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Theater morgen: Die Berliner Schaubühne ist einer der erfolgreichsten Theaterexporte

Schäfer-Noske: Fünf Jahre ist es jetzt her, da hat ein junges Team in Berlin ein Theater übernommen, das in den siebziger Jahren zu einem Mythos geworden war, die Berliner Schaubühne. Das Haus wurde 1962 als privates Theater mit sozialpolitisch engagiertem Spielplan gegründet und setzte Akzente gegen die Staatstheater. Zentrale Figur war damals Peter Stein. Die Mitarbeiter bekamen ein Mitspracherecht bei der Stückauswahl und ein hochkarätiges Ensemble mit Otto Sander, Udo Samel, Edith Klever sorgte für ein hohes Niveau. Es war also ein schweres Erbe, das das Team der Baracke des Deutschen Theaters, Thomas Ostermaier und Jens Hillje antrat zusammen mit der Choreographin Sasha Waltz und Jochen Sandig. Die jungen Theatermacher setzten auf Repolitisierung und waren damit in den Augen der Theaterkritiker bald gescheitert. In unserer Sommerreihe, "Theater morgen", habe ich mit dem Chefdramaturgen der Berliner Schaubühne, Jens Hillje gesprochen und als erstes habe ich ihn gefragt, warum denn die Schaubühne mit der Repolitisierung des Theaters keinen Erfolg hatte und in der heutigen Zeit so wenig Interesse an politischem Theater besteht?

Moderation: Doris Schäfer-Noske |
    Hillje: Dem würde ich ja widersprechen. Ich glaube, da hat sich etwas geändert innerhalb der letzten ein, zwei Jahre. Ich glaube, das, was auch ein inhaltliches Problem unserer ersten Jahre an der Schaubühne war, so von 2000 bis 2003, war, dass unser Ansatz, was wir erzählen wollten, inhaltlich Kritik üben, auf eine Mehrheit traf, die das so noch nicht sehen wollte, so noch nicht haben wollte. Ich glaube, dass in Deutschland in den letzten ein, zwei Jahren doch ein sehr großes Krisenbewusstsein entstanden ist, dass es so nicht weiter gehen kann, dass so wie wir leben, dass wir das nicht werden halten können, dass sich sehr viel verändern wird. Damit einhergegangen ist auch eine Änderung der Haltung im Publikum, die kommen jetzt zu uns und erwarten durchaus ein politisches Theater, erwarten ein engagiertes und kritisches Theater. Deswegen ist unsere Erfahrung jetzt in der letzten Spielzeit sehr, sehr gut. Wir hatten Spitzenauslastungen, wir haben sehr viele Einladungen, wir haben diesen Sommer auf den Festivals von Avignon, Edinburgh und Salzburg gespielt. Wir hatten im letzten Monat der Spielzeit im Sommer, im Juni eine Auslastung von 90 Prozent.

    Schäfer-Noske: Also, fühlen Sie sich durch die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV quasi bestätigt? Wie wollen Sie denn diese Erwartungshaltung des Publikums jetzt befriedigen?

    Hillje: Wir haben zum Beispiel in der letzten Spielzeit ein Projekt gemacht, wir haben ein Stückauftrag gegeben an einen Autor und Regisseur, Falk Richter, ein Projekt zu entwickeln, das hieß, "Das System, wir versuchen unser System zu verstehen". Da ist ein Projekt entstanden, ein Stück, das er geschrieben hat, "Unter Eis", das die Arbeitswelt der Berater unter die Lupe nimmt. Dieses Projekt hatten wir angeschoben lange bevor das zum großen Thema wurde, also die Beratungsfirmen, McKinsey, Berger, die ja heftig daran arbeiten, unser Land umzugestalten, die ja auch letztendlich hinter Hartz IV, Hartz III, hinter der Kopfpauschale, hinter dieser ganzen Diskussion stecken mit ihrem Menschen- und Weltbild. Und haben in einem Theaterprojekt diese Menschen und ihre Arbeitsweise, ihre Denkweise mal unter die Lupe genommen, mit sehr großem Erfolg. Das ist ein Drama um einen fünfzigjährigen geworden, von Thomas Thieme gespielt, der Berater ist und sich im Absturz befindet, von zwei jungen Wölfen gejagt, also zwei jungen Beratern gejagt. Das haben wir gespielt, auch in Kombination mit anderen Veranstaltungen, Diskussionen, Filmen, die wir gezeigt haben und haben anschließend meist ein, zwei Stunden mit dem Publikum verbracht, darüber gesprochen, darüber geredet und da ist ein großes Bedürfnis da, sich darüber auszutauschen, sich damit auseinanderzusetzen, jetzt nicht nur auf der konkret tagespolitischen Ebene sondern auf einer etwas allgemeineren: Was für ein Mensch will ich sein, wie will ich arbeiten, wie will ich leben? Das mal auf einer allgemeineren Ebene reflektieren zu können, das ist, glaube ich, etwas, was das Theater gerade jetzt leisten kann.

