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Theaterstück "Sklaven leben"
Hier beuten Schwarze weiße Europäer aus

Sklaverei, Kolonialismus, Rassismus: Diese brisanten Themen hat der 36-jährige Dramatiker Konstantin Küspert für sein neues Stück "Sklaven leben" bearbeitet. Herausgekommen ist dabei brave, politisch korrekte Aufklärung - mit wummernder Totschlagmusik und hysterischem Schauspielergeschrei.

Von Christian Gampert | 27.01.2019
    Eine Szene aus Konstantin Küsperts neuem Stück "Sklaven leben" am Schauspiel Frankfurt, Januar 2019. Vier europäisch aussehende Menschen sitzen in Schwimmwesten in einem Schlauchboot. Im Vordergrund steht ein Schwarzer mit Rastalocken und hält einen Stab in den Händen.
    Die Kolonialismus-Situation umdrehen: "Sklaven leben" (Schauspiel Frankfurt / Felix Grünschloß)
    Es ist ein verführerischer Gedanke, die Kolonialismus-Situation einfach mal umzudrehen: der Afrikaner, der Schwarze als Master, als Kolonisator und Ausbeuter, die weißen Europäer als Sklaven, die auf dem Markt meistbietend versteigert werden, die sich selber aber bisweilen auch zum Nulltarif feilbieten. Das ist eine bizarre Situation, die der schwarze Hauptdarsteller und Musiker Komi Togbonou zumindest am Anfang sarkastisch auskostet:
    "Heute bin ich mal dran! Wir drehen den Spieß um: Ich bin die Krone der Schöpfung!"
    Jean Genet hat schon Ende der 1950iger Jahre eine Revolte der Schwarzen auf die Bühne gebracht, allerdings waren "Les nègres", "Die Neger", eine ritualhafte, mörderische Groteske, die die Hautfarbe als Projektion entlarvt. Ein solcher theater-orientierter Zugriff ist Konstantin Küspert völlig fremd. Auch die vergebliche Anstiftung zum Sklavenaufstand in Heiner Müllers "Der Auftrag" scheint er nicht zu kennen. Ihm geht es ganz brav um politische Aufklärung und um uns, die Weißen, die sich bessern müssen – deshalb blicken uns schon zu Beginn mehrere überdimensionierte Augen vom Videoschirm aus böse an.
    Krude Thesen zum Kolonialismus
    Regisseur Jan-Christoph Gockel hat die muntere Performance in einer Art Kleiderkammer angesiedelt, im Theater-Fundus und Outlet-Store, damit die europäischen Sklaven sich immer neue Kostüme anziehen, ihre Zähne zeigen und dann zu Posen erstarren können. Sogar die Ketten dieser Abhängigen sind wie moderne Rüstungen designt. Bilder einer Ausstellung.
    "Ich suche einen Sklaven, einen Allrounder." "Sie hier, sie spricht Deutsch und Africaans."
    Komi Togbonou, der schwarze Showmaster, muss nun krude Thesen vertreten, der Kolonialismus habe "etwas Dionysisches", und die Sklaverei sei eine "anthropologische Konstante". Aber Togbonou macht nichts aus dieser Rolle, er hat nichts Beunruhigend-Aggressives. Er bleibt immer der nette schwarze Märchenonkel mit Rastalocken, der wahrscheinlich gleich hinübergehen wird zu seiner Reggae-Band, obgleich er doch unzivilisierte Europäer erziehen will.
    Sklaverei als Kasperltheater
    Die Hilflosigkeit der Regie zeigt sich in überlaut wummernder Totschlagmusik und hysterischem Schauspielergeschrei. Jan-Christoph Gockel erzählt die Geschichte der Sklaverei als buntes Kasperltheater und Turbo-Kabarett, als "Abenteuerreise durchs wilde Europa".
    Das mündet dann, zum Beispiel, in der Geschichte eines sehr heutigen Dienstmädchens, völlig skurril gespielt von Torsten Flassig, das hochhackig und mit nackten Beinen seinen Herrschaften zu Willen sein darf und uns von dem großen Glück erzählt, ein wenig Geld nach Hause schicken zu dürfen.
    Das ist die einzige Szene, die ins Verrückte und Surreale abdriftet. Aber dann wird das arme Ding von Lehrmeister Gockel gleich in einen Schneewittchensarg verfrachtet; dort liegt sie dann wie der Holbein-Christus im Grab, und alles ist wieder moralisch korrekt. Sodann gibt es noch eine ferngesteuerte Roboter-Sklavin zu Glücksspiel-Beleuchtung sowie die erregende Frage "Wo kommt unsere Kleidung her?" - na, aus der Dritten Welt natürlich! Hier also aus Europa, das mittlerweile ja "am Rand" der Welt liegt. Bayern hat sich angeblich von Deutschland abgespalten - das wär ein Thema gewesen, aber Küspert ist kein Achternbusch - und "mittelalten weißen Männern" geht es schlecht.
    Vulgär-marxistische Utopie
    Das Elend der Dritten Welt, das könnte auch Konstantin Küspert wissen, verflüchtigt sich nicht, wenn man die Kolonisatoren zum Teufel jagt; die Ausbeutung funktioniert dann nur anders, zum Teil auch ohne Rassismus. Küspert aber hängt einer vulgär-marxistischen Utopie an, indem er die europäischen Sklaven zusammen mit ihrem schwarzen Conférencier in ein Flüchtlings-Schlauchboot bittet und damit suggeriert, dass wir alle in einem Boot sitzen. "Wir sind viele", so die optimistische Botschaft. Dabei ist doch viel eher zu befürchten, dass auf dem Floß der Medusa die Menschen sich gegenseitig verspeisen. Die Zuschauer ficht das nicht an: Sie sind viele. Langer Gesinnungsapplaus.