedesmal wenn ich mich hinsetze, schaffe ich eine neue Form. In dieser Hinsicht experimentiere ich noch im Geist der 60er Jahre. Was mir an den sechziger Jahren aber nie gefallen hat, war der Versuch, die Pop-Kultur einzubeziehen, um Lyrik für jedermann zugänglich zu machen. Leute, die die Pop-Kultur mögen, mögen keine Lyrik, auch wenn diese sich mit der Pop-Kultur beschäftigt."
Seit mehr als drei Jahrzehnten unterrichtet Kelly die Englische Sprache und Literatur am Bard College. Das College liegt gute anderthalb Stunden nördlich von New York, eine spektakuläre Zugfahrt entlang dem Hudson River. Der Campus befindet sich auf einem idyllischen, parkähnlichen Grundstück – wer hier studiert, genießt beides, die Nähe zur Metropole und die Abgeschiedenheit der Akademischen Welt. Der Dozent Kelly schätzt vor allem die Ruhe. Für ihn sind Universitäten die Förderer und Bewahrer des Wissens, eine Aufgabe, die in vergangenen Jahrhunderten die Klöster übernommen hätten.
Die modernen Universtitäten haben in Amerika, in Europa und in Asien die Aufgabe des Klosters übernommen. Man findet nicht mehr viel von Gott, aber die Hallen sind die gleichen geblieben, die Abgeschiedenheit und Konzentration auf das Geistesleben. Und die Universitäten unterstützen immer noch den Dichter.
Am Bard College werden nur 300 Studenten pro Jahr aufgenommen, und die müssen vor allem eines sein: kreativ. Ob sie Botanik studieren, den Job des Ausstellungskurators erlernen oder sich an der Lyrik versuchen, es kommt auf ihre eigene Leistung an. Als Professor für Englisch unterrichtet Robert Kelly seine Studenten auch im Schreiben, an Stelle einer Diplomarbeit müssen sie dann einen Roman oder eine Sammlung von Gedichten vorlegen. Die europäischen Debatte, ob man das Schreiben überhaupt an unterrichten kann, überrundet Kelly mit einem neuen Argument: Bei ihm steht immer noch die Literatur im Vordergrund, und diese könne man eben am besten verstehen, wenn man selbst schreibt:
"Man kann natürlich niemanden darin unterrichten, ein Genie zu sein. Aber man kann Literatur unterrichten, indem man das Schreiben unterrichtet, und nicht nur das Lesen. Durch die Aufmerksamkeit, die man braucht, um 100 Zeilen zu schreiben, erfährt man mehr über ein Gedicht als wenn man alle Fußnoten liest, alle philologischen und kritischen Details. Ich unterrichte niemanden im Dichten, ich unterrichte, wie man sein Schreiben benutzen kann, um die Literatur zu verstehen. Das ist eine neue Methode des Unterrichts."
Robert Kelly unterrichtet schon so lange, wie er selbst Gedichte schreibt, seine erste Stelle am Bard College trat er 1961 an, weitere Lehraufträge führten ihn nach Massachusetts, Kalifornien, Kansas, und Pennsylvania. Robert Kelly hat er mehrere Literaturzeitschriften gegründet oder als Herausgeber begleitet, und er wurde für seine Verdienste von der American Academy of Arts and Letters ausgezeichnet. Trotz seiner langjährigen Präsenz in der amerikanischen Literaturszene wird Kelly im Ausland viel weniger wahrgenommen als etwa sein Weggefährte John Ashberry – der Ruhm, sagt Kelly, sei eben wankelmütig und in jedem Fall relativ:
"Der Ruhm ist in Amerika ein merkwürdiges Ding. (...) Wenn Sie mich fragten, wer ein guter amerikanischer Dichter ist, würde ich Namen nennen, die Sie kennen, aber auch solche, von denen Sie noch nie etwas gehört haben, (...) zum Beispiel Garreton Hansing und Kenneth Urby, sie stehen ganz am Rand des Geschehens. Ich glaube, die halten mich im Vergleich für einen Pop-Star (...) Sie sind vollkommen unbekannt, und doch gibt es Lyriker, die sie ungeheuer bewundern. Manche Leute bleiben eben im Schatten, andere stehen im Rampenlicht."
Ein Grund dafür, dass Kelly in Deutschland nur wenig bekannt ist, könnte darin liegen, dass seine Lyrik wegen ihres Klangcharakters nicht leicht zu übersetzen ist . Wie Kelly bei Hölderlin, so muss sich auch der Übersetzer von Kellys Gedichten zwischen Sinn und Klang, zwischen Semantik und Phonetik entscheiden. Kellys deutscher Übersetzer, der Hamburger Künstler Schuldt, gibt im Zweifel dem Klang den Vorzug. Vor einiger Zeit haben Schuldt und Kelly mit einem gemeinsamen Projekt auf diese Probleme des Übersetzens aufmerksam gemacht. Schuldt hat Kellys onomatopoetische Hölderlin-Übersetzung wieder ins deutsche Übertragen, Kelly übersetzte noch einmal den Klang, Schuldt noch einmal die Worte. Der Bayrische Rundfunk produzierte aus diesem Klang- und Sinngebilde ein Hörspiel, das Leporello dazu ist im Götttinger Steidl-Verlag erschienen.