    Schäfer-Noske: Wie unterscheidet sich denn Ihr politisches Theater vom politischen Theater der siebziger Jahre?

    Hillje: Ich war ja in den siebziger Jahren erst fünf, sechs, sieben Jahre alt, deswegen kann ich das gar nicht so genau sagen. Ich glaube, ein großer Unterschied ist, es gibt die Alternative nicht mehr. Damals in den siebziger Jahren wurde diskutiert oder wurde immer in den Möglichkeiten gedacht, entweder westliche Marktwirtschaft oder das östliche Modell des Sozialismus oder wir suchen den dritten Weg dazwischen. Das waren doch sehr klare, sehr harte Diskussionen und Auseinandersetzungen, während wir heute nach dem Fall der Mauer und dem, was in den neunziger Jahren alles an Neuem passiert ist aber auch an Desorientierungen und an Verlust von Vision für dieses Land oder für unsere Art zu leben, eingetreten ist, geht es jetzt um ein suchendes Vorantasten. Wir wissen noch nicht, was die Alternative, was eine andere Art zu wirtschaften, zu arbeiten, zu leben sein könnte und sind da, glaube ich, auf einer beginnenden Suche gerade im Moment.

    Schäfer-Noske: Sie haben Falk Richter schon angesprochen. Auch Christina Paulhofer arbeitet für Sie, arbeitet aber auch für andere Bühnen. Wie setzten Sie sich denn gegenüber der Konkurrenz, auch gegenüber der Konkurrenz in Berlin ab? Zum Beispiel gegenüber dem Berliner Ensemble?

    Hillje: Erstmal ist die Setzung natürlich, dass wir ein Theater sind, das ein Schauspiel und ein Tanzensemble hat, mit den beiden prägenden Figuren Thomas Ostermaier und Sasha Waltz. Daneben gibt es aus dieser Generation Regisseure und Choreographen, die an unserem Theater arbeiten. Ab nächster Spielzeit wird Luc Perceval, ein sehr erfolgreicher Regisseur dieser Generation auch bei uns fest als Hausregisseur arbeiten. Der wird sein Theater in Antwerpen, das er dort geleitet hat aufgeben und nach Berlin ziehen und bei uns arbeiten. Junge Talente wie eben Constanza Macras als Nachwuchsregisseure oder eben Regisseure wie Falk Richter, Christina Paulhofer, Tom Kühnel arbeiten bei uns und inszenieren bei uns. Das ist eine, glaube ich, im Vergleich zum Berliner Ensemble neue Generation, die sich alle mit einem gewissen fragenden, zweifelnden Ansatz mit der Wirklichkeit auseinandersetzen. Da geht es auch um das Ästhetische, die nach wie vor ans Erzählen glauben, ans Erzählen von Geschichten glauben und sehr stark über den Schauspieler arbeiten, über die Persönlichkeit des Schauspielers arbeiten, eher als darüber, dass sie Regiekonzepte umsetzen und das glaube ich, unterscheidet uns dann auch ästhetisch von anderen Theatern.

    Schäfer-Noske: Sie entscheiden ja über den Spielplan nicht allein sondern bei Ihnen ist auch das Ensemble an solchen Entscheidungen beteiligt. Ist das nicht wahnsinnig kompliziert?

    Hillje: Das ist kompliziert, das ist auch sehr anstrengend, aber wir haben so über die Jahre schon, denke ich, eine sehr gute Kommunikation entwickelt darüber, dass man sich austauscht, welche Regisseure man als Ensemble, als Kompagnie am eigenen Haus haben will, welche Stücke gemacht werden sollen, dass man jetzt auch mal klassische Stoffe eher bearbeitet und welche Autorenstoffe man weiter verfolgen will. Das war am Anfang sehr stark institutionalisiert und ist jetzt natürlich immer über die Jahre, dadurch dass man sich gut kennt, mittlerweile informeller geworden. Es ist anstrengend, aber es lohnt sich auch, weil man das, was man dann macht, auch gemeinsam vertritt und ich glaube auch, dass sich das oft abends auf der Bühne dem Publikum mitteilt, dass da Schauspieler auf der Bühne stehen, die wissen, was sie erzählen und die das auch unbedingt erzählen wollen und dementsprechend dem Zuschauer auch eine Energie mitgeben an dem Abend und ihm da etwas geben, was er so nur im Theater finden kann.

    Schäfer-Noske: Die Berliner Schaubühne setzt auf zeitgenössische Autoren, Sie haben aber mit Tschechows "Möwe" in der kommenden Spielzeit auch einen Klassiker wieder im Programm. Warum? Warum heute Klassiker?

    Hillje: Es geht schon auch immer darum, ich glaube zum Beispiel, die Inszenierung von Ostermaier von der "Nora" macht eine Dimension auf, es geht nicht nur darum, den gegenwärtigen Zustand einer Gesellschaft, einer Kultur zu beschreiben, sondern auch immer die historische Dimension, woher das kommt, wie das gewachsen ist, was sich verändert hat, was sich nicht verändert hat in den letzten hundert Jahren. Das ist so ein bisschen das, was wir behandeln, das war bei Ibsens "Nora" und der Frage der Frauenemanzipation und der Gleichberechtigung und das ist jetzt auch bei der "Möwe", die ja auch ungefähr hundert Jahre alt ist als Stück, ein Versuch von einem jungen Autor und Regisseur, die Konflikte eines anderen jungen Regisseurs und Autors, also in diesem Fall von Konstantin, der Hauptfigur der "Möwe", noch einmal nachzuvollziehen. Falk Richter ist da rangegangen, als würde er Tschechow wie einen zeitgenössischen Autor lesen und hat da einen Konflikt herausgekitzelt, ohne da jetzt ein Konzept drüberzuwerfen, der sehr, sehr heutig ist, denn das, was Tschechow damals beschreibt, sind die Verwerfungen einer Aufsteigergesellschaft, einer Gesellschaft im Aufbruch, jeder versucht vom Kuchen abzukriegen, was noch zu bekommen ist und jeder muss für sich selbst kämpfen um durchzukommen. In der "Möwe" ist es so, dass die Alten und Erfahrenen siegen und die Jungen und Unerfahrenen mit ihren ganzen Wünschen und Träumen und Sehnsüchten scheitern und untergehen.

    Schäfer-Noske: Was ist denn, sage ich mal, das härteste und ehrgeizigste Projekt der neuen Spielzeit?

    Hillje: Das härteste und ehrgeizigste Projekt ist ein Doppelprojekt. Einerseits macht James Macdonald, ein englischer Regisseur bei uns ein Shakespeare, "Troilus und Cressida", dieses Stück nach heute zu holen und dieses Stück zu inszenieren wird ein großes Projekt der neuen Spielzeit und das andere ist, dass wir, trotzdem natürlich immer die Gunst der Zuschauer bei alten Stücken sind, die sie kennen, also bei Autoren wie Shakespeare, Tschechow, Ibsen, die sie kennen, dass sie dort hingehen, dass wir weiter darauf setzen, Uraufführungen und Erstaufführungen von Stücken zu machen. Wir haben die Uraufführung vom neuen Stück von Marius von Mayenburg, die Thomas Ostermaier inszenieren wird. "Eldorado" im Herbst auf dem Spielplan, dann wird Thomas Ostermaier das erste Stück von Sarah Kane inszenieren, das einzige, das wir bei uns im Repertoire noch nicht haben, "Zerbombt" und dann werden wir einen argentinischen Autor, Rafael Spregelburd zum ersten Mal in großem Rahmen mit einem Stück in Deutschland vorstellen, mit seinem Stück, "Dummheit", einer deutschen Erstaufführung.

    Schäfer-Noske: Sie kennen ja Thomas Ostermaier schon aus Landshut, wo Sie dasselbe Gymnasium besucht haben. Könnten Sie sich denn vorstellen zum Beispiel diese Produktion, "Eldorado" dort auch zu zeigen, in der Stadt der Landshuter Hochzeit oder kann man das dem Publikum nicht zumuten?

    Hillje: (Lacht) Es gab mal die Inszenierung, mit der Thomas Ostermaier sehr berühmt geworden ist, das war ja, "Schocken und ficken" damals. Da gab es eine leise Anfrage aus Landshut, ob man das nicht einmal zeigen könnte oder zeigen sollte, die ist aber verloren gegangen. Ich glaube, das war dann den Stadtvätern oder den Honoratioren unserer Heimatstadt doch ein Tick zu heiß oder ich weiß es nicht, vielleicht war auch niemand interessiert. Aber, natürlich sollte man dort mal irgendwann hingehen und dort wieder spielen, wo man mal angefangen hat in irgendwelchen Wirtshaushinterzimmern und Kirchengemeindesälen, Theater zu machen.

    Schäfer-Noske: Jens Hellje war das, Chefdramaturg der Berliner Schaubühne in unserer Reihe, "Theater morgen".