Nach drinnen: In ihr Haus, wie in einen Mutterleib haben sich die beiden Schwestern verkrochen. Pech allerdings für die dritte, die jüngste Schwester, die als ewige Zuhörerin herhalten muss, die so in das Ritual der Erinnerung involviert ist, dass ihr ein eigenes Leben unmöglich ist, selbst noch als sich ihr mit Patsy, dem Fischhändler, ebenfalls der Anflug einer Liebesgeschichte bietet. Doch auch der Mann gehört zu dem Reigen der Verletzten von Enda Walsh, unfähig zur Liebe unfähig zur Hinwendung zum anderen, flieht er schließlich aus dem unheimlichen Haus.
Immer wieder erfindet der irische Autor sich klaustrophobische Situationen. In dem Stück Bedbound etwa, das vor drei Jahren auch schon an den Münchner Kammerspielen auf dem Spielplan stand, in deutschsprachiger Erstaufführung, in Bedbound mauerte sich ein Vater mit seiner querschnittsgelähmten Tochter ein, aus Verzweiflung darüber, dass sie sein Erbe nicht antreten konnte. Eine grausame Liebesgeschichte gleichsam auf engstem Raum. Zugleich reden Walshs Figuren immer um ihr Leben, definieren sich über Sprache: Ich rede also bin ich. Und so ist es auch nun in "The New Electric Ballroom" als blicke man direkt in eine Psyche, in der die Verletzungen immer wieder das Wort ergreifen und alles um sich herum zerstören.
Schon optisch hat Uraufführungsregisseur Stefan Kimmig das in den Münchner Kammerspielen deutlich gemacht, zugleich verschweigt diese ebenso bescheidene wie eindringlich empatisch wirkende Inszenierung in keinem Moment die verzweifelte Komik von "The new electric ballroom". Dass sie zum tragen kommt, ist vor allem den Schauspielerinnen Hildegart Schmahl und Barbara Nüsse zu danken. Ohne ihre Figuren je der Lächerlichkeit preiszugeben, spielen sich die beiden mit großem Mut ebenso an die Erbarmungswürdigkeit ihrer verletzten Figuren heran, wie auch an die Erbarmungswürdigkeit des Alters, das sie mit diesen Figuren teilen. Da malt man sich im täglichen Ritual die Münder rot, legt Rouge und Lidschatten auf, schminkt sich Fratzen, schlüpft mit Stützstrümpfen in Stöckelschuh und in Unterwäsche in die Ballröckchen von damals, die in einer hochaufschießenden Vitrine hängen, die als einziger Lichtblick in den Raum hineinragt. Man merkt diesem Stück und dieser Produktion an, dass hier ein Auftragswerk in enger Zusammenarbeit entstanden ist, die auch die Persönlichkeiten der Schauspieler in die Figuren hat einfließen lassen. Dieses sperrige Werk könnte als Psychogramm und als Schauspielerfest zum Kult werden in München.