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Theater ist für Israel ein größeres Problem als Steinewerfer

Das Freedom Theatre ist eine Schauspielschule im palästinensischen Flüchtlingslager Jenin im Westjordanland. Die Schauspieler wurden unter anderem von Juliano Mer Khamis ausgebildet. Khamis wurde vor seinem Theater in Jenin von Unbekannten erschossen. While Waiting ist die Studienabschlussarbeit unter seiner Feder.

Von Eberhard Spreng | 16.06.2012
    Zwei Fantasiegestalten bevölkern eine kahle schwarze Bühne, auf der nichts weiter steht als drei kleine Podeste mit Rampen. Es sind die Clowns Didi und Gogo alias Wladimir und Estragon, Archetypen einer Menschheit, die im räumlichen Irgendwo einer verlorenen Landschaft ihr Leben im philosophischen Niemandsland einrichten müssen. Es ist die Abschlussarbeit einer Schauspielklasse, die noch von Juliano Mer Khamis ausgebildet wurde, der im April 2011 vor den Toren seines Dschenin Freedom Theatre erschossen worden war. Nur in kurzen Momenten weisen die Akteure direkt auf die katastrophalen Bedingungen hin, unter denen in den besetzten Gebieten Theater gemacht wird und sie tun es mit Humor, so etwa, wenn sie von dem Schock erzählen, der sie ergreift, wenn sie nach ewigem Kontrollen am Flughafen endlich unterwegs sind und im Flugzeug eine Klotür vorfinden, die "occupied", "besetzt" anzeigt.

    64 Jahre ist ihr Land schon besetzt und nun ist es auch noch die Flugzeugtoilette. Aber ansonsten ist diese Inszenierung des israelischen Cineasten, Künstlers und Theatermachers Udi Aloni auf eine strenge Abstraktion bedacht, die das Beckett-Theater kennzeichnet. Nur dass hier keine älteren verhärmten Männer die immer gleichen Rituale eines sinnentleerten Wartens aufführen sondern zwei junge Frauen, deren Vitalität sich nur schwer ins Korsett des Absurden pressen lässt. Immer wieder liegen sie sich in den Armen behaupten gegen die Macht der Verhältnisse die Möglichkeit von Nähe und Solidarität. Nur einmal mischen sich kurz Hubschrauberlärm und Gewehrfeuer in die Aufführung. Auch der Auftritt des Landbesitzers Pozzo und seines hier verdoppelten Dieners Lucky ist kein Anlass für einfache, kurzschlüssige Überlagerung von politisch-militärischer Realität in den besetzten Gebieten und Becketts Universalmetapher vom Warten auf eine Erlösung.

    Dieses "While Waiting", sehr frei nach Beckett, ist so auch der Versuch, die ewigen Bilder von Gewalt in den besetzten Gebieten auf der Theaterbühne nicht noch einmal zu verdoppeln sondern durch eine pure künstlerische Selbstbehauptung zu ersetzten. Das Freedom Theatre leistet Widerstand durch Kultur. So verstehen Udi Aloni und seine Schauspieler auch in der anschließenden Publikumsdiskussion im Ballhaus die am 6. Juni erfolgte Verhaftung des künstlerischen Leiters Nabil Al Raee durch israelische Soldaten als Versuch, eben diesen Beitrag des palästinensische Nationbuilding zu schwächen.

    "Ich glaube Theater und Schauspieler sind für Israel ein viel größeres Problem, als Leute, die Steine werfen oder in anderer Form Gewalt anwenden. Denn diese Gewaltanwendung legitimiert umgekehrt die militärische Politik Israels. Ich glaube dass die schlimmste Vorstellung in den Augen Israels ist, dass die palästinensische Gesellschaft Kultur hervorbringt und für ihre Bildung sorgt und so auf Augenhöhe mit Israelis steht. Das macht ihnen viel mehr Angst als M-16 Gewehre und genau deshalb wird in den Medien Israels und der USA ein gewalttätiges Bild der Palästinenser verbreitet. Israel hat vor einem Theatermonolog mehr Angst als vor Waffen. "

    Noch entschiedener trat der israelische Künstler Udi Aloni in der Diskussion auf, der in seinem Buch "What does a Jew want" unter anderem die Vision eines gemeinsamen Palästinensisch-israelischen Staates entwarf.

    "Es gibt einen von den USA und Europa unterstützte täglichen, stündlichen Boykott gegen die palästinensische Kultur. Es ist doch so, dass Israel ein zusammenhängender Raum ist, in dem Hebräisch gesprochen wird, wovon auch ich als privilegierter Israeli profitiere. Jeder kann aus der Diaspora nach Israel kommen und an unserer Kultur teilnehmen. Wenn aber ein Palästinenser Kunst machen will mit einer Cousine aus Jaffa, kann er sie nicht treffen. Auch den Bruder aus Gaza kann er nicht sehen. Wenn ein Exil-Palästinenser mit ihm zusammenarbeiten will, lässt Israel ihn nicht einreisen. Wir fordern die europäische Öffentlichkeit deshalb auf, gegen diese Apartheid vorzugehen, weil euer Steuergeld dazu dient, die palästinensische Nation in Stücke zu schneiden während Juden in Israel als eine Gruppe zusammenleben können